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Mehr Tests, mehr Infektionen? Das RKI warnt vor parallelem Anstieg von Atemwegserkrankungen.

© Matthias Balk/dpa

Es ist gefährlicher als Covid-19: Droht eine Infektionswelle durch das RS-Virus?

Die Corona-Lockerungen haben schwere Infektionskrankheiten begünstigt, etwa ausgelöst durch das RS-Virus. Die Betten mancher Kinderklinik füllen sich bereits.

Nach Lockerung der Corona-Maßnahmen nehmen auch andere Infektionen zu – etwa ausgelöst durch das Respiratorische Synzytial-Virus. Das RSV ist vor allem für Frühgeborene und Kleinkinder gefährlich, weil es akute Atemwegserkrankungen hervorruft. Aber auch ältere Menschen können schwer an der Infektion mit grippeähnlichen Symptomen erkranken.

Deutschlands größte Kinderklinik, das Olgahospital des Klinikums Stuttgarts, hat den vergangenen zwei Wochen einen Anstieg von Atemwegserkrankungen und auch von RSV-Infektionen festgestellt. In der pädiatrischen Notaufnahme, in der jährlich über 30.000 Kinder versorgt werden, seien PCR-Schnelltest mit Paneldiagnostik zum Nachweis oder Ausschluss einer Reihe von Erregern wie dem RSV etabliert, erklärt Jan Steffen Jürgensen Vorstandsvorsitzender des Klinikums Stuttgart.

„Saisonal suchen im Sommer sonst eher weniger Kinder die Kindernotaufnahme im Olgahospital auf, typischerweise etwa 70 am Tag, von denen sonst nur circa 20 Prozent stationär aufgenommen werden müssen“, sagt Jürgensen.

Seit rund zwei Wochen liege die Zahl der in der Notaufnahme vorgestellten Kinder, die hauptsächlich aufgrund von Infektionen kommen, nun fast beim Doppelten des saisonal Üblichen. Zuletzt seien es etwa 130 Kinder am Tag gewesen. Stationär wurden im Olgahospital des Klinikums Stuttgart sowohl in der letzten als auch in der vorletzten Woche jeweils drei Kinder wegen schwer verlaufender RSV-Infektionen versorgt.

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Die gesamte Grippe- und Erkältungssaison sei nahezu ausgeblieben, Kinder hätten keine Immunisierung durchlaufen können, erläutert Jürgensen. „Durch die Lockerung der Corona-Maßnahmen und die Öffnung von Schulen und Kitas sind jetzt auch Kinder wieder verstärkt exponiert.“

RKI warnt vor parallelem Anstieg von Atemwegserkrankungen 

Unklar bleibt, ob die steigende Zahl der RSV-Fälle in Zusammenhang mit vermehrten Tests steht. Keine vermehrte Zahl an RSV-Erkrankungen konnten zumindest die Berliner Charité und das Kinderkrankenhaus Auf der Bult in Hannover feststellen.

Die Techniker Krankenkasse verzeichnet sogar einen Rückgang der Krankenhausaufenthalte: „Während unsere Versicherten 2019 noch 8.768 Krankenhausaufenthalte wegen dieser Erkrankung hatten, waren es im vergangenen Jahr nur noch 5.172 und im laufenden Jahr nur noch 97“, erklärt ein Sprecher.

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Das Robert Koch-Institut (RKI) weist in der Publikation „Vorbereitungen für den Herbst und Winter“ von vergangener Woche auf die Verschiebung saisonaler Erkrankungswellen hin und fordert die „frühzeitige Vorbereitung auf ein verstärktes Krankheitsgeschehen, auch angesichts der zusätzlich zu erwartenden Belastung durch akute Atemwegsinfektionen“.

So warnt das RKI vor einem parallelen Anstieg von Sars-Cov-2, Influenza und RSV aufgrund einer reduzierten Grundimmunität. Außerdem könne das gemeinsame Auftreten dieser Infektionskrankheiten zu einer deutlichen Gesundheitsbelastung durch die Erkrankungen selbst und zusätzlich durch sekundäre Pneumonien führen. Präventions- und Versorgungsmöglichkeiten sollten rechtzeitig bestellt und gelagert werden, außerdem seien Informationskampagnen zu initiieren.

RSV ist gefährlicher als Covid-19

Wie ausländische Medien berichten, nimmt etwa in der Schweiz, in Israel und in den USA derzeit die Zahl an Babys und Kleinkindern drastisch zu, die sich mit dem RS-Virus angesteckt haben. Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC hatte bereits Anfang Juni eine Warnung verschickt, in der sie auf eine erhöhte „intersaisonale Aktivität der RS-Viren“ in einigen südlichen US-Bundesstaaten hinweist. 

In der Schweiz hat die Fachgesellschaft Pädiatrie für den Kanton Zürich die bisher höchsten Fallzahlen festgestellt. Wie der „Tages Anzeiger“ berichtet, gebe es im Kinderspital Zürich seit Ende Mai einen markanten Anstieg. Habe man im April 10 RSV-positive Patienten verzeichnet, seien es im Mai schon 40 und im Juni rund 90 gewesen, zitiert die Zeitung den Leiter der Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene, Christoph Berger.

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Dass in Deutschland derzeit wieder vermehrt Atemwegsinfekte beobachtet werden, vor allem im ambulanten, aber auch im stationären Bereich, bestätigt auch Tobias Tenenbaum, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI). Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Ausland beobachten Ärzte hierzulande eine Ausbreitung des RS-Virus nun genau.

„RSV ist gerade für jüngere Kinder deutlich gefährlicher als Covid-19“, sagt Tenenbaum. Bevor es das Sars-CoV-2 Virus gab, sei die Impfstoffentwicklung und medikamentöse Behandlung von RSV mit am stärksten im Bereich der Pädiatrischen Infektiologie erforscht worden.

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Die Leitlinien empfehlen Kinder, die zur Risikogruppe zählen, mit einer RSV-Prophylaxe zu schützen. Mit Palivizumab, einem monoklonalen Antikörper, werden die Kinder passiv immunisiert. Derzeit ist das für die sonst typische RSV-Saison im Winter vorgesehen. Das heißt, trotz steigender Zahlen mancherorts werden Frühgeborene und Säuglinge mit Vorerkrankungen aktuell nicht mit den passiven Antikörpern geschützt.

Die DGPI diskutiere aber derzeit, ob die Empfehlungen angepasst werden müssen, sagt Tenenbaum. In der Schweiz sei bereits beschlossen, dass besonders gefährdete Kinder auch in den aktuellen Sommermonaten prophylaktisch geschützt werden. Etwa einmal im Monat bekommen die Kinder Palivizumab. In Deutschland ist die Menge aktuell auf fünf Gaben in der Wintersaison beschränkt.

Die Lage sei noch entspannt, sagt Jakob Maske, Bundespressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland. In seiner Berliner Praxis stelle er zwar auch einen Anstieg an Erkältungskrankheiten fest, doch diese seien in der Regel positiv für das Immunsystem.

So leiden Kinder, deren Immunsystem schon früh beschäftigt war, seltener an Allergien. Nur in Ausnahmen testen Kinderärzte deshalb auf das RSV. Doch für Frühgeborene und Säuglinge mit Vorerkrankungen können RS-Viren gefährlich werden. „Bei jeder Infektion sollte man Abstand zu den besonders gefährdeten Kindern halten“, sagt Maske. Einen Impfstoff gegen das RS-Virus gibt es bislang nicht.

Wie der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) auf Nachfrage mitteilt, befinden sich gerade vier Impfstoffe zur aktiven Immunisierung in Phase-III-Studien. GlaxoSmithKline hat dabei sogar zwei Impfstoffkandidaten in der Erprobung. Mit einem sollen ältere Erwachsene geimpft werden, mit dem anderen schwangere Frauen zum Schutz ihrer Kinder durch mütterliche Antikörper. Novavax will ebenfalls Schwangere impfen. Pfizer konzentriert sich neben werdenden Müttern auf ältere Menschen. Impfstoffe anderer Hersteller befinden sich in Phase II und konzentrieren sich unter anderem auf Säuglinge.

Der Infektiologe Tenenbaum macht auch auf die Bedeutung von RSV-Infektionen bei Kindern ohne Vorerkrankungen aufmerksam. „Die Hälfte der schweren Verläufe beobachten wir bei gesunden Kindern“, sagt er. Wer einmal erkrankt sei, habe zudem ein höheres Risiko, wiederholt an einer unteren Atemwegsinfektion wie einer Bronchitis zu erkranken.

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