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Vom Denisova-Menschen gibt es bislang nur ein paar wenige Knochenreste aus einer Höhle im sibirischen Altai-Gebirge, darunter auch Zähne, aus denen Erbgutreste isoliert werden konnten.

© David Reich/Nature

Evolution des Menschen: Homo sapiens vermischte sich wiederholt mit nahen Verwandten

Neue Erbgutanalysen zeigen: Der Mensch traf auf seinen Wanderungen nicht nur Neandertaler, sondern auch Denisova-Menschen - mehrfach.

Menschen wandern. Schon immer. Sonst hätten sie es auch nie „Out of Africa“ geschafft. Wie problematisch solche Migration vielleicht war, wenn Gruppen aufeinandertrafen, ist nicht leicht zu rekonstruieren. Sicher dagegen ist, dass diese Begegnungen oft auch der intimen Art waren. Durch Analysen von Gensequenzen ist das nachgewiesen. So finden sich in heute lebenden sogenannten modernen Menschen Spuren von Neandertaler-Erbgut, aber auch Gensequenzen, die von den erst vor wenigen Jahren wissenschaftlich beschriebenen Denisova-Menschen stammen. Neue Vergleiche der Genome von heute auf allen Kontinenten lebenden Personen zeigen jetzt nicht nur, dass deren Vorfahren sich teilweise mehrfach mit Denisova-Menschen vermischten, sondern lassen auch Rückschlüsse auf urmenschliche Wanderungen zu.

Vom Denisova-Menschen zeugen nur wenige Funde aus dem Altai

Sharon Browning von der University of Washington in Seattle und ihre Kollegen berichten darüber in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Cell“. Ihre Ergebnisse belegen unter anderem, dass zwischen Süd-Sibirien und dem Süden Asiens Menschengruppen genauso unterwegs waren wie zwischen dem heutigen Marokko und dem Nahen Osten sowie dem Süden Afrikas.

Aus einer Höhle im Altai-Gebirge im Süden Sibiriens stammen die bisher einzigen Funde des Denisova-Menschen. Johannes Krause, der inzwischen am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena arbeitet, wies 2009 mit Kollegen in Leipzig die Existenz dieser menschlichen Entwicklungslinie nach. Sie analysierten das Erbgut eines Fingerknöchels aus der Denisova-Höhle im Altai. Das Ergebnis war eine wissenschaftliche Sensation, denn es verriet, dass es einst eine menschliche Population gegeben hatte, die nah mit dem Neandertaler und etwas entfernter mit dem modernen Menschen (Homo sapiens) verwandt war. Vor etwa 50 000 Jahren lebten also mindestens drei Menschenlinien auf der Erde, von denen nur noch eine übrig ist.

Heute im Osten und Süden Asiens lebende Menschen tragen deutliche Spuren des Denisova-Erbguts. Fünf Prozent ihrer DNS stammt ursprünglich von den Denisovanern, berichteten die Forscher bald nach ihrem Sensationsfund. Die Denisovaner und die frühen Vorfahren der heutigen Süd- und Ost-Asiaten müssen sich also getroffen und gemeinsame Kinder gehabt haben. Dazu aber muss zumindest eine der beteiligten Menschengruppen über Tausende von Kilometern unterwegs gewesen sein. Ganz ähnlich finden sich im Erbgut heutiger Europäer und Asiaten auch zwei Prozent Neandertaler-Erbgut. Das wurde auch nicht zufällig mitgeschleppt, sondern enthält unter anderem Immun-Gene, die bei der Anpassung an nordische Lebensräume halfen.

Erbgut von mehr als 5000 Menschen untersucht

Bisher suchten Forscher gezielt nach solchen Einsprengseln. Sie sahen etwa nach, ob sich Denisova-Erbgut in Menschen aus Südostasien findet. „Sharon Browning und ihre Kollegen gingen jetzt ganz anders an diese Aufgabe heran“, sagt Krause: Sie suchten unabhängig von solchen Referenz-Gensequenzen im Erbgut von 5639 Menschen aus Europa, Asien und Ozeanien nach Abschnitten, die man nicht im Erbgut des modernen Menschen erwarten würde.

