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Probengefäß im Labor

© Felix Petermann/MDC

Epidemiologie mit Berliner Abwasser: Haushalte liefern Hinweise für Coronavirus-Infektionsschutz

Neue Varianten des Coronavirus können im Abwasser frühzeitig entdeckt werden. Berlin ist Versuchsstandort für eine neue Analysemethode.

Mit dem Abwasser liefern täglich Millionen Berlinerinnen und Berliner Probenmaterial, das auf Krankheitserreger untersucht werden kann. Der Vorteil für Forschende, die nach neuen Varianten des Coronavirus Sars-Cov-2 suchen, liegt darin, dass sich per Toilettengang alle Menschen regelmäßig beteiligen.

„Man hat eine relativ repräsentative Übersicht“, sagt der Molekularbiologe Emanuel Wyler vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) dem Tagesspiegel. Die Proben werden nicht nur von Menschen genommen, die akut erkrankt sind oder sich etwa als Reiserückkehrer an einer Untersuchung beteiligen.

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Eine Mischung von Proben vieler Menschen

In einer bislang nicht in einem Fachjournal veröffentlichten Studie stellt ein Forschungsteam mit Wyler ein neues Analyseverfahren für Abwasserproben vor, die am Klärwerk entnommen werden. Es kann zeigen, welche Virusvarianten darin vorhanden sind und wie sich ihre Verbreitung entwickelt, zum Beispiel die der neuen Variante Omikron. „Wir können das Infektionsgeschehen bei mehreren Hunderttausend Menschen gleichzeitig beobachten“, sagt Wyler.

Die Entschlüsselung vom Virenerbgut, das bei Coronaviren aus RNA besteht, hat sich bereits als Mittel erwiesen, um die Infektionsdynamik abzuschätzen. Die MDC-Forschenden haben jetzt ein Softwarepaket entwickelt, um anhand der Sequenzierungsdaten aus Abwässern kritische Veränderungen der Infektionsraten über die Zeit und an verschiedenen Orten aufzeigen zu können.

Bislang ist der Einsatz auf Berlin beschränkt. Die Proben stammen aus Klärwerken, in denen Abwasser aus jeweils Tausenden Haushalten ankommt. Am MDC werden seit Monaten im Rhythmus von ein oder zwei Wochen entnommene Proben analysiert. Das Wasser wird zunächst gefiltert, um grobe Verunreinigungen zu entfernen und dann erneut, um die Viruspartikel anzureichern. Die RNA wird extrahiert und entschlüsselt.

[Lesen Sie bei Tagesspiegel Plus: Schnelltest für die Stadt - Virusnachweise im Abwasser sind Infektionsmeldungen Tage voraus]

„Wir sehen eine Mischung von Proben vieler Menschen“, beschreibt Wyler eine Einschränkung der Methode. Es ist nicht klar, von welchen und von wie vielen Menschen das gefundene Virusmaterial stammt. Aber man kann seine Menge messen, um Rückschlüsse auf die Entwicklung von Inzidenzen zu ziehen. Die Europäische Kommission koordiniert den Aufbau eines entsprechenden Systems in den Mitgliedsstaaten, um das Pandemiegeschehen besser zu überwachen.

„Wir untersuchen die Proben darüber hinaus auf die Anteile der verschiedenen Varianten und suchen auch nach neuen Varianten“, sagt Wyler. In der aktuellen Preprint-Veröffentlichung beschreibt das Team Analyseergebnisse von Proben, die zwischen Februar und Juni in Zusammenarbeit mit den Berliner Wasserbetrieben gesammelt wurden.

Alpha nahm zu, Delta fasste Fuß

Der Anteil der Alpha-Variante nahm in dieser Zeit von etwa 30 auf über 90 Prozent zu. Die Beta-Variante erreichte im Mai einen Höchststand von knapp sieben Prozent und sank bis Juni auf zwei. Die Verbreitung der mittlerweile vorherrschenden Variante Delta zeichnete sich erst ab. Ihr Anteil nahm bis Mitte Juni auf etwa vier Prozent zu. Der Abgleich mit Daten des Robert-Koch-Instituts zeigte, dass die Daten aus bundesweit erfassten PCR-Testungen sich gut mit den Daten aus dem Berliner Abwasser deckten.

Das MDC-Team konnte auch nachweisen, dass in Berlin im Frühling zwischenzeitlich eine bestimmte Mutation der Alpha-Variante auftrat. „Unsere Analyse kann dazu verwendet werden, neue Mutationen herauszufiltern und neu entstehende, bedenkliche Varianten zu erkennen, bevor sie klinisch entdeckt werden“, berichten die Forschenden.

„Die Abwasseruntersuchung kann gut zeigen, wie schnell sich Varianten ausbreiten“, sagt Wyler. In den nächsten Wochen bis Mitte Januar wird das Team wieder häufiger Proben nehmen, um zu untersuchen, ob sich die Omikron-Variante in Berlin verbreitet. Das Abwasser ermögliche dabei einen unvoreingenommenen Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen.

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