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Eltern mit dunklen Haaren bekommen dunkelhaarige Kinder? Ganz so einfach ist es nicht. Denn von Tönungen mal abgesehen bestimmen über hundert Gene, welche Haarfarbe vererbt wird.

© Volker Hartmann/dapd

Erbgut: Mehr als 120 Gene entscheiden über die Haarfarbe

Schwarz, blond oder rot: Etwa ein Dutzend Gene beeinflussen die Haarfarbe des Menschen, hieß es bisher. Doch es sind viel mehr. Das hat Folgen für Analysen von Tatort-DNS.

Das Erbgut von insgesamt knapp 300.000 Menschen haben Forscher auf der Suche nach Genen durchkämmt, die die Haarfarbe beeinflussen. Bislang waren erst 13 bekannt, die neue Studie, veröffentlicht im Fachblatt „Nature Genetics“, fand nun insgesamt 124 Genregionen, die über eine blonde, braune, schwarze oder rote Mähne mitbestimmen.

Erbgut-Daten von hunderttausenden von Freiwilligen

„Das ist eine große Zahl“, sagt Manfred Kayser vom Medizinischen Zentrum der Erasmus Universität Rotterdam, der die Studie mitgeleitet hat. Bei vorherigen Analysen mussten die Forscher sich mit Erbgutproben von wenigen tausend Menschen begnügen, deren Haarfarbe ihnen bekannt war. Dabei lassen sich nur Gene finden, die einen relativ großen Einfluss auf das Merkmal Haarfarbe haben. Doch diese 13 Gene allein konnten nicht komplett erklären, wie das Erbgut den Haaren den Ton angibt. Zwillingsstudien zufolge hängt die Haarfarbe bis zu 97 Prozent vom Erbgut, kaum von Umwelteinflüssen ab.

Um die übrigen Gene zu finden, wandte sich Kaysers Team in Zusammenarbeit mit Timothy Spector vom King's College London daher an die britische Biobank Initiative und die US-Firma 23andme, die sowohl die Gendaten als auch Informationen über das äußere Erscheinungsbild von 133.238 beziehungsweise 157.653 Menschen mit europäischer Herkunft beisteuerten. In 124 Genregionen, eine davon auf dem Geschlechtschromosom „X“, fanden die Forscher Abweichungen, die die Erblichkeit von roten Haaren zu 35 Prozent erklären, das von blonden Haaren zu 25 Prozent und von schwarzen zu 26 Prozent.

Die Farbe von Haaren, Augen und Haut bestimmten teils die gleichen Gene

Dass so viele Gene zu diesem wichtigen äußerlichen Merkmal von Menschen beitragen, kam für Kayser nicht unerwartet. „Es hätten auch noch mehr sein können.“ Wie genau die einzelnen Genvarianten zum Entstehen der Haarfarbe beitragen, müssen die Forscher erst noch untersuchen. Denn überraschenderweise sind mehr als 100 Genregionen zuvor gar nicht mit menschlicher Pigmentierung in Zusammenhang gebracht worden. So gibt es beispielsweise solche, die üblicherweise die Apoptose regulieren, also das Selbsttötungsprogramm der Zellen, die nun aber auch zur Haarfarbe beitragen sollen. Auch was Gene für die Pigmentierung tun, die sonst das Wandern von Zellen steuern, ist unbekannt.

Dass zumindest einige der neu entdeckten Haarfarb-Gene wohl auch die Augen- und Hautfarbe beeinflussen dürften, wäre hingegen wenig überraschend. „Schon von den zuvor bekannten 13 Haarfarbgenen wissen wir, dass alle außer einem alle drei Pigmentierungsmerkmale des Menschen beeinflussen“, sagt Kayser. Das liegt daran, dass die Farbstoffe Eumelanin und Pheomelanin in Haut, Haar und Auge von den gleichen spezialisierten Zellen, den Melanozyten produziert werden. Sie stecken in der Haut und in den Haarwurzeln und auch in der Iris des Auges.

