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Ein Covid-19-Intensivpatient wird im Berliner Krankenhaus Havelhöhe versorgt.

© Fabrizio Bensch/Reuters

„Es muss JETZT etwas passieren“: Mediziner warnen – Intensivstationen stoßen an ihre Grenzen

Die Corona-Neuinfektionen nehmen weiter zu und die Zahl der Intensivbetten wird knapp. Der Weltärztepräsident spricht von drohender Triage.

Deutschland streitet über die Corona-Notbremse – und hat bereits jetzt den Höhepunkt der Auslastung aller Intensivbetten seit Beginn der Coronavirus-Pandemie erreicht. Das teilte Intensivmediziner Christian Karagiannidis, Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), am Samstagabend via Twitter mit.

Es stehe immer weniger Personal zur Verfügung. „Selbst wenn es zu einem harten Lockdown kommt, steigen die Zahlen weiter für 10-14 Tage“, schreibt Karagiannidis. „Es muss JETZT etwas passieren.“

Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek, die mit dem Chefvirologen der Berliner Charité, Christian Drosten, den NDR-Podcast „Das Coronavirus-Update“ macht, teilte den Tweet und schrieb: „Mir fehlen die Worte.“

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Bereits am Freitag hatte Karagiannidis bei einer Pressekonferenz gesagt, schon Ende April rechne die Divi bundesweit mit mehr als 5000 Covid-19-Patienten. „Die Kliniken gehen in einen katastrophenähnlichen Zustand“, sagte Karagiannidis. 500 Kliniken in Deutschland könnten jetzt schon keine Covid-19-Patienten mehr aufnehmen.

Leiter des Divi-Intensivregisters: Christian Karagiannidis.
Leiter des Divi-Intensivregisters: Christian Karagiannidis.

© Felix schmitt

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Auf dem Höhepunkt der zweiten Welle lagen etwas mehr als 5700 Patienten auf den Intensivstationen. Trotzdem sagte Divi-Präsident Gernot Marx bereits am Freitag: „Es brennt. Die Lage ist sehr dramatisch. Jeder Tag zählt.“ Es gebe einen ungebremsten und dramatischen Anstieg von Covid-19-Patienten. Im schlimmsten Fall geht die Divi in einem Prognosemodell von mehr als 7000 Corona-Intensivpatienten Anfang Mai aus.

Diese Situation habe man „erschreckend genau vorhergesagt“, sagte Marx. Etwa 1,5 bis drei Prozent der Infizierten landeten auf einer Intensivstation. Ihr Alter liege nun zumeist zwischen 40 und 70. Bei den unter 50-Jährigen sterbe jeder fünfte Intensivpatient, bei den Älteren im Schnitt jeder zweite, sagte Marx.

Jüngere liegen länger auf Intensiv

Im Klartext: Ältere Patienten sterben meist schneller an Covid-19. Jüngere Menschen binden die Kapazitäten der Kliniken also meist sehr viel länger als ältere Patienten. Daher wird die Prognose auf knapp 6000 Patienten von Experten als so dramatisch eingeschätzt.

Die jüngeren Patienten gab es zwar vorher auch, nur waren die Intensivbetten vor Beginn der Corona-Impfungen mit älteren Patienten belegt. Die Jüngeren landeten daher meist auf der normalen Station, weil die Intensivstationen teils für Ältere, deren Versorgung akuter war, freigehalten wurden.

Die nun höchste Auslastung der Intensivbetten seit Beginn der Pandemie ist damit zu erklären, dass die Intensivstationen dauerhaft mit jüngeren Patienten belegt sind, die überleben - und deshalb kontinuierlich mehr Betten belegt werden als frei werden. Weil aber das Personal nicht mehr, sondern eher weniger wird, stoßen die Kapazitäten an ihre Grenzen. Denn Intensivbetten nützen nichts ohne Personal, das sich um die Patienten kümmert.

