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Vor dem historischen Hauptgebäude der LMU München liegen Studierende auf dem Rasen und lesen.

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Empfehlungen zu gendergerechter Sprache: Bayern stellt Hochschulen unter Gender-Generalverdacht

Unis in Bayern sollen laut Landesregierung ihre Leitfäden zu gendergerechter Sprache checken. Ein populistischer Vorstoß ohne Faktenlage, meint unser Kolumnist.

Bayerns CSU-Ministerpräsident war mal wieder nach einer kernigen Ansage zumute. In der „Augsburger Allgemeinen“ warnte Markus Söder vor einem „Gendergesetz oder Genderstrafzettel“. Speziell die Situation an den Hochschulen sorgt ihn offenbar: „Es kann nicht sein, dass Studenten möglicherweise eine schlechtere Bewertung bekommen, nur weil sie keine Gendersternchen verwenden.“

Weshalb er Wissenschaftsminister Bernd Sibler (ebenfalls CSU) jetzt gebeten habe, „zu überprüfen, was es da so alles gibt“. Mit dem „so alles“ meint Söder vor allem die Sprachleitfäden der Hochschulen die, wie es etwa in der Version der Uni Regensburg heißt, dazu auffordern, gendergerechte Sprache „verstärkt zu verwenden“. Zum Beispiel, indem es „Lehrende“ statt „Lehrer“ heißt oder „Bewerber*innen“ statt „Bewerber“.

Minister Sibler teilte umgehend mit, er habe die Hochschulen darauf hingewiesen, dass ihre Leitfäden allenfalls Empfehlungen enthalten dürften. Daraufhin sollten sie diese nun überprüfen.

Punkabzüge für Nicht-Gendern kann und darf es nicht geben

Ohne Zweifel: Gendergerechte Sprache ist immer gut für eine Debatte. Worte prägten unser Denken, argumentieren ihre Befürworter. Es geht ihnen darum, alle Menschen in und durch Sprache sichtbar und hörbar zu machen – als Voraussetzung für mehr Chancengleichheit und Gleichberechtigung. Kritiker erleben solche Versuche als Verhunzung des Deutschen, sie sprechen von Wortungetümen, Verstößen gegen Orthographie und Grammatik.

[Lesen Sie auch diesen Eintrag im Queer-Lexikon des Tagesspiegels: Was sind Gendersternchen und Gendergap?]

Ebenfalls ohne Zweifel: Eine Pflicht zum Gendern – und Punktabzug bei ihrer Nichtbeachtung – darf und kann es an den Hochschulen nicht geben. Weder offiziell verordnet noch informell über sozialen Druck durchgesetzt.

Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.
Unser Kolumnist Jan-Martin Wiarda. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.

© Privat

Die entscheidende Frage aber lautet: Was ist der Anlass für Söders Vorstoß gerade jetzt? Hat er konkrete Belege für schlechtere Bewertungen? Und wenn auch Sibler betont, die Inhalte der Leitfäden dürften „grundsätzlich nicht zu einer Benachteiligung der Studentinnen und Studenten bei der Bewertung“ führen: Bezieht er sich auf aktuelle Beispiele, dass dies tatsächlich passiert?

Dem Münchner Ministerium sind gar keine einschlägigen Fälle bekannt

Das Wissenschaftsministerium teilt auf Nachfrage mit, es seien ihm bisher „keine konkreten Fälle von schlechterer Benotung aufgrund des Nichtverwendens von gegenderter Sprache gemeldet worden“.

Was zu den Berichten aus den Hochschulen passt. Regensburg Unipräsident Udo Hebel versichert, der dortige Leitfaden sei „kein Zwang, sondern empfiehlt gendergerechte Sprache als Zeichen des Respekts vor allen Menschen“. Auch ihm seien keine Fälle von Benachteiligung von Studierenden bekannt. Übrigens existiert der Regensburger Leitfaden (mit Überarbeitung 2019) bereits seit 2012.

[Lesen Sie zum Thema auch diesen Bericht vom Mai 2021: Wie es Berliner Hochschulen mit dem Gendern halten]

Bayerns größte Hochschule, die Ludwig-Maximilians-Universität, hat noch nicht einmal von der Hochschulleitung verabschiedeten Richtlinien, sondern lediglich aus dem Jahr 2011 stammende Empfehlungen der Frauenbeauftragten.

Ministeriumssprecherin Kathrin Gallitz sagt indes, es sei aus Studierendenkreisen immer wieder die Sorge zu hören gewesen, „dass der Inhalt der Leitfäden irrtümlich auf das Prüfungsgeschehen übertragen werden könnte und eine schlechtere Bewertung erfolgt, weil die Prüflinge beim Ablegen einer Prüfung die Inhalte der Leitfäden nicht beachten“. Weshalb sich Minister Sibler zu einer „Sensibilisierung“ entschlossen habe.

Eine auffällige Diskrepanz zu der Aussage Söders, er habe die Überprüfung veranlasst. Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass letzterer einfach Lust hatte, eine Genderdebatte anzuzetteln. Vielleicht glaubte er ja, wenige Tage vor der Bundestagswahl so ein paar zusätzliche Stimmen für die CSU zu generieren. Wobei jene, die ihm zustimmen, vermutlich ohnehin zur Stammwählerschaft gehören. Der Preis ist, dass Söder die bayerischen Hochschulen unter einen Generalverdacht stellt.

Seinem Wissenschaftsminister ist die ganze Sache insofern merklich unangenehm. Sein Statement zur angeordneten Überprüfung beendete Sibler mit einem Hoch auf die Leitfäden. Die seien ein wichtiger Beitrag, „Vielfalt, Toleranz und Respekt auf dem Campus und auch außerhalb zu leben“. Die Hochschulen „als Orte des Miteinanders und der Chancengleichheit sensibilisieren mit ihren Sprach-Leitfäden für einen respektvollen Umgang miteinander. Das halte ich für wichtig“.

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