Bessere Vorhersage der Pigmentierung eines Täters aus Erbgutspuren

Das neue Wissen könnte sich positiv auf das Verständnis von Krankheiten auswirken, die mit Pigmentierung zusammenhängen, etwa Hautkrebs, hofft Kayser. Darüberhinaus sollte sich allerdings auch das Herauslesen des äußeren Erscheinungsbildes eines Täters aus der DNS von Blut- und Spermaspuren eines Tatorts verbessern lassen, die sogenannte DNS-Phänotypisierung. „Zumindest schaffen unsere Ergebnisse dafür die Grundlage“, sagt Kayser.

Über hundert Genregionen können die Forscher in der DNS-Spur eines Täters ohnehin nicht überprüfen. Dafür findet sich an einem Tatort in der Regel viel zu wenig Erbgut, das noch dazu meist in schlechtem Zustand ist. „Es gibt zwar Methoden, die Hunderttausende von Erbgutvarianten überprüfen können, aber dafür reicht eben die DNS-Menge und der Erhaltungszustand nicht aus“, sagt Kayser, der im EU-Projekt „Visage“ bereits an Lösungen für diese technologische Hürde arbeitet. Bis es soweit ist, werden im „HIresPlex“-Test für die Bestimmung von Augen- und Haarfarbe, den Kaysers Labor entwickelt hat, nur die 24 aussagekräftigsten Genvarianten abgefragt, um die Haar- und Augenfarbe aus Täter-DNS zu bestimmen. Eine Erweiterung der Methode, mit der sich nun zusätzlich auch die Hautfarbe bestimmen lässt, stellte Kayser vergangenen Freitag im Fachblatt „Forensic Science International: Genetics“ vor. Dabei werden insgesamt 41 Erbgutvarianten abgefragt.

Deutsche Gesetze verhindern eine Anwendung der Tests

In Deutschland sind all diese Tests nicht anwendbar. Eine Initiative der Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg, die gesetzlichen Regelungen zu ändern, ruht seit der Bundestagswahl. „Es ist eine vergebene Chance, die DNS-Phänotypisierung in Deutschland nicht zu nutzen“, sagt Kayser. Andere Länder in Europa sind weniger zurückhaltend. In der Schweiz soll das Thema noch in diesem Jahr im Nationalrat diskutiert werden. Und in Staaten wie Schweden, Spanien oder Polen kann DNS ohnehin wie jede andere Tatort-Spur auch untersucht werden. Dort ist nur das Speichern von Erbgutdaten eingeschränkt, was bei der DNS-Phänotypisierung nicht nötig ist.

In den Niederlanden, wo der gebürtige Berliner Kayser forscht, war die Gesetzgebung schneller als die Forschung. Das Parlament hatte schon Rahmenbedingungen beschlossen, bevor die forensischen Techniken existierten. Demnach können - nach parlamentarischer Prüfung - alle äußerlich erkennbaren Merkmale, die etwa auch ein Augenzeuge berichten könnte, aus Täter-DNS ermittelt werden.

„Natürlich haben die bisherigen Verfahren technische Grenzen und lassen sich noch weiter optimieren“, sagt Kayser, „aber die Frage ist doch, ob das bisher Mögliche nicht schon nützlich genug ist.“ Wenn in einigen Fällen die blaue Augenfarbe eines Täters nur mit 70prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden kann, dann mag das für manche Ermittlung zu vage sein. „Aber in einem Fall, in dem man sonst keine Informationen hat, lohnt es sich eben doch, diesem Hinweis nachzugehen“, meint Kayser. „Normalerweise weiß man doch gar nicht, wie präzise die Aussagen von Augenzeugen oder andere Indizien sind und trotzdem werden sie von der Polizei in der Fahndung schon immer benutzt.“

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