Viele Pflegekräfte hätten aufgrund der Belastung in der Corona-Pandemie gekündigt, bestätigt das Divi. „Wir müssen die Flucht aus dem Pflegeberuf unbedingt stoppen“, hatte Marx bereits im März gesagt. In der beginnenden dritten Welle der Covid-19-Pandemie hielten die Pflegenden derzeit aus Pflichtgefühl noch durch. „Aber was kommt danach?“ Nach einer neuen Umfrage überlegten rund 32 Prozent der Pflegenden derzeit, aus dem Beruf auszusteigen, warnte der Intensivmediziner.

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Auch die Charité betrachtet mit großer Sorge die Entwicklungen in der dritten Welle. „Wenn die Anzahl schwer kranker Covid-Patienten die zweite Welle übertrifft, kommen wir in eine kritische Situation“, sagte Martin Kreis, Vorstand für die Krankenversorgung in Deutschlands größter Uniklinik, der Nachrichtenagentur dpa.

Anfang des Jahres sei an Europas größter Universitätsklinik durch die hohe Zahl an schweren Covid-19-Fällen auf Intensivstationen eine absolute Grenzbelastung erreicht gewesen. So habe die Charité im Januar nicht alle Patienten aus bereits überlasteten Kliniken anderer Bundesländer aufnehmen können. „Wir werden weiter alles daran setzen, Patienten aus der Region auch in Berlin zu versorgen“, sagte Kreis.

Auch Charité meldet starken Anstieg

Die Zahl der Neuzugänge auf den Intensivstationen der Charité sei in den vergangenen beiden Wochen deutlich gestiegen, sagte Kreis. Besonders betroffen sei nun die Altersgruppe zwischen 30 und 60, die bislang wenig Chancen auf Impfungen hatte. „Der Trend ist eindeutig, und er zwingt uns, zu reagieren“, ergänzte das Vorstandsmitglied. So sei eine Reserve-Intensivstation wieder vollständig geöffnet worden. Darüber hinaus wurden planbare Operationen, die aufgeschoben werden können, abgesagt.

Da ein großer Teil des Charité-Personals bereits geimpft sei, gebe es an den Kliniken nun weniger Sorgen, dass Mitarbeiter wegen eigener Infektionen oder Quarantäne fehlten. Die Stimmung sei so, dass die Bereitschaft spürbar sei, die neue Herausforderung anzunehmen, sagte Kreis.

Es gebe aber bei Teilen der Belegschaft auch Anzeichen von Erschöpfung und Trauer über die Corona-Toten. Nach Angaben der Charité ist dort bisher rund ein Drittel der beatmeten Covid-19-Patienten gestorben.

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Bereits seit Mitte März steigt bundesweit die Zahl der Intensivpatienten mit einer Covid-19-Erkrankung wieder deutlich an. Stand Sonntagmittag waren es 4585, 53 mehr als am Samstag. 57 Prozent der Covid-19-Patienten müssen derzeit invasiv beatmet werden.

Von den insgesamt rund 24.000 Intensivbetten, die als belegbar gemeldet sind, waren noch 3428 frei. Zudem gibt es eine sogenannte Notfallreserve, die aktuell mit 10.412 Betten angegeben wird. Als Nadelöhr bei der Versorgung gilt vor allem die Verfügbarkeit von ausreichend qualifiziertem Pflegepersonal.

Montgomery hält Triage für denkbar

Angesichts steigender Patientenzahlen in der dritten Welle warnte auch der Vorsitzende des Weltärztebundes vor einer Zuspitzung der Lage in den deutschen Krankenhäusern. „Wir werden in den Kliniken jetzt eingeholt von den Infektionen, die vor vier Wochen stattgefunden haben“, sagte Frank Ulrich Montgomery der „Passauer Neuen Presse“.

Auch die Triage werde „mit Sicherheit“ wieder im Raum stehen. Triage bedeutet, dass Mediziner aufgrund von knappen Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen. „Wir waren sehr dankbar, dass sie in den ersten beiden Wellen nicht gebraucht wurde. Es ist vorstellbar, dass es zu Situationen kommt, in denen sie angewendet wird.“ Es sei deshalb richtig, dass sich die Kliniken auf einen Ansturm einstellen, sagte Montgomery.

