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X-Men? Bei den Bajau wurde die Milz im Laufe der Zeit genetisch ans Tauchen angepasst.

© Melissa Ilardo

Evolution des Menschen: Genetisch angepasst ans Tauchen

Siebzig Meter tief, acht Minuten lang – eine vergrößerte Milz macht die Bajau zu Tauchkünstlern.

In bis zu 70 Metern Tiefe fangen sie Fische und Schalentiere: Die südostasiatischen Bajau sind bekannt für ihre unglaublichen Tauchkünste. Nun haben Forscher herausgefunden, was die Angehörigen des indigenen Volkes in die Lage versetzt, fast ohne Hilfsmittel nicht nur besonders tief, sondern auch sehr lange zu tauchen. Offenbar haben sich die Bajau genetisch an ihre Lebensweise angepasst, so dass sie über eine überdurchschnittlich große Milz verfügen.

Mehr als acht Stunden täglich im Wasser

Die Bajau lebten wohl mehr als 1000 Jahre lang als Seenomaden auf Hausbooten in Südostasien. Heutzutage verbringen sie selten ihr ganzes Leben auf dem Meer, die meisten Bajau leben in Siedlungen in Malaysia, Indonesien und den Philippinen. Noch immer aber verbringen sie viel Zeit auf dem und am Meer. Mehr als acht Stunden täglich verbringen viele im Wasser, wo sie mit Speeren Jagd auf Fische und Oktopusse machen sowie Schalentiere und Seegurken sammeln.

Bei ihren Tauchgängen benutzen sie lediglich ein paar Gewichte und eine hölzerne Schutzmaske. Dennoch sind die Bajau in der Lage, bis zu 70 Meter tief zu tauchen. Studien-Initiatorin und Genetikerin Melissa Ilardo, zum Zeitpunkt der Untersuchung an der Universität Kopenhagen, berichtet, dass ihr ein Bajau von einem 13-minütigen Tauchgang am Stück erzählt habe.

Große Milz hilft beim Tauchen

Schon länger sei vermutet worden, dass die Milz eine wichtige Rolle beim Tauchen spielt, erklären die Forscher im Fachmagazin „Cell“. Details aber fehlten. „Es gibt nicht viele Informationen über die menschliche Milz in Bezug auf Physiologie und Genetik“, erklärt Ilardo. „Doch wir wissen, dass tief tauchende Seehunde wie etwa die Weddellrobbe unverhältnismäßig große Milzen haben.“

Das Organ spielt eine wichtige Rolle beim sogenannten Tauchreflex: Selbst beim kurzen Eintauchen in kaltes Wasser setzt dieser ein und bewirkt, dass sich der Herzschlag verlangsamt, die Blutgefäße in den Extremitäten verengen und die Milz zusammenzieht. Durch diese Kontraktion stößt das Organ sauerstoffreiche rote Blutkörperchen in den Blutkreislauf und sorgt so für einen Sauerstoff-Anstieg von bis zu neun Prozent, was die mögliche Tauchzeit verlängert.

Ilardo machte Ultraschallaufnahmen bei 59 Baja von der indonesischen Insel Sulawesi sowie 34 Angehörigen der benachbarten Saluan – einer ethnischen Minderheit, die nicht mit den Bajau verwandt ist und nicht taucht. Die Milzen der Bajau waren durchschnittlich doppelt so groß – sowohl bei den regelmäßig tauchenden Bajau als auch bei denen, die nicht tauchen. Das Forscherteam schloss daraus, dass die Ursache für das vergrößerte Organ tatsächlich eine genetische Anpassung ist.

Genetisch angepassten Schilddrüsenhormon

Daraufhin nahmen die Forscher Erbgutproben aus dem Speichel und stellten fest, dass die Bajau über ein Gen namens PDE10A verfügen, das den Saluan fehlt. Es kontrolliert vermutlich die Konzentration des Schilddrüsenhormons T4. „Bei Mäusen gibt es einen Zusammenhang zwischen Schilddrüsenhormonen und der Größe der Milz“, sagt Ilardo. Mäusen, denen T4 fehlt, haben eine stark verkleinerte Milz.

Für die Wissenschaftler stellt die Studie den ersten Nachweis einer genetischen Anpassung des Menschen ans Tauchen dar – mit möglichen Folgen für die medizinische Forschung. So lasse sich der menschliche Tauchreflex mit den Symptomen einer akuten Hypoxie vergleichen. Dabei werden die Körperzellen mit zu wenig Sauerstoff versorgt. Entsprechend seien die Fähigkeiten der Bajau „ein Hypoxie-Experiment der Natur, das es erlaube, Menschen auf eine Weise zu untersuchen, die im Labor nicht möglich wäre“, sagt der an der Studie beteiligte Evolutionsgenetiker Rasmus Nielsen von der Universität Berkeley.

Auch das thailändische Seenomadenvolk der Moken und die südkoreanischen Taucherinnen der Haenyo sollten auf solche genetischen Anpassungen untersucht werden – so lange das noch möglich sei: „Viele dieser Völker sind bedroht“, sagt Co-Autor Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen. „Das ist nicht nur ein kultureller und sprachlicher Verlust, sondern auch einer für die Genetik, Medizin und Wissenschaft im Allgemeinen.“ Alice Lanzke/dpa

Alice Lanzke, dpa

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