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Vor mehr als 17.000 Jahren bauten Steinzeitmenschen aus einer 31 Zentimeter langen Schale einer Tritonschnecke ein Blasinstrument, das einem Waldhorn ähnelte.

© C. Fritz, Muséum d'Histoire naturelle de Toulouse

Entdeckung im Museum: Ein Waldhorn der Steinzeit

Eine Jahrtausende alte Schneckenschale zeigt auffällige Bearbeitungsspuren. Jetzt wurde ihre Funktion praktisch überprüft.

Bereits vor mehr als 17.000 Jahren könnten Steinzeitmenschen in einem Höhlen-Theater am Fuß der französischen Pyrenäen Stücke aufgeführt haben, die auf einem Blasinstrument mit dem Klang eines Waldhorns begleitet wurden. Das vermuten Carole Fritz von der Universität Toulouse II und ihre Kollegen.

In der Zeitschrift „Science Advances“ beschreibt das Team eine 31 Zentimeter lange und 18 Zentimeter breite Schale einer Tritonschnecke, die steinzeitliche Instrumentenbauer zu einer Art Waldhorn umgebaut hatten. Das große Haus einer Knotentragenden Tritonschnecke wurde bereits 1931 am Eingang zur 50 Meter langen Marsoulas-Höhle am Fuß der Zentral-Pyrenäen in Süd-Frankreich gefunden. Diese großen, bis zu 40 Zentimeter langen Schnecken der Art Charonia lampas leben noch heute bis in 80 Meter Tiefe im Atlantik vor Frankreich. Kleinere Exemplare kommen auch im westlichen Mittelmeer vor.

Da die Schalen begehrte Sammlerstücke sind, hielten die Forscher ihren Fund für ein Gefäß, aus dem in der Steinzeit bei Zeremonien getrunken wurde. Dann geriet das Fundstück in den Sammlungen des Naturkundemuseums von Toulouse in Vergessenheit.

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Ähnlichkeiten mit moderneren Instrumenten

Als Fritz und ihr Team das Schneckenhaus jetzt wieder entdeckten, zeigten moderne Analysemethoden, dass es bearbeitet worden war. Die Steinzeitmenschen hatten an der massiven Spitze, an der die Schnecken ihr Wachstum beginnen, mit gezielten Schlägen sechs der nach außen ragenden Knoten entfernt und an der Spitze eine Öffnung mit einem Durchmesser von rund 3,5 Zentimetern gebohrt.

Daran fand das Team um Fritz Reste einer heute braunen, organischen Substanz, bei der es sich um Harz oder Wachs gehandelt haben könnte. Es könnte als Verbindungsmaterial zu einem aus Knochen gefertigten Mundstück gedient haben, vermuten die Forschenden. Ähnliche Instrumente haben Menschen in viel späteren Epochen im heutigen Syrien, in Neuseeland und in anderen Teilen der Welt gebaut und damit Musik gemacht.

In jüngerer Vergangenheit wurde in Neuseeland dieses Blasinstrument aus der Schale einer Seeschnecke gefertigt.
In jüngerer Vergangenheit wurde in Neuseeland dieses Blasinstrument aus der Schale einer Seeschnecke gefertigt.

© Musée du Quai Branly, Jacques Chirac

Aber handelte es sich wirklich um ein Musik-Instrument? Um das zu überprüfen, bat Fritz einen Hornisten, ein paar Noten auf diesem mehr als 17.000 Jahre alten Instrument zu spielen. Und tatsächlich entlockte der Musiker der Schneckenschale mit ähnlichen Bewegungen von Lippen und Backen wie ein Trompeter verschiedene Töne, die an ein Waldhorn erinnern.

Heute noch sichtbare Farbreste konnte das Team mit Hilfe einer Röntgenfluoreszenz-Analyse als Ocker identifizieren. Anscheinend war die Schale mit ähnlichen Motiven verziert, wie sie auch in Steinzeit-Malereien in der Marsoulas-Höhle zu sehen sind: Ein Wisent ist dort mit Punkten dargestellt, abstrakte Zeichnungen zeigen zum Beispiel Quadrate, deren Bedeutung bis heute ungeklärt ist. Vieles deutet darauf, dass ein Zusammenhang zwischen dem Musikinstrument und den alten Malereien besteht.

Steinzeit-Theater

War die Höhle von Marsoulas vielleicht ein Theater, in dem Darbietungen mit Musik-Begleitung gezeigt wurden? Nicholas Conard, der an der Universität Tübingen ebenfalls Kunstwerke und Musikinstrumente untersucht, die seine Gruppe in Höhlen der Schwäbischen Alb gefunden hat, hält das für möglich: „Schließlich hatten die Menschen damals einen ähnlichen Verstand wie die Menschen des 21. Jahrhunderts.“ Wieso sollten sie also nicht Theaterstücke mit Musikbegleitung aufgeführt haben? Vielleicht wurden auch Schattenspiele gezeigt und mit Gesang, Klatschen und Trommeln begleitet. Die Verbindung zwischen Malereien und Instrumenten macht die Marsoulas-Höhle einmalig.

Das dort gefundene Waldhorn aus einer Schneckenschale ist jedoch keineswegs das älteste bisher entdeckte Musikinstrument der Welt. „Wir haben in den Höhlen Geisterklösterle, Hohler Fels und Vogelherd auf der Schwäbischen Alb Flöten gefunden, die in der Steinzeit aus den Knochen von Schwänen und Gänsegeiern gemacht worden waren oder aus Mammut-Elfenbein meisterhaft angefertigt wurden“, erklärt Conard. Diese Fundstücke seien bis zu 42.000 Jahre alt. Und auch in diesen Höhlen war Musik nicht die einzige Kunstform: Die Tübinger Archäologen fanden dort auch verschiedene Figuren wie Mammuts, Wisente, Höhlenbären und Höhlenlöwen, aber auch Menschen und sogar Löwenmenschen, die Menschen der Steinzeit aus Elfenbein geschnitzt hatten.

Kunst und Musik könnten in der Steinzeit also vielleicht eine ähnliche Rolle wie heute gespielt haben. Und nicht nur das: Der Anthropologe Jerome Lewis vom University College in London vermutet aus seinen Beobachtungen bei Pygmäen und anderen Jägern und Sammlern der heutigen Zeit, dass die menschliche Sprache sich aus Musik und Gesang entwickelt hat.

Handfeste Beweise aber finden Archäologen für solche Überlegungen kaum. Allenfalls Steinzeit-Indizien wie die Flöten der Schwäbischen Alb und die Waldhörner der Pyrenäen. Oder moderne Hinweise wie Mütter, die ihren Säuglingen oft lieber Lieder vorsingen als ihnen Geschichten zu erzählen.

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