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Das Gehirn von Homo sapiens ist etwa dreimal so groß wie von Menschenaffen.

© dpa/Suzuki et al./Cell

Evolution und Hirnentwicklung: Mutationen vergrößerten das menschliche Gehirn

Forscher haben die Genveränderungen entdeckt, die das Denkorgan von Homo sapiens so groß machen. Allerdings erhöht das auch das Schizophrenie- und Autismus-Risiko.

Das Gehirn des Menschen ist etwa dreimal so groß wie das seiner nächsten Verwandten im Tierreich. Zwei Forscherteams haben nun offenbar die Ursache für diesen Zuwachs gefunden. Sie beschreiben ihre Befunde im Fachblatt „Cell“ (zweite Arbeit hier). Demnach regt eine nur beim Menschen vorkommende Genvariante Stammzellen im Gehirn zu mehr Teilungsschritten in der Embryonalentwicklung an, sodass sie erst relativ spät, aber zu sehr viel mehr Nervenzellen heranwachsen als bei Menschenaffen.

„Einer der Heiligen Grale von Forschern wie uns ist es, herauszufinden, was während der menschlichen Entwicklung verantwortlich ist für ein größeres Gehirn“, sagt Pierre Vanderhaeghen von der Université Libre in Brüssel. Seine Gruppe suchte nach Genen, die nur beim Menschen vorkommen und bei der Entwicklung des Gehirns aktiv sind. Sie fand unter den insgesamt 23 000 Erbanlagen 35 Kandidaten, darunter „Notch2NL“.

„Notch“-Gene sind evolutionsgeschichtlich sehr alte, bei vielen Tieren vorkommende Gene. Sie sind in Signalübertragungs- und Entwicklungsprozesse eingebunden. „Notch2“ etwa spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Organen wie dem Gehirn. Von diesem Gen hat nur der Mensch eine besondere Variante, Notch2NL, die noch dazu drei Mal im Humangenom vorkommt.

Mehr Stammzellen, mehr Nervenzellen, mehr Hirn

Wenn das Forscherteam von David Haussler von der University of California in Santa Cruz diese Gene in Gehirnstammzellen in der Zellkultur mit einem gentechnischen Kunstgriff abschaltete, reiften die Stammzellen zwar schneller zu Nervenzellen heran. Dadurch blieben aber weniger Stammzellen übrig, sodass insgesamt weniger Nervenzellen entstanden. In der Embryonalentwicklung sorgen die Notch2NL-Gene also dafür, dass die Stammzellen sich häufiger teilen und länger Stammzellen bleiben, bevor sie zu Nervenzellen heranreifen: Mehr Stammzellen bilden mehr Nervenzellen, das Gehirn wird größer. Das gilt vor allem für die Großhirnrinde – eben jenes Hirnareal, das beim Menschen im Vergleich zu Menschenaffen überproportional vergrößert ist.

Offenbar sind die Notch2NL-Gene durch Verdopplung eines ursprünglicheren Notch-Gens entstanden – und zwar zur Zeit der Entwicklung von Hominiden vor etwa drei Millionen Jahren. Allerdings hatte diese natürliche, zufällige Erbgutoptimierung ihren Preis. „Diese evolutionäre Veränderung im Genom begünstigte auf der einen Seite die Ausbildung einer größeren Großhirnrinde, auf der anderen Seite wurde aber auch das Risiko für spontan auftretende genetische Veränderungen erhöht, welche letzten Endes mit Erkrankungen wie Schizophrenie oder Autismus einhergehen können“, sagt der Neurobiologe Oliver Brüstle vom Universitätsklinikum Bonn. „In Übereinstimmung mit der vermuteten Rolle der Notch2NL-Genfamilie bei der evolutionären Größenzunahme des Gehirns lässt sich bei diesen Patienten auch eine abweichende Größe des Gehirns feststellen.“

Bei Autisten fehlt eine Genkopie

Tatsächlich entdeckte Hausslers Team, dass bei drei Patienten mit Autismus nur zwei der drei Notch2NL-Gene vorhanden waren. Sie hatten etwas verkleinerte Gehirne. Bei drei Schizophrenie-Patienten mit vergrößertem Gehirn hingegen fanden sie vier statt drei Notch2NL-Gene.

Dass die Notch-Gene die einzigen Treiber für die Entwicklung des großen Gehirns von Homo sapiens gewesen sind, ist aber eher unwahrscheinlich. „Während der menschlichen Evolution sind eine Vielzahl von genetischen Veränderungen aufgetreten, die für die Gehirnentwicklung und -funktion relevant sind“, sagt Brüstle. „Dieses Verständnis ist wichtig, um Erwartungen oder Befürchtungen entgegenzuwirken, dass sich etwa mit einem künstlichen Einfügen einzelner Gene auf einfache Art und Weise eine ‚Humanisierung' in Tiermodellen induzieren lässt.“ Tiere mit menschenähnlichen Hirnleistungen dürften sich vorerst also nicht züchten lassen. (mit dpa/smc)

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