Mit dieser Methode fanden sie zum Beispiel auch Sequenzen, die zwar eindeutige Ähnlichkeiten zu denen von Denisovanern zeigten, aber auf eine weniger enge Verwandtschaft hindeuteten als andere. Vergleichbare Einsprengsel fanden die Forscher dann auch bei Menschen, die heute im Osten und Süden Asiens und auf Papua-Neuguinea leben. „Im Erbgut der Menschen in China und Japan aber entdeckten wir zusätzlich auch weitere Abschnitte, die viel enger mit den Menschen in der Denisova-Höhle verwandt sind“, erklärt Browning. Offensichtlich gab es also mindestens zwei Perioden, in denen sich Denisovaner und moderne Menschen mischten. „Vielleicht begegneten die frühen Vorfahren der Menschen in Ozeanien ja einer Gruppe von Denisovanern, die im Süden Asiens lebten, während die Urahnen von Chinesen und Japanern sich nicht nur mit dieser Gruppe, sondern zusätzlich auch mit weiter im Norden lebenden Denisova-Menschen vermischten", so Browning.

Ähnlich komplexe Wanderbewegungen gab es offensichtlich auch im Norden Afrikas, berichten Johannes Krause und seine Kollegen in der Zeitschrift „Science“. Die Forscher hatten Erbgut aus den Knochen von sieben Menschen gewonnen, die vor rund 14 000 bis 15 000 Jahren in der „Taubenhöhle“ im Osten des heutigen Marokko ihre letzte Ruhe fanden. Archäologen wussten bisher zwar, dass vor etwa 20 000 Jahren neue Technologien zur Bearbeitung von Steinen in Nordafrika auftauchten, aber fast nichts darüber, was für Menschen es waren, die solche Neuerungen gebracht hatten. Es wurde vermutet, dass es Migranten aus Europa gewesen sein könnten.

Rätselhafte Geisterpopulationen

„Im Erbgut finden wir keinen Hinweis auf solche Einwanderer", erklärt Krause. Stattdessen stammen rund zwei Drittel der Sequenzen von Menschen, die einst im Gebiet des heutigen Israel zu Hause waren. Der Rest ähnelt dem Erbgut von heute südlich der Sahara lebenden Menschen. Wahrscheinlich stammt es von einer sogenannten „Geisterpopulation“. So nennen Forscher Menschengruppen, von denen jegliche archäologische Spuren fehlen und deren einstige Existenz allein solche Gen-Analysen nahelegen. Wie sie in das Gebiet des heutigen Marokko kamen, können Klimaforscher erklären: Sie konnten die heute unwirtliche Sahara in Zeiten, als diese eher eine Savanne war, durchwandern.

Umgekehrte Migrationen vom heutigen Marokko in den Nahen Osten hält Krause dagegen für wenig wahrscheinlich: „Im Erbgut der Menschen im Nahen Osten finden wir keinerlei Hinweise auf die Geisterpopulation im südlichen Afrika, von denen die Menschen in der Taubenhöhle abstammten“.

Auch in der frühen Menschheitsgeschichte war Migration also offenbar oft eine Einbahnstraße.

Sowohl genetische Spuren von Neandertalern (rot), als auch von Denisova-Menschen finden sich im Erbgut moderner Menschen, wobei Denisova-Genvarianten wohl mindestens zwei Mal ins Erbgut von Homo sapiens gelangten.
Sowohl genetische Spuren von Neandertalern (rot), als auch von Denisova-Menschen finden sich im Erbgut moderner Menschen, wobei Denisova-Genvarianten wohl mindestens zwei Mal ins Erbgut von Homo sapiens gelangten.

© Browning et al./Cell

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