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Hinter einer spiegelnden Glasscheibe arbeiten zwei Frauen in einer Bibliothek.

© Jens Kalaene/dpa

Empfehlung zum wissenschaftlichen Publizieren: Berliner Akademie fordert mehr Freiheit für Autoren

Die Berlin-Brandenburgische Akademie fordert ein weiter verbessertes Urheberrecht für Wissenschafts-Autoren. Gleichzeitig appellieren die Experten an die Zunft, auf redundante Veröffentlichungen zu verzichten.

Das Paradies? Martin Grötschel, renommierter Mathematiker und designierter Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW), hat davon eine konkrete Vorstellung: „Ein einziges großes Repositorium, in dem alles zugänglich und alles mit allem verlinkt ist.“ Eine weltweit frei zugängliche digitale Datenbank für die Veröffentlichungen aller Fächer, aller Universitäten, aller Forscher schwebt Grötschel vor. Ein Ort, an dem das Wissen vielfältig miteinander verwoben ist und der zugleich den idealen Ausgangspunkt für weitere Forschung bietet.

Von solch einem Paradies allerdings ist die Wissensgesellschaft noch weit entfernt. Zwar schreitet der Ausbau von Open-Access-Portalen und -Journalen seit Jahren voran. Aber von einem flächendeckenden freien Zugang zu öffentlich finanzierter Forschung kann immer noch keine Rede sein. Es gibt nicht mal eine einheitliche Stoßrichtung.

Die Wissenschaftsverlage setzen auf den „Goldenen Weg“, bei dem Wissenschaftler für die Publikation ihrer Artikel eine Gebühr bezahlen, damit diese anschließend frei verfügbar sind. Universitäten nutzen den „Grünen Weg“: Sie richten Repositorien ein, auf denen kostenpflichtige Journalartikel wenigstens durch Zweitveröffentlichung zugänglich gemacht werden können. Der Gesetzgeber hat dafür kürzlich das Urheberrecht reformiert. Es räumt dem wissenschaftlichen Urheber nun ausdrücklich ein Zweitveröffentlichungsrecht ein – allerdings erst nach einer zwölfmonatigen Sperrfrist.

700 Forscher wurden über eine Umfrage beteiligt

Restlos überzeugend sind diese Ansätze alle noch nicht. Das hat die BBAW nun veranlasst, in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe über einen Zeitraum von vier Jahren eigene Handlungsempfehlungen „zur Zukunft des wissenschaftlichen Publikationssystems“ zu erarbeiten. Man hat dafür Expertisen von Verlagen und Bibliotheken eingeholt, vor allem aber die Kollegen befragt: Was wünschen sich die Wissenschaftler selbst, wo sehen sie die größten Probleme, welche Fragen müssen noch geklärt werden?

700 Forscher beteiligten sich über eine Online-Plattform an der Diskussion. Die einen sorgen sich um die Qualitätssicherung, die anderen um die Langzeitarchivierung. Und viele Geisteswissenschaftler sehen die Sache ohnehin skeptischer als die Naturwissenschaftler. Mit einigen Mühen hat sich die Arbeitsgruppe am Ende mit dem Rat der BBAW auf eine gemeinsame Position geeinigt, die soeben im Netz und als Broschüre veröffentlicht wurde.

Die Zweitveröffentlichungs-Sperrfrist muss weg

Zunächst positioniert sich die Akademie ganz grundsätzlich: Angesichts der zahlreichen Vorteile von Open Access sei die digitale Publikation „der gedruckten im Prinzip vorzuziehen“. Außerdem mahnt die BBAW an, dass die zersplitterte Repositorien-Landschaft, in der jede Universität ihre eigene Datenbank betreibt, wenig sinnvoll sei. Besser sei eine „stärkere Orientierung am Modell des fachspezifischen Repositoriums“. Außerdem solle der Gesetzgeber nachbessern: Die Zweitveröffentlichungs-Sperrfrist müsse weg. Suboptimal seien auch die fehlenden formalen und technischen Standards, beides erschwere die Durchsuchbarkeit und Zitierbarkeit von Repositorien-Texten. Hier müssten verbindliche Richtlinien her.

Sorgen bereitet der Akademie auch die derzeitige Entwicklung beim „Golden Open Access“. Der Trend zum gebührenfinanzierten Publizieren hat die Preise hochgetrieben und teilweise unseriöse Journalbetreiber auf den Plan gerufen, die auf strenge Peer-Review-Verfahren verzichten.

Mehrfach publiziert und in etlichen Repositorien abgelegt

Außerdem zeichne sich eine weitere Fehlentwicklung ab: Weil Karrieren im Wissenschaftsbetrieb mehr und mehr von bibliometrischen Indikatoren abhängig sind, also von der statistischen Erfassung der Publikationsmenge, kommt es zunehmend zu „leerem Mengenwachstum“. Texte werden, leicht abgewandelt, mehrfach publiziert und parallel auch noch in etlichen Repositorien abgelegt – nur um die eigene Publikationsliste länger wirken zu lassen.

Der BBAW missfällt das ausdrücklich: „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird empfohlen, auf redundante Veröffentlichungen zu verzichten.“ „Wir wissen, dass das ein frommer Wunsch ist“, sagt Arbeitsgruppen-Sprecher Peter Weingart. Aber manchmal braucht es wohl fromme Wünsche, wenn man in der Ferne das Paradies vor Augen hat.

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