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Die Berliner Charité nimmt mehr als 300 Studierende pro Semester auf.

© imago/Frank Sorge

Erfolgreich eingeklagt: Charité muss mehr Studierende aufnehmen

Die Berliner Charité muss nach Klagen von Bewerbern 30 zusätzliche Medizinstudierende zulassen - und ihre Kapazität für die Studienplätze neu berechnen.

Die Charité Berlin muss rückwirkend zum Wintersemester 2018/19 dutzende zusätzliche Studierende zum Humanmedizinstudium zulassen. 59 Studienbewerber hatten vor dem Verwaltungsgericht Berlin geklagt. Das Gericht verpflichtete die Uniklinik per einstweiliger Anordnung, 30 von ihnen nach einem Losverfahren zuzulassen. Der Beschluss erging Anfang Juli. In vergangenen Jahren dagegen waren Einklageversuche vor Gericht regelmäßig abgewiesen worden.

Die Charité habe die zusätzlichen Studierenden bereits nahezu vollständig immatrikuliert, erklärt Adelheid Kuhlmey, stellvertretende Prodekanin für Studium und Lehre. Die Uniklinik sei mit dem Beschluss jedoch nicht einverstanden und werde Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht einlegen.

"Die räumlichen, personellen und technischen Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, wird besondere Anstrengungen erfordern", teilt Kuhlmey auf Anfrage mit. Es würden auch Sonderkurse oder interne Zugangsbeschränkungen für Kurse erwogen. Dies diene vorwiegend dem Schutz der Patienten. Denn der Unterricht der Medizinstudierenden findet nicht nur in Hörsälen und Seminarräumen statt, sondern auch am Krankenbett. 476 Stunden dieses patientennahen Unterrichts schreibt die Approbationsordnung vor, in der die Ausbildung zukünftiger Ärzte geregelt ist. Die Anzahl der Patienten stelle den eigentlichen Engpass dar, erklärt Kuhlmey.

Die Patientenzahl als entscheidendes Maß

Die Patientenzahl ist also das entscheidende Maß, um die Zahl der Medizinstudienplätze festzulegen. Sie wird jedes Jahr neu berechnet. Zum letzten Wintersemester wurden - vor dem aktuellen Gerichtsbeschluss - 333 Bewerber immatrikuliert. Auf die Zahl kommt man durch eine mathematische Formel. Sie bezieht mit ein, wie viele Kranke im Durchschnitt auf allen Stationen der Charité liegen, wie viel Studierendenkontakt ihnen zuzumuten ist und wie groß die Unterrichtsgruppen sind.

Das Besondere an der Berliner Uniklinik ist, dass die Humanmedizin im Rahmen eines Modellstudiengangs gelehrt wird, der sich vom klassischen Regelstudiengang unterscheidet. Im Modellstudiengang haben die Studierenden schon frühzeitig Kontakt zu Patienten. Aufgrund des besonderen Formats können die Studienplatzzahlen hier anders festgelegt werden. Für die Charité geschieht das nach der Berliner Kapazitätsverordnung, die für das Charité-Modell bereits einmal angepasst worden war. Das Land Berlin hatte - weil es in einem früheren Urteil dazu verpflichtet wurde - zum vergangenen Wintersemester erneut einen Paragraphen dieser Verordnung geändert. Nun erklärte das Verwaltungsgericht diese Regelung für rechtswidrig. Die Berechnungen seien nicht plausibel, heißt es in dem Gerichtsbeschluss.

Das Gericht legte selbst die Schwelle fest

"Ohne diese Regelung gibt es quasi keine Kapazitätsbegrenzung mehr", sagt Marian Lamprecht, der als Rechtsanwalt mehrere Bewerber in dem Verfahren vertreten hat. Das heiße aber nicht, dass nun unbegrenzt Studierende zum Studium zugelassen werden, denn "die Funktionsfähigkeit der Hochschule muss gewährleistet sein“.

Das Gericht hat daher kurzerhand selbst die Schwelle festgelegt, nach der der Studiengang Humanmedizin "ernstlich gefährdet wäre", wie es in dem Beschluss heißt. Zu den durchschnittlich seit Beginn des Modellstudiengangs zugelassenen Bewerbern kommt so ein Aufschlag von zehn Prozent hinzu. Mit Abzug von zwischenzeitlich exmatrikulierten und beurlaubten Studierenden kommt das Gericht damit auf 30 zusätzliche Plätze.

Medizin-Studierende an der Charité - dort wird in einem Modellstudiengang gelehrt, der praxisbezogener sein soll als das traditionelle Studium.
Medizin-Studierende an der Charité - dort wird in einem Modellstudiengang gelehrt, der praxisbezogener sein soll als das traditionelle Studium.

© Kitty Kleist-Heinrich

Der Kammer sei bewusst, dass die Entscheidung die Charité "vor nicht unerhebliche Probleme" stelle, wie es im Gerichtsbeschluss heißt. Dies scheine ihr aber vertretbar zu sein, da die Charité in der Vergangenheit auch "in nicht unerheblichem Umfang Zulassungen im Vergleichswege ausgesprochen und damit signalisiert hat, dass Aufschläge auf die tatsächliche Zulassungszahl realisierbar sind“. Das heißt: Weil die Charité Bewerbern schon früher auf dem Nebenweg ihre Türen geöffnet hat, muss sie jetzt auch diese 30 außerplanmäßigen verkraften.

Studierendenvertreter wollen Patienten aus Tageskliniken integrieren

Der zusätzliche Ausbildungsaufwand wird "sowohl für die Studierenden, als auch Unterrichtende und Patient*innen spürbar sein", erklärt Adelheid Kuhlmey für die Charité. Die eingeklagten Studierenden würden aber keinesfalls anders behandelt werden als alle anderen. Die Fachschaftsinitiative Charité (FSI), die sich für die Belange der Medizinstudierenden einsetzt, befürchtet, dass sich die Entscheidung auf den Unterricht am Patienten auswirken könnte. "Mehr Studierende auf Station führen entweder nur dazu, dass mehr Personen gleichzeitig am selben Bett stehen, oder dazu, dass zusätzliche Gruppen zur gleichen Anzahl Patient*nnen kommen, was gegebenenfalls eine Mehrbelastung für diese darstellt", erklärt die FSI. Für jeden Studienplatz mehr brauche man auch einen finanziellen Ausgleich, ansonsten führe das zu einer Verschlechterung der Betreuungs- und Lernverhältnisse.

Um eine solide Grundlage für die Berechnung der Studienplätze zu haben, hat das Land Berlin die Stiftung für Hochschulzulassung damit beauftragt, festzustellen, wie belastbar Patienten sind, um dann einen Wert für die Neuberechnung zu haben. Die Ergebnisse werden bis „spätestens nach dem Sommersemester 2020“ erwartet, heißt es aus der Senatskanzlei Wissenschaft. Bis dahin gibt es eine Übergangsregelung, die sich leicht von der gerade als rechtswidrig erklärten unterscheidet. In Senatskanzlei sei man überzeugt, dass die Stiftung die derzeitige Regelung bestätigt.

Um den generellen Engpass mit Patienten zu lockern, haben die Studierendenvertreter der FSI eine Idee: Patienten aus Tageskliniken sollten in den Unterricht integriert werden. Bislang erlaubt die Approbationsordnung das nicht. Aber, so argumentieren die Studierendenvertreter, dadurch würden die Studierenden ein breiteres Spektrum an Patienten sehen - und darüber hinaus die ambulante Medizin stärken.

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