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Alena Buyx.

© imago images/Jürgen Heinrich

Ethikrat-Vorsitzende über den Impfstoff: „Ein gutes Gefühl, was wir als Menschheit leisten können“

Im Streit um die Verteilung des Impfstoffs geht unter, welch großartige globale Arbeit dahinter steht, sagt die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx. Ein Interview.

Alena Buyx ist Professorin für Medizinethik und Gesundheitstechnologien an der TU München. Seit 2020 leitet die studierte Ärztin, Philosophin und Soziologin den Deutschen Ethikrat.

Frau Professorin Buyx, die ersten Impfungen sind angelaufen. Aber haben wir überhaupt genug Impfstoff – und werden wir ihn rasch genug haben?

Ich finde es, ehrlich gesagt, schade, dass wir, kaum dass die ersten Impfungen angelaufen sind, schon wieder zu möglichen Problemen und Herausforderungen springen. Dadurch wird unsichtbar, was für eine enorme Menschheitsleistung das eigentlich ist. In weniger als einem Jahr sind in einer unglaublichen weltweiten Forschungskooperation Impfstoffe entwickelt worden von hoher Qualität und Sicherheit. Wir haben wirksame Mittel, uns vor dieser schrecklichen Krankheit zu schützen! Die aktuelle öffentliche Diskussion blendet mir zu sehr aus, wie unglaublich hart da gearbeitet und wie gut kooperiert wurde, auf allen Ebenen. Mir gibt das ein gutes Gefühl, was wir als Menschheit leisten können. Dieser Gedanke fehlt mir in der Debatte.

Aber die Überlegung, ob wir nicht mehr Produktion haben könnten, ist doch nicht illegitim?

Klar würde auch ich mir wünschen, dass wir schnell noch mehr Impfmöglichkeiten hätten. Schon um aus der harten Priorisierung herauszukommen, für die wir im Ethikrat in Zusammenarbeit mit der Ständigen Impfkommission und der Leopoldina einen rechtsethischen Rahmen entwickelt haben

Sie meinen den Vorrang beim Impfen für gefährdete Gruppen, also alte Menschen, medizinisches und Pflegepersonal oder andere Berufsgruppen, die selbst durch ihre Arbeit gefährdet sind oder andere gefährden können, und Menschen mit Vorerkrankungen?

Ja. Dieser Vorrang ist aktuell nötig, aber diese Phase sollte möglichst schnell beendet sein.

Wird das klappen?

Ich bin optimistisch. Die Produktionskapazitäten sind massiv hochgezogen werden. Und es wird ja hoffentlich nicht beim Impfstoff von Biontech und Pfizer und demnächst Moderna bleiben. Die EU hat sehr viele Impfdosen bei AstraZeneca bestellt, und die haben – nach einer Dosierungs-Panne – noch einmal kontrolliert und jetzt vergleichbar gute, teils leicht bessere Ergebnisse als Biontech und Moderna. Ihre Produktionskapazitäten sind riesig, ihr Impfstoff wäre auch einer für die ganze Welt, er braucht kein so massives Runterkühlen. Wenn auch wir den bald zusätzlich hätten, wäre das wunderbar. Das sieht im Moment ganz gut aus.

Es wird auch diskutiert, die forschenden Unternehmen dazu zu zwingen, andere Firmen in Lizenz produzieren zu lassen, damit die Versorgung schneller wird.

Das ist der zweite vor dem ersten Schritt, wir werden auch so recht rasch ausreichend Impfstoff haben, weltweit und bei uns, da bin ich sehr optimistisch.

Und was halten Sie – auch das wird gerade debattiert - von Privilegien für Menschen, die geimpft sind? Kino, Theater oder auch das Einkaufen ohne Maske?

Vorerst gar nichts. Die eine Seite ist die ethische, die auf unseren Empfehlungen aufbaut: In einer Phase, in der wir alle für bestimmte Gruppen mit besonderen Risiken solidarisch zurückstehen, wäre es sehr unausgewogen, wenn diese Gruppen sich dann öffentlich die Maske vom Gesicht ziehen. Zudem ließe sich dabei gar nicht mehr ausmachen und kontrollieren, wer das darf und wer nicht – und das, obwohl wir uns bis auf weiteres noch an die Regeln halten müssen, weil der Effekt der Impfung auf die Pandemie noch eine Weile dauern wird. Dazu kommt die wissenschaftliche Frage: Noch ist gar nicht sicher belegt, dass Geimpfte wirklich niemanden anstecken können. Dazu erwartet man erst in den nächsten Monaten belastbare Daten.

Und später?

Gesetzt den Fall, die Impfung vermeidet sicher, dass andere angesteckt werden und jede und jeder hätte die Möglichkeit, sich impfen zu lassen – diese Möglichkeit haben Sie und ich ja im Moment gar nicht! - dann wird sicher darüber diskutiert werden, ob private Unternehmen Geimpfte anders behandeln dürfen, etwa Fluglinien oder Restaurants. Und auch, ob das bei staatlichen Institutionen möglich und zulässig wäre. Darüber brauchen wir dann glaube ich eine umfassende gesellschaftliche Debatte.

Die ja schon einmal angefangen hatte im Frühjahr. Damals ging es um Privilegien für Menschen, die eine Covid-Erkrankung oder –Infektion überstanden hatten.

Genau, und dazu haben wir vom Ethikrat bereits eine Stellungnahme veröffentlicht. Wir haben damals aufgezeigt, dass es, wenn der Sachstand belastbar ist, gute Argumente für und gegen sogenannte Immunitätsbescheinigungen gibt. Es ist aber ein wichtiger Unterschied, ob wir über Immunität nach der durchgemachten Erkrankung sprechen, oder über Immunität nach einer sicheren Impfung, die für alle kostenlos zur Verfügung steht. Das kann man nicht gleichsetzen - dennoch wird es auch in so einer Situation wohl Argumente sowohl für wie gegen eine unterschiedliche Behandlung von Geimpften und Nicht-Geimpften geben. Ich spreche übrigens nicht gern von “Privilegien”.

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Warum nicht?

Es wird nicht nur um den bevorzugten Zugang zu den schönen Dinge im Leben gehen, wie Kino, Konzert und so weiter. Eine Krankenschwester auf der Intensivstation, die nach der Impfung vielleicht zwei der drei zusätzlichen Schutzschichten ablegen darf, der wird das Arbeiten leichter, aber ein Sonderrecht oder Privileg genießt sie nicht. Da sollte jeweils genau hingeschaut werden, um was es geht.

Es geht aber auch um Schulbesuch oder Beruf, oder?

In der Tat, ich glaube, das werden die dringlicheren Fragen werden, über die wir öffentlich diskutieren sollten.

Müssen wir eigentlich auch diese moralsatte Debatte führen um die, die sich weigern? Lassen sich ein paar Impfskeptiker nicht verschmerzen, wenn es tatsächlich ausreicht, dass 60 Prozent der Bevölkerung geimpft oder auf andere Weise immun sind?

Jein. Klar ist, wie bereits gesagt: Auch da stürzen wir uns wieder auf Probleme, statt festzuhalten, dass wir eine hohe Impfbereitschaft haben. Da kann man sich hoffentlich auf Dauer das Nein von zehn bis 20 Prozent schon leisten, wie irrational es auch sein mag. Andererseits muss man dann schauen, ob sich die Immunisierung nicht ungleich verteilt, ob sie nicht Lücken in bestimmten Bereichen hat und es insbesondere anfangs noch zu Ausbrüchen und Erkrankungsclustern kommt.

Aber insgesamt bin ich sehr zuversichtlich: Es gibt bereits aus den USA die ersten Hinweise, dass die Impfgegnerschaft und –skepsis dort rasch kollabiert. Die Leute merken: Das sind ganz normale Menschen, die ganz normale Menschen impfen, alles halb so wild – und man ist danach geschützt! Das beruhigt – und das wird denke ich auch bei uns so sein.

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