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Homosexuelles Paar in der Schweiz

© dpa-Bildfunk

Erbgut-Studie mit fast 500.000 Menschen: Homosexualität lässt sich nicht aus den Genen lesen

Fünf Gene des Menschen beeinflussen gleichgeschlechtliches Sexualverhalten. Eine „Homo-Signatur“ gibt es im Erbgut aber dennoch nicht.

Die nüchterne Frage, warum sich etwa zwei bis zehn Prozent der Menschen zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen, während sich der Rest eher Partner anderen Geschlechts sucht, ist im Kern eine verhaltensbiologische.

Doch obwohl gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Ehen inzwischen gesellschaftlich akzeptiert sind, wird noch immer heftig darüber gestritten, ob sich Forscher dieser Frage überhaupt widmen sollten. Wird da etwa nach einem „Defekt“ im Erbgut, nach einem „Fehler“ in der Entwicklung gesucht und damit womöglich pathologisiert, was die Gesellschaft hierzulande erst nach langem Ringen als zur Vielfältigkeit des Menschseins gehörend akzeptiert hat? Oder würde es eher mehr gesellschaftliche Anerkennung und Verständnis für Schwule und Lesben stiften, wenn Forscher Ursachen für den kleinen Unterschied im Lieben fänden?

Auch um die jüngste und bislang größte Studie, präsentiert im Fachblatt „Science“, wird es diese Diskussion geben. Anhand von Erbgutinformationen und Angaben zur Partnerwahl von 477.522 Menschen überprüfte ein Wissenschaftlerteam um Andrea Ganna vom Broad Institute in Cambridge, Massachusetts, ob es Genvarianten gibt, die mit gleichgeschlechtlicher Partnerwahl einhergehen. Die gesellschaftliche Debatte um ihr Projekt vorausahnend, entwickelten die Forscher eine eigene Website, um die Ergebnisse zu präsentieren und zu erklären.

Fünf Erbgutabschnitte sind mit gleichgeschlechtlicher Partnerwahl korreliert

Kurz zusammengefasst: Ja, es gibt fünf Genabschnitte im Erbgut des Menschen, die einen Einfluss auf gleichgeschlechtliche Partnerwahl haben. Zwei davon sind etwa an der Regulation von Sexualhormonen wie Testosteron und Östrogen beteiligt. Aber der Einfluss dieser Genvarianten – zwei finden sich nur bei Männern, zwei bei beiden Geschlechtern und eine nur bei Frauen – ist sehr gering. Zusammengenommen erklären die fünf Gene kaum ein Prozent des gleichgeschlechtlichen Verhaltens in der Bevölkerung.

Der Effekt ist sogar so marginal, dass die Forscher ausdrücklich betonen, dass anhand dieser Gene keine Vorhersage über die sexuelle Orientierung eines Menschen möglich ist – etwa per Gentest bei der Geburt. Dass Homosexualität in manchen Familien häufiger als in anderen vorkommt und neben Umweltfaktoren auch Vererbung eine Rolle spielt, haben bereits eine Reihe von Untersuchungen gezeigt – darunter auch Zwillingsstudien. Allerdings konnten Forscher bis dato keine Hinweise finden, welche der etwa 23.000 Gene des Menschen beteiligt sein könnten.

Als Grund hielt der Hinweis auf die zu geringe Anzahl der Untersuchten her. Mit der vorliegenden Studie ist dieses Argument nun vom Tisch. Gannas Team nutzte Datensätze von 408.995 Menschen, die der UK Biobank zu einer Erbgutprobe auch die Frage beantworteten, „Mit wem hatten Sie in der Vergangenheit Sex?“, und aus sechs verschiedenen Antwortmöglichkeiten von „ausschließlich mit dem gleichen Geschlecht“ bis hin zu „meist mit dem anderen Geschlecht“ wählen konnten. Die Daten weiterer 68.527 Studienteilnehmer steuerte die US-Firma „23andMe“ bei. Dort kann jedermann sein Erbgut zur Analyse einschicken und für Studienzwecke freigeben.

"Das Erbgut eignet sich nicht zur Diskriminierung von Menschen"

„Diese Studie zeigt deutlich, dass die Erblichkeit sexueller Orientierungen gering ist und man anhand des Erbguts einer Person diesbezüglich nichts ‚ablesen‘ kann“, sagt Jan Korbel vom „European Molecular Biology Laboratory“ in Heidelberg. „Es gibt kein einzelnes Gen, was die sexuelle Orientierung bestimmt.“ Das Erbgut eigne sich nicht zur Diskriminierung von Menschen verschiedener Geschlechtsneigung. Auch Markus Nöthen von der Universität Bonn stuft die Ergebnisse als „Meilenstein der Erforschung biologischer Ursachen homosexuellen Verhaltens“ ein. Der Humangenetiker hält allerdings die „oberflächliche Erfassung der überaus komplexen Verhaltensdimension sexueller Orientierung“ für problematisch.

Mehrere Ursachen für gleichgeschlechtliche Orientierung

Vermutlich gibt es ohnehin viele Faktoren, die gleichgeschlechtliche Orientierung prägen. Ray Blanchard etwa hat erforscht, ob hinter der statistischen Auffälligkeit, dass homosexuelle Männer häufiger ältere Brüder haben als der Bevölkerungsdurchschnitt, ein Schlüssel zum Verständnis gleichgeschlechtlicher Orientierung stecken könnte. Demnach könnten etwa 15 bis 29 Prozent der homosexuellen Männer schwul sein, weil ihre Gehirnentwicklung in der Schwangerschaft einer Immunreaktion der Mutter gegen bestimmte, für die Hirnentwicklung wichtige Proteine des Embryos ausgesetzt war. Diese Immunreaktion wird während der vorherigen Schwangerschaft ausgelöst, wirkt sich dann aber auf den jüngeren Bruder aus. „Die Ergebnisse von Andrea Ganna widersprechen dem nicht“, sagte Blanchard dem Tagesspiegel. Es sei sogar wahrscheinlich, dass Homosexualität sowohl durch genetische als auch solche vorgeburtlichen Umweltfaktoren beeinflusst werde.
Wie das Erforschen der Homosexualität in der Öffentlichkeit aufgenommen werde, sei eine Frage der „Mode“, meint Blanchard. „Es gab eine Zeit, in der Aktivisten das als beleidigend und ausgrenzend interpretierten“. Doch das habe sich geändert, als Forschungen, die die Unveränderlichkeit von Homosexualität belegten, ein gutes Argument für gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Eheschließungen waren. „Sicher sollten Wissenschaftler keine Forschung betreiben, die der Menschheit oder bestimmten Gruppen Schaden zufügt“, sagt Blanchard. Aber es sei nicht erstrebenswert, Forschung an der derzeitigen Meinungslage auszurichten. (mit smc)

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