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Eine Laborantin hält ein Gestell mit Reagenzgläsern in der Hand.

© imago stock&people/Jochen Tack

Ein Jahr neues Befristungsrecht in der Wissenschaft: Statt Dauerstelle Aus nach zwei Jahren

Das neue Befristungsrecht in der Wissenschaft hält nicht, was sich viele versprochen haben: Institute scheuen Risiken, Kurzzeitverträge werden fantasievoll begründet.

Mehr und mehr befristete Arbeitsverhältnisse mit zunehmend kürzeren Laufzeiten: Diese Diagnose aus dem Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs hatte vor vier Jahren den Weg für eine Reform freigemacht. In der Großen Koalition war man sich darüber einig, dass das „Befristungsunwesen“ ein Ende haben müsse.

Mit dem neuen, im März 2016 in Kraft getretenen Wissenschaftszeitvertragsgesetz muss die Laufzeit von Arbeitsverträgen der angestrebten Qualifizierung „angemessen“ sein. Und die Befristung von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Drittmittelprojekten soll sich am bewilligten Projektzeitraum orientieren. Doch ein Jahr später scheint sich die Lage der Nachwuchswissenschaftler kaum verbessert zu haben.

"Unis und Institute mogeln, jedes Schlupfloch wird genutzt"

„Die Universitäten und Forschungsinstitute mogeln, jedes Schlupfloch wird genutzt“, sagt zumindest Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und Leiter des Hochschulbereichs der GEW. Wie schon 2015 bei der Vorbereitung der Gesetzesreform befürchtet, werde „alles Mögliche als Qualifizierung deklamiert und erneut für Kurzzeitbefristungen genutzt“. Dem Professor für die Vorbereitung einer Vorlesung zuzuarbeiten oder einen Drittmittelantrag zu schreiben, sei aus der Sicht vieler Hochschulen lehrreich und rechtfertige eine entsprechende Befristung, kritisiert Keller.

Dass die Art der „Qualifizierung“, der die Befristung angemessen sein soll, im Gesetz nicht definiert ist, hatten Gewerkschaftsvertreter und die Opposition im Bundestag schon früh moniert. Keller betont, der Qualifizierungsbegriff sei nicht beliebig. „Es muss sich um einen strukturierten Prozess handeln, der mit einem Zertifikat abgeschlossen wird. Typischerweise die Promotion oder Habilitation, aber auch andere Weiterbildungen, etwa in der Hochschuldidaktik, sind denkbar.“

Breite Auslegbarkeit vom Gesetzgeber gewollt

Die Personalverantwortlichen der Universitäten aber sahen von vornherein mehr Spielraum. So schlug der ehemalige Kanzler der Uni Erfurt, Michael Hinz, seinen Kolleginnen und Kollegen im Herbst 2015 bei einer Berliner Tagung eine Reihe möglicher Befristungsgründe vor: „Erstellung einer Publikation zum Thema Y? 4 Monate. Organisation einer wissenschaftlichen Tagung? 6 Monate? (…) Erarbeitung eines Exposés für ein Promotionsvorhaben? 9 Monate?“

René Krempkow, beim Stifterverband für das Projekt Personalentwicklung zuständig, bestätigt, „dass die weite Auslegbarkeit des Begriffs Qualifikation teilweise genutzt wird, um kurze Befristungen zu machen“. Das sei allerdings vom Gesetzgeber gewollt und auch sinnvoll, um Übergangszeiten aufzufangen. Wolle sich ein Postdoc für einen Antrag auf eine Nachwuchsgruppenleitung oder ein Starting Grant des Europäischen Forschungsrats vorbereiten, sei eine Halbjahresstelle an der Uni oder im Forschungsinstitut als Anschubfinanzierung sehr hilfreich.

Neue Probleme für nichtwissenschaftliche Mitarbeiter

Wie sich die Gesetzesnovelle auf Beschäftigte ausgewirkt hat, die vor einem Jahr aus dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz herausgefallen sind, lasse sich bislang nur aus unterschiedlichen Einzelfällen ablesen, sagt Krempkow. Betroffen sind nichtwissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwa in Laboren oder im Forschungsmanagement. Gemäß dem Slogan „Dauerstellen für Daueraufgaben“ sollten für sie mehrere aufeinanderfolgende Befristungen erschwert werden, wenn es keinen triftigen „Sachgrund“ dafür gibt. Deshalb wurden sie dem allgemeinen Teilzeit- und Befristungsgesetz unterstellt.

In einigen Fällen seien Dauerstellen neu geschaffen oder bewährtes Personal entfristet worden, sagt Krempkow. In anderen Fällen würden Verträge jetzt nach zwei Jahren nicht mehr verlängert. Manche Wissenschaftseinrichtungen stellten lieber neue Kräfte für zwei Jahre ein.

Aus den Wissenschaftsorganisationen ist zu hören, dass die Institute es bislang eher vermeiden, neue Dauerstellen zu schaffen. Vielerorts gebe es noch verbindliche Stellenpläne, die dies haushaltsrechtlich nicht ermöglichten. Davon seien auch Hochschulen betroffen. Weiterhin nichtwissenschaftliches Personal in Drittmittelprojekten befristet einzustellen, berge das Risiko, dass Arbeitsgerichte gleichwohl Daueraufgaben erkennen. Das könnte der Fall sein, wenn befristete Forschungsprojekte auf ein durchgehend bestehendes Labor und sein Personal zurückgreifen. Die Folge auch hier: Nach dem ersten Zwei-Jahres-Vertrag ist Schluss.

Die GEW spricht von Blockade-Haltung

Die GEW wirft Hochschulen und Forschungsinstituten eine „Blockade“ vor. Sie wollten signalisieren „jetzt geht gar nichts mehr“, um nicht in zusätzliche Dauerstellen investieren zu müssen, sagt Andreas Keller. Doch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mit vorgeschobenen Kurzzeit-„Qualifikationen“ befristet beschäftigt werden, sei das neue Zeitvertragsgesetz von Vorteil: „Sie können klagen und dann muss das Arbeitsgericht klären, ob tatsächlich eine Qualifizierung erfolgt und ob die Vertragsdauer angemessen ist – oder ob sie doch Daueraufgaben in Forschung und Lehre erfüllen und entfristet werden müssen.“

Positive Prognose des Stifterverbands

Bei alledem gehen Beobachter davon aus, dass der aktuelle Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs, der am Donnerstag veröffentlicht wird, besser ausfällt als der von 2013. Denn bei den Vertragslaufzeiten insbesondere von Promovierenden habe sich das Problembewusstsein unabhängig vom Zeitvertragsgesetz geändert, sagt GEW-Vize Keller. In den Wissenschaftsorganisationen rechnet man zumindest mittelfristig mit deutlich mehr Dauerstellen. René Krempkow verweist auf eine Studie des Stifterverbands zur Personalentwicklung, nach der „die Mehrheit der Einrichtungen“ den Anteil des entfristeten Personals erhöhen will – „beim Wissenschaftsmanagement sogar auf rund 60 Prozent“.

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