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Vergiss nicht, die schwarze Tonne rauszustellen! Wenn weiße Kakadus in Sydney sprechen könnten, würden sie Menschen wohl am ehesten solche Sätze zukrächzen. Denn da ist oft Nahrhaftes drin, und wie man sie aufmacht, wissen sie nun auch.

© F.: Barbara Klump, Max Planck Institut für Verhaltensbiologie

Eimer für alle, alle im Eimer: Der Thomas Edison der Kakadus und seine Nachahmer

Einer hat’s irgendwann erfunden. Viele haben's gelernt - so dass Sydneys Kakadus nun etwas können, was vor ein paar Jahren keiner konnte: Mülltonnen öffnen.

Ein angebissenes Sandwich, ein Stück Obst, ein Rest Wurst – was für Menschen Müll ist, kann in den Augen eines hungrigen Gelbhauben-Kakadus ein Leckerbissen sein. Der Anreiz, an die Köstlichkeiten heranzukommen, ist für die intelligenten Papageien also groß.

Und tatsächlich haben Populationen im australischen Sydney gelernt, Mülltonnendeckel zu öffnen. Wie die Vögel das Verhalten gelernt und an Artgenossen weitergegeben haben, berichten Barbara Klump und Lucy Aplin vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell und ihr Team jetzt im Fachblatt „Science“.

Dass Tiere neu erlerntes Verhalten untereinander und über Generationen hinweg weitergeben, indem Artgenossen es nachahmen, ist nicht nur von Vögeln wie Raben und Papageien, sondern auch so unterschiedlichen Säugetieren wie Schimpansen und Orcas bekannt.

Soziales Lernen ist im Tierreich weit verbreitet

Wie man mit einem langen Stock Termiten aus ihrem Bau angelt, lernen Menschenaffen genauso von anderen Tieren in ihrer Gruppe, wie Wale von ihren Artgenossen erfahren, wie sie am geschicktesten gefährliche Haie und Stachelrochen erbeuten oder einen Heringsschwarm mit Luftblasen einkesseln.

Dass solche komplexen Verhaltensweisen im Erbgut programmiert sind oder gar durch Genmutationen bei einzelnen Tieren entstehen und dann auf dem Wege der Fortpflanzung weitergegeben werden, ist unwahrscheinlich. Vielmehr scheint auf der Hand zu liegen, dass die Tiere voneinander lernen. Zweifelsfrei beobachten und damit belegen ließ sich das jedoch bislang kaum.

Dabei mangelt es nicht an Beispielen. Als etwa Sanjay Thakur von der neuseeländischen Naturschutzbehörde in Te Anau begann, in den unzugänglichen Murchison Mountains auf der Südinsel Neuseelands Fallen zum Einfangen nichtheimischer und Vogeleier räubernder Hermeline aufzustellen, bemerkte er, dass die dort lebenden Kea-Papageien die Fallen sabotierten.

Zunächst zogen Keas vorsichtig den Nagel heraus, der den Auslöser der Falle festhält und machten die Falle so unschädlich. Als Thakur die Nägel durch eine Papageien-sichere Schraube ersetzte, drehten die Keas die Falle – siebenmal schwerer als der Vogel – einfach um. Auch als die Naturschützer die Fallen felsenfest im Boden verankerten und mit einem Papageienschnabel-resistenten dicken Maschendraht sicherten, holten die Keas sich fingerdicke, mehr als einen halben Meter lange Ästchen, mit denen sie durch den Maschendraht stocherten und so die Falle aus sicherer Entfernung auslösten und damit außer Gefecht setzten. Warum? Niemand weiß es. Jedenfalls nicht wegen des Köders in der Falle, den überließen die Keas den Hermelinen.

Kakadus, die hoch in der Hierarchie stehen, öffnen öfter Mülltonnen

„Es ist durchaus möglich, dass Kea-Papageien solche Verhaltensweisen von einem erfinderischen Artgenossen gelernt haben“, sagt die Max-Planck-Forscherin Barbara Klump. „In unzugänglichen Naturschutzgebieten aber lässt sich das kaum überprüfen.“

Allerdings demonstrieren die auch „Bergpapageien“ genannten Keas ihre Intelligenz auch in der Öffentlichkeit: Im kleinen Touristenort Mount Cook Village beobachteten Gyula Gajdon und seine Kollegen von der Wiener Universität, wie Keas auf der Suche nach Nahrung ähnlich wie die Kakadus in Australien den Deckel von Mülltonnen öffneten. Fünf Bergpapageien wurden bei dieser Übung ertappt, alle waren männlich. Ob die Bergpapageien das für einen Vogel gar nicht so einfache Öffnen der Mülltonnen-Deckel vielleicht von einem geschickten Erfinder in ihrer Gruppe abgeschaut hatten, konnten die Wiener Forscher allerdings nicht sagen.

