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Geehrt. Ulrich Hartl hat die Chaperonen der Zelle entdeckt.

© Axel Griesch, MPI für Biochemie

Ernst-Schering-Preis 2016: Molekulare Anstandsdame der Zelle

Wenn ein Gen abgelesen wird und in eine lange Aminosäurekette übersetzt wird, gibt es 10 hoch 30 Möglichkeiten, wie sie sich zu einem Eiweiß falten kann. Nur eine ist richtig. Ulrich Hartl hat herausgefunden, wie Chaperone bei diesem Origami helfen.

Auf dem Pult ist ein dichtes Knäuel aus Drähten aufgebaut, fast einen Meter groß. Von der Decke des Hörsaales dagegen hängt eine Leine, die an eine lange Lichterkette erinnnert. Es sind zwei Varianten des gleichen Eiweißes – gefaltet und ungefaltet –, und der Strukturbiologe David Phillips steht zwischen den Modellen. „Das Foto ist 1965 in London entstanden“, sagt Ulrich Hartl, Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Phillips habe damals erstmals die dreidimensionale Struktur eines Enzyms beschrieben.

Für Hartl illustriert das Foto ein Problem, an dem er seit fast 30 Jahren arbeitet. Wenn die Erbinformation abgelesen und mithilfe von Kopiermaschinen, den Ribosomen, in lange, aus 20 verschiedenen Aminosäuren bestehende Ketten übersetzt wird, ist die Arbeit für die Zelle nicht getan. „Es gibt dann 10 hoch 30 Möglichkeiten, wie sich diese Kette falten kann“, sagt Hartl. „Aber nur eine ist richtig. Nur eine ermöglicht, dass das jeweilige Eiweiß seine Aufgabe im Körper übernehmen kann.“ Teile der Kette sind zudem klebrig, sie gehören ins Zentrum des dreidimensionalen Gebildes. Andere Teile bilden die Oberflächenflächenstruktur.

Kunstvolles Origami in der Zelle

Dieses kunstvolle Origami schafft das gerade entstehende Eiweiß nicht allein, hat Hartl gezeigt. Chaperone, molekulare Anstandsdamen, springen ihm helfend bei. „Chaperone verhindern unerwünschte Verbindungen ihrer Schützlinge“, sagt Hartl. Für diese grundlegende Entdeckung wurde er nun in Berlin mit dem Ernst-Schering-Preis ausgezeichnet. Er ist mit 50 000 Euro dotiert.

„Chapeau!“, rief ihm der Laudator Helmut Sies, Biochemiker an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, zu. Über die Namensgebung der Moleküle könne man allerdings diskutieren. Heute würde man schließlich eher von Mentoren als von Anstandsdamen sprechen. „Wie wäre Mentorin?“

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Egal wie sie heißen – der Körper braucht sie dringend. Gilt es, eine vergleichsweise einfache Struktur aus der Aminosäurekette zu bilden, so lagern sich die Chaperone immer wieder an die klebrigen Stellen an. Sie schirmen sie vom Gedränge in der Zelle ab, bis das Eiweiß seine Form gefunden hat. Muss die Kette Origami für Fortgeschrittene bewältigen, leiten die Chaperone sie in eine Art Einzelbüro. Dort kann sie sich sekunden- oder minutenlang ungestört von allen Einflüssen auf ihre Aufgabe konzentrieren.

Die Qualitätskontrolle der Chaperone versagt im Alter öfter

Trotzdem kann etwas schiefgehen, etwa weil das Ribosom wegen einer Mutation eine falsche Aminosäure eingebaut hat oder weil beim Falten gerade kein Chaperon zur Stelle war. Statt funktionierender Eiweiße bilden sich dann klebrige Ablagerungen. Damit daraus keine schädlichen Plaques entstehen, werden sie von den Chaperonen aufgesammelt und zu einem Schredder, der Protease, bugsiert. Die einzelnen Aminosäuren kann die Zelle anschließend recyclen.

Es gebe Hinweise darauf, dass die Qualitätskontrolle der Chaperone mit fortschreitendem Alter öfter versagt, sagt Hartl. So bildeten sich vermutlich bei Alzheimer-Patienten die Plaques. Auch das unheilbare Nervenleiden Chorea Huntington (Veitstanz) breche erst im vierten oder fünften Lebensjahrzehnt aus. Bis zu 900 Eiweiße klebten dann zusammen, die Transportwege der Neuronen seien so verstopft, dass diese Zellen letztlich absterben. Der genetische Defekt, der das Eiweiß Huntingtin so giftig macht, sei aber von Geburt an vorhanden.

Er will die Zellen dazu bringen, wieder mehr Chaperone zu bilden. In der Petrischale und bei Fadenwürmern hat das bereits geklappt. Tötet man zum Beispiel mithilfe von Geldanamycin einzelne Chaperone, kompensiert das die Zelle, indem sie eine Gruppe unterschiedlicher Chaperone als Ersatz schickt. Sie bauen die klebrigen Ablagerungen ab. „Wir hoffen, dass wir mit diesem zelleigenen Verteidigungsmechanismus in Zukunft den Ausbruch von Chorea Huntington verzögern oder den Verlauf mildern können“, sagt Hartl. Geldanamycin komme allerdings nicht als Wirkstoff infrage. Es sei für den Menschen viel zu giftig.

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