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Das es noch einige Zeit dauern wird, bis sich die Impfungen in Deutschland beim Infektionsgeschehen richtig bemerkbar machen – am Sonntagmorgen hatten nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) 15,2 Prozent die Erst- und 5,9 Prozent die Zweitimpfung erhalten – bereiten die stark steigenden Infektionszahlen große Sorgen.

Das RKI meldete am Sonntagmorgen 17.855 Neuinfektionen mit dem Coronavirus binnen 24 Stunden. Zudem wurden 104 weitere Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus registriert. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 129,2. Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag dem RKI-Lagebericht vom Samstag bei 1,02 (Vortag: 0,90). Der R-Wert sei wieder deutlich gestiegen, schreibt das RKI.

Nur 106 Landkreise unter Schwellenwert

Am Sonntag sind die vom RKI gemeldeten Fallzahlen meist niedriger, unter anderem weil am Wochenende weniger getestet wird. Die Zahlen könnten zudem wegen der Schulferien noch nicht mit früheren Werten vergleichbar sein. Das RKI rechnet erst im Laufe der nächsten Woche wieder mit belastbaren Zahlen.

Daten zufolge, die der Tagesspiegel zusammenträgt, liegen am Sonntag von den 401 Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland 106 unter dem Schwellenwert von 100. Nur acht melden eine Inzidenz von unter 50. Die Inzidenz ist ein wesentlicher Maßstab für die Verschärfung und Lockerung von Restriktionen.

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Der Entwurf für ein verschärftes Infektionsschutzgesetz sieht bundesweit einheitliche nächtliche Ausgangssperren von 21 bis 5 Uhr in allen Landkreisen und kreisfreien Städten ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 vor. Das Gesetz soll schon am Dienstag vom Kabinett beschlossen werden und dann rasch in das parlamentarische Verfahren gehen.

[Alle aktuellen Entwicklungen in der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Es gibt aber bereits Nachbesserungswünsche – auch von der vom Koalitionspartner SPD. Die Spitze der Fraktion fordert zusätzliche Maßnahmen, neue Hilfsprogramme und klare Öffnungsperspektiven. Das geht aus einem Positionspapier des geschäftsführenden Fraktionsvorstands hervor, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Landkreistag gegen bundeseinheitliche Notbremse

Die dringend nötigen Beschlüsse müssten parteiübergreifend und gemeinsam von Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat getroffen werden, heißt es darin. Es dürfe dabei nicht um parteitaktische Manöver oder Profilierung Einzelner gehen. Konkret fordert die SPD-Fraktionsspitze etwa eine Testpflicht für Unternehmen und Schulen.

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Die bundeseinheitliche Notbremse ist nach wie vor umstritten. Mediziner und Gesundheitsexperten fordern auf eine schnelle Umsetzung scharfer Maßnahmen in ganz Deutschland. So pocht der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach wegen der dritten Coronavirus-Welle und der ansteckenderen Mutante B.1.1.7 auf eine Testpflicht für Unternehmen und Schulen sowie Ausgangssperren.

„Das Notbremsengesetz im Bund verliert einen großen Teil seiner Wirkung, wenn die Testpflicht in den Betrieben nicht kommt“, schreibt der Mediziner und Epidemiologe auf Twitter. Dann würde nur der Dauerlockdown beschlossen. „Weil alles zu bleibt, aber die Fallzahlen nicht sinken. Wie Bettruhe ohne Behandlung, das wäre frustrierend.“ Eine Kombination von Tests und Ausgangssperren würde dagegen den R-Wert unter 1 fallen lassen, so Lauterbach. Ein R-Wert unter 1 gilt als Zeichen, dass das Infektionsgeschehen abnimmt.

Der Deutsche Landkreistag dagegen verurteilte die Pläne für eine bundeseinheitliche Notbremse scharf. „Der vorliegende Entwurf ist ein in Gesetz gegossenes Misstrauensvotum gegenüber Ländern und Kommunen“, sagte Präsident Reinhard Sager den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Damit verlässt der Bund den Modus gemeinsamer Krisenbekämpfung und will direkt vor Ort wirkende Maßnahmen anordnen.“ Damit würden zum Beispiel „verantwortbare Modellversuche über einer Inzidenz von 100“ praktisch unterbunden.

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