Ein solches „soziales Lernen“ hatten Alice Auersperg von der Universität Wien und ihr fünfköpfiges Team bereits bei den auf den Tanimbar-Inseln Indonesiens lebenden Goffin-Kakadus beobachtet. „Ein Männchen kam auf die Idee, sich ein Stöckchen zu basteln, um mit diesem Werkzeug Cashew-Nüsse durch ein Maschendraht-Gitter zu angeln“, erklärt die an diesen Studien beteiligte Auguste von Bayern vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen. „In einem weiteren Experiment haben drei andere Goffin-Kakadus diese Methode dann vom Erfinder übernommen.“

Allerdings waren das Labor-Experimente. Ob Kakadus auch in ihrer natürlichen Umgebung soziales Lernen beherrschen, dafür haben nun Lucy Aplin und ihr Team Indizien sammeln können – mithilfe der Mülltonnen plündernden Kakadus in Sydney.

Ausgangspunkt war ein Video von Richard Major vom Australian Museum in Sydney, auf dem ein Gelbhauben-Kakadu eine Mülltonne öffnete. Mit seinem Schnabel und einem Fuß hob das Tier den schweren Deckel ein wenig an, hielt ihn locker fest und lief dann auf dem Rand der Tonne nach hinten. Dabei öffnete der Deckel sich immer weiter, bis der clevere Papagei bequem an den Inhalt der Tonne kam, in der einige Essensreste gelandet waren. „Der Kakadu hatte sich mit dieser raffinierten Methode eine für ihn völlig neue Nahrungsquelle erschlossen“, sagt Klump. „Diese Innovation wollten wir genauer untersuchen.“

Es sind vor allem die Männchen, die erfinderisch sind

2018 begann das Team mit einer Online-Umfrage in der Region um die Metropole Sydney und der 85 Kilometer südlich liegenden Großstadt Wollongong. In zwei Jahren gingen 1396 Berichte aus 478 Bezirken ein, in denen 338-mal das Öffnen von Mülltonnen beobachtet worden waren. Offensichtlich haben die Kakadus längst mitbekommen, dass Speisereste vor allem in den Restmülltonnen landen, die in Australien immer einen roten Deckel haben. Die Vögel hatten also gute Gründe, sich in 88,8 Prozent aller Versuche auf diese Behälter mit der roten Kappe zu konzentrieren. Da in 93,3 Prozent aller erfolgreichen Versuche andere Kakadus dabei waren, gab es für diese Innovation in der Papageien-Society auch jede Menge Beobachter und damit gute Voraussetzungen, von den Erfahrungen der Pioniere zu lernen.

Diese Gelegenheit ließen sich die Tiere nicht entgehen: Während vor 2018 gerade einmal in drei Bezirken Kakadus Mülltonnen öffneten, untersuchten die cleveren Papageien Ende 2019 bereits in 44 Bezirken den Abfall auf Speisereste. Und da Gelbhauben-Kakadus ziemlich heimattreu sind, verbreitete sich die neue Nahrungsquelle in den näheren Bezirken viel schneller als in den weiter entfernten.

[Video: Tanzende Kakadus]

Das erinnert an Traditionen bei uns Menschen, die zwar einerseits gepflegt werden, andererseits aber auch gerne ein wenig verändert werden. Je weiter eine Tradition kommt, umso stärker verändert sie sich daher. Halten in einem Gebiet die Kakadus den Deckel nur mit dem Schnabel oder auch nur mit einem Fuß, nutzen sie anderswo beide Körperteile gleichzeitig. Und dreht ein Kakadu den Kopf um 180 Grad, um den Deckel anzuheben, schafft ein anderer das gleiche Kunststück, ohne den Kopf zu drehen. Je weiter entfernt von den ersten drei Bezirken die Papageien Mülltonnen öffnen, umso deutlicher unterscheiden sich ihre Methoden von denen der Pioniere. „Auch das zeigt klar, dass die Kakadus voneinander lernen“, sagt Klump.

Innovatoren und Imitatoren

Aber wer sind die Erfinder und wer ahmt nur nach? Als das Team im Stanwell Park im Verwaltungsbezirk Wollongong einzelne Stellen im Gefieder von 486 Kakadus mit Farbklecksen markierte, um die einzelnen Tiere voneinander unterscheiden zu können, konnten sie die Innovatoren in der Papageien-Gesellschaft identifizieren: 89 Prozent der erfolgreichen Mülltonnen-Öffner waren männlich.

Und: Wer in der Kakadu-Hierarchie höher steht, probiert es öfter, den Deckel in die Höhe zu stemmen und ist in dieser Disziplin auch erfolgreicher. Offensichtlich sind die Rollen beim Erfinden und Lernen in der Gelbhauben-Kakadu-Gesellschaft also unterschiedlich verteilt.

Auch bei den Goffin-Kakadus und den