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Biontech-Chef Ugur Sahin will weitere Produktionskapazitäten aufbauen.

© imago images/Sämmer

„Es sieht nicht rosig aus“: Biontech-Chef Sahin verwundert über Impfstoff-Strategie der EU

Die EU hat nur halb so viele Impfdosen bei Biontech bestellt wie die USA. Jetzt gibt es eine Lücke, die das Unternehmen füllen muss. Ugur Sahin ist erstaunt.

Von Michael Schmidt

Der Chef des Mainzer Biotech-Forschers Biontech, Ugur Sahin, zeigt sich erstaunt über die zögerlichen Impfstoff-Bestellungen der EU. Der Prozess in Europa sei nicht so schnell und geradlinig abgelaufen wie anderen Ländern, sagte Firmenchef Sahin dem "Spiegel". "Auch, weil die Europäische Union nicht direkt autorisiert ist, sondern die Staaten ein Mitspracherecht haben."

Die EU habe zudem auch auf andere Hersteller gesetzt, die nun doch nicht so schnell liefern können. "Offenbar herrschte der Eindruck: Wir kriegen genug, es wird alles nicht so schlimm, und wir haben das unter Kontrolle", sagte Sahin: "Mich hat das gewundert."

Um den Mangel an Impfstoff durch die zurückhaltende EU-Einkaufspolitik aufzufangen, arbeite das Mainzer Unternehmen unter Hochdruck am Aufbau neuer Produktionskapazitäten für den Corona-Impfstoff.

"Momentan sieht es nicht rosig aus, es entsteht ein Loch, weil weitere zugelassene Impfstoffe fehlen und wir mit unserem Impfstoff diese Lücke füllen müssen", sagte Biontech-Chef Ugur Sahin dem "Spiegel". Deutschland werde aber "genug Impfstoff bekommen".

Die Idee der EU und anderer Regierungen, sich einen Korb aus verschiedenen Anbietern zusammenzustellen, sei eigentlich durchaus sinnvoll, erklärte Biontech-Chefmedizinerin Özlem Türeci. "Irgendwann stellte sich aber heraus: Viele können gar nicht zeitig liefern. Dann war es erst mal zu spät, woanders umfänglich nachzuordern."

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Die USA hatten sich laut "Spiegel" im Juli 600 Millionen Dosen von Biontech gesichert, doppelt so viele wie die EU, die erst im November den Auftrag vergab. "Der Prozess in Europa lief sicherlich nicht so schnell und geradlinig ab wie mit anderen Ländern", sagte Sahin.

Biontech sucht Partner, um die Produktion auszuweiten

Die ersten Impfungen in Deutschland gab es am 27. Dezember. Die Produktion nun kurzfristig zu erhöhen sei "alles andere als trivial": "Es ist ja nicht so, als stünden überall in der Welt spezialisierte Fabriken ungenutzt herum, die von heute auf morgen Impfstoff in der nötigen Qualität herstellen könnten."

Biontech habe bereits "fünf Hersteller in Europa beauftragt, um die Produktion zu unterstützen", sagte Türeci. "Weitere Verträge sind in Verhandlung." Mehrere Politiker hatten zuletzt gefordert, die Impfstoff-Produktion deutlich zu beschleunigen. FDP-Chef Christian Lindner verlangte, die rechtlichen, wirtschaftlichen, politischen und technologischen Voraussetzungen für eine "Krisenproduktion" zu schaffen.

Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte mehr Tempo bei der Vakzin-Produktion.

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Mit Blick auf veränderte Coronaviren, zeigte sich der Biontech-Chef zuversichtlich. Die durch den Impfstoff ausgelöste Immunantwort erkenne das Virusantigen an vielen Stellen. "Durch eine Mutation kann das Virus zwar einzelne seiner Erkennungsstellen unkenntlich machen, aber sich nicht so grundlegend verändern, dass es für das Immunsystem unsichtbar wird", erklärte Sahin.

Zuletzt waren von England ausgehend offenbar deutlich ansteckendere Coronaviren aufgetaucht. Die bereiteten ihm jedeoch keine Sorge, sagte Sahin. "Wir testen, ob unser Impfstoff auch diese Variante neutralisieren kann, und wissen bald mehr."

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Was ihm aber Sorger bereite, sei, "dass die Mutante offenbar in Patienten mit einem unterdrückten Immunsystem entstanden ist. Dort hatte das Virus freie Bahn und Monate Zeit, sich zu optimieren.

Das könnte bedeuten, dass es immer wieder Biotope geben wird, in denen es sich verbessern kann."

Biontech-Chefmedizinerin Türeci erwarte, dass die Immunität durch die Impfung mindestens so lange anhält wie die natürliche nach einer Infektion. "Und wir wissen, dass wir mit der zweiten Dosis die Immunantwort des Körpers weiter steigern.

Das heißt: Man könnte mit einer dritten Injektion, ein Jahr später etwa, sogar einen noch größeren Effekt erzielen", zeigte sich auch Türeci optimistisch.

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