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Gut gemacht. Kinder brauchen Lob und Zustimmung – aber auf das richtige Maß kommt es an. Foto: Imago

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Erziehung: Zu viel Lob kann Kindern schaden

Nicht jedem Kind bekommt es, wenn es ständig Bemerkungen wie „Toll!“ und „Super!“ hört. Schüchterne reagieren eher gestresst als gestärkt, zeigen Studien.

Möglichst viel loben, das ist seit einigen Jahrzehnten Credo der Erziehung. „101 Arten, ein Kind zu loben“ sind auf einem Poster verewigt, das in den USA viele Wohnungen ziert. Gut so, möchte man meinen. Doch zumindest für enthusiastische Lobeshymnen gegenüber etwas älteren Kindern gibt es nun einen Tadel. Sie scheinen ausgerechnet denjenigen Heranwachsenden zu schaden, die sie nach Ansicht von Eltern und anderen Erziehern am meisten brauchen, den Schüchternen, Zaghaften, wenig Selbstbewussten. Das legen drei miteinander verbundene Untersuchungen nahe, die der junge niederländische Psychologe Eddie Brummelman von der Universität in Utrecht und einige seiner Kollegen zusammen mit Brad Bushman von der Ohio State University mit niederländischen Kindern im Grundschulalter machten.

Die Psychologen fanden in einer Art Laborsituation zunächst heraus, dass Erwachsene diejenigen fiktiven Kinder besonders überschwänglich und inflationär lobten, deren Selbstbewusstsein ihnen als besonders niedrig beschrieben wurde. Als „inflationär“ stuften die Forscher es ein, wenn die Erwachsenen sich nicht mit einem einfachen „Das hast du gut gemacht!“ begnügten, sondern aus bescheidenem Anlass Attribute wie „sensationell“, „fantastisch“, „unglaublich gut“ oder „perfekt“ einfließen ließen.

Eltern neigen dazu, vor allem unsichere Sprösslinge überschwänglich zu loben

In einer zweiten, diesmal realitätsnahen Studie, für die Eltern-Kind-Kontakte beim Lösen von zwölf Mathe-Aufgaben per Video aufgezeichnet wurden, stellte sich heraus, dass die Mütter und Väter ihre Kinder im Alter zwischen sieben und elf Jahren im Schnitt sechsmal lobten. Rund ein Viertel der Lobesbezeugungen war „inflationär“. Auch hier lobten die Eltern häufiger diejenigen ihrer Sprösslinge überschwänglich, die zuvor als unsicher aufgefallen waren.

„Es ist verständlich, dass Eltern das tun, aber wir haben herausgefunden, dass das inflationäre Lob eher nach hinten losgehen kann“, kommentiert Bushman. Und zwar in Form sinkender Zuversicht, auch in Zukunft den Ansprüchen der Erwachsenen gerecht werden zu können.

Aufschluss darüber gab die dritte Teilstudie. Hier hatten 240 Kinder zwischen acht und zwölf Jahren, die mit ihren Eltern das niederländische Science Center „Nemo“ besuchten, die Aufgabe, ein van- Gogh-Gemälde nachzumalen. Dann wurden ihre Werke von einem angeblich im Nebenraum befindlichen Erwachsenen kommentiert, der sich in einem Video zuvor als „professioneller Maler“ vorgestellt hatte. Die Urteile gingen von der neutralen Bemerkung, der Künstler werde das Bild im Atelier behalten, über einfaches Lob bis zur Bemerkung, das Bild sei „unglaublich“ gut gelungen.

Anschließend wurde den Kindern mitgeteilt, sie dürften sich weitere Kunstwerke zum Kopieren auswählen. Darunter solche, die leichter nachzumalen seien, aber auch schwierigere, bei denen man mehr Fehler machen könne, dafür mehr lerne. Wie die Kinder auf das überschwängliche Lob reagierten, hing vom Grad ihres Selbstvertrauens ab. Grundschüler mit gesundem Selbstbewusstsein spornte das vorangegangene inflationäre Lob des „Malers“ an, es danach mit einem schwierigen Gemälde aufzunehmen. Bei den Unsicheren zeigte sich der gegenteilige Effekt. Lobeshymnen schüchterten sie ein. Sie entschieden sich für die einfacher zu kopierenden Bilder.

Ein Kind mit niedrigem Selbstbewusstsein glaubt, immer gut sein zu müssen

Brummelman vermutet, dass übertriebenes Lob unter Druck setzt. „Wenn Sie einem Kind mit niedrigem Selbstbewusstsein sagen, es habe unglaublich Gutes geleistet, dann meint es wohl, immer so gut sein zu müssen. Es hat Angst vor diesem hohen Standard und entscheidet sich sicherheitshalber dafür, keine neuen Herausforderungen anzunehmen.“ Über den grünen Klee gelobt zu werden, setze bei ihnen wohl Selbstschutz-Mechanismen in Gang. Was gut gemeint ist, entfaltet also den gegenteiligen Effekt.

Die Ergebnisse, über die die Universität Ohio vorab berichtete und die im Fachblatt „Psychological Science“ veröffentlicht werden, bestätigen Studien der Psychologin Carol Dweck von der Uni Stanford. Sie fand heraus, dass übermäßiges Lob vor allem schüchterne Mädchen im Grundschulalter in Stress versetzt. Dweck propagiert gezieltes Lob für erkennbare Anstrengungen, findet es hingegen gefährlich, wenn Erwachsene ein Kind für seine Fähigkeiten und Begabungen preisen.

Die Bedeutung von Anerkennung und Lob in der Erziehung wird durch diese Untersuchungen nicht geschmälert. Neben der Frage, wann und wofür es verteilt wird, zählt aber auch die überlegte Wortwahl, das richtige Maß und der Blick auf das Kind.

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