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Nur eine Kopie. Die Erbauer von Stonehenge haben die Steinkreise nicht erfunden, sondern ältere Vorbilder nachgeahmt. Foto: imago

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Wissen: Ein Mekka der Steinzeit

Nicht Stonehenge, sondern die Steinkreise auf den Orkney-Inseln waren der Ursprung der Megalith-Kultur.

Stonehenge im Süden Englands ist möglicherweise eine der bekanntesten Totengedenkstätten der Welt. Bereits vor rund 4600 Jahren kamen Tausende Menschen aus verschiedenen Regionen der britischen Inseln und aus dem mehr als 600 Kilometer entfernten schottischen Hochland zu diesem Kreis aus riesigen Sand-, Kalk- und Basaltsteinen in Südengland, um dort hochrangige Verstorbene rituell zu verbrennen. Das schließen Umberto Ambarella und Sarah Viner von der Universität von Sheffield in England aus Isotopen-Analysen, die sie im Jahr 2013 durchgeführt haben. Mehr als 60 solcher Verbrennungsorte haben Forscher in Stonehenge bisher entdeckt. Die Steinkreise aber wurden nicht in England, sondern wahrscheinlich auf den Orkney-Inseln nördlich von Schottland erfunden, berichtet Michael Balter im Fachblatt „Science“.

Einen Hinweis darauf, dass die Megalith-Kultur im hohen Norden entstand, fanden Archäologen in einer Siedlung in der Nähe von Stonehenge. Vor 4600 Jahren lebten etwa 4000 Menschen in dem Dorf. Ihre Häuser hatten sie genauso konstruiert wie die Gebäude in Skara Brae, einer Steinzeit-Siedlung an der Westküste der größten Orkney-Insel Mainland: In der Mitte spendete ein Herd im Winter Wärme und gekochtes Essen, um dieses Zentrum standen Betten und Küchenschränke aus Steinplatten. Allerdings sind die acht Steinzeithäuser von Skara Brae etwa 300 Jahre älter.

Das allein macht aus den abgelegenen Orkney-Inseln noch kein Mekka der Steinzeit, von wo aus sich eine neue Kultur über die britischen Inseln verbreitete. Doch es gibt weitere Puzzlesteine. Im Jahr 2003 stieß ein Bauer auf Mainland beim Pflügen seines Ackers auf einen seltsamen Stein. Sein Feld liegt auf einer Landzunge zwischen einer Meeresbucht und einem großen Süßwassersee. Genau dort haben Archäologen seither etwa ein Zehntel der etwa 10 000 Quadratmeter umfassenden steinzeitlichen Siedlung Ness of Brodgar ausgegraben.

Vor mindestens 5200 Jahren wurde der Komplex von zwölf Bauten errichtet, mit bis zu vier Meter dicken Außenmauern voller Schmetterlingsgravierungen. Sie standen mehr als ein Jahrtausend und dienten möglicherweise nicht nur den Bewohnern der Orkney-Inseln, sondern auch den Menschen vom schottischen Festland als Wallfahrtsort. Im Zentrum von Ness of Brodgar befand sich eine Art Kathedrale oder Stadthalle mit einer Fläche von rund 500 Quadratmetern.

Diese Menschen lagerten ihre Essensvorräte in Keramikgefäßen mit flachen Böden und eindrucksvollen Mustern, die erstmals vor 5100 bis 5300 Jahren auf den Orkneys gebrannt wurden. Erst vor 4800 Jahren tauchte diese Keramik überall in England auf, auch in der Nähe von Stonehenge. Vor mindestens 4800 Jahren, vielleicht auch 200 Jahre früher und damit lange vor Stonehenge bauten die Menschen vor dieser Landenge außerdem einen mächtigen Steinkreis, den heute jeder Orkney-Tourist kennt: die „Stones of Stenness“. 5,70 Meter ist der größte dieser mächtigen Steine hoch und dreißig Zentimeter dick.

Die Megalithen kamen aus mindestens fünf verschiedenen Steinbrüchen auf den Orkney-Inseln. Mark Edmonds von der Universität von York vermutet, dass schon der Bau und später die Rituale sonst verstreut lebende Menschen zusammengeschweißt haben: „Sie kamen in das Zentrum ihrer Welt.“ Und sie hatten etwas völlig Neues geschaffen, meint Colin Richards von der Universität von Manchester: „Nie zuvor haben Menschen auf der Erde Steine dieser Größe so weit transportiert und sie aufgerichtet.“

Bald errichteten die Menschen auf der anderen Seite der Landenge einen noch größeren Megalith-Steinkreis, den „Ring of Brodgar“ mit einem Durchmesser von 104 Metern. Genau wie beim Bau von Stonehenge setzten solche Bauvorhaben eine straffe Hierarchie voraus: Eine Elite organisierte die Arbeit von Hunderten, vielleicht Tausenden von Menschen.

Weshalb sollten ausgerechnet die Steinzeitmenschen auf den abgelegenen Orkney-Inseln die riesigen Steinkreise auf den britischen Inseln erfunden haben? Vielleicht, weil sie damals viel Getreide anbauten, während andernorts eher Viehherden grasten, mit denen sich deutlich weniger Menschen ernähren lassen. Nirgendwo sonst wurden so große steinzeitliche Getreidevorräte gefunden.

Möglicherweise wurden die Orkney-Inseln mehrfach vom Festland Europas aus besiedelt, meinen einige Forscher und verweisen auf die Feldmaus. Dieses Nagetier lebt überall in Europa, aber nicht in Großbritannien – mit Ausnahme der Orkney-Inseln. Und das bereits in den Steinzeit-Siedlungen. Erbgutanalysen deuten an, dass die Tiere vor 5100 Jahren aus Belgien oder Nordfrankreich auf die Orkney-Inseln kamen. Vermutlich begleiteten sie Getreidebauern, die damals in den hohen Norden kamen – und lange vor Stonehenge den Grundstein für die Kultur der Steinkreise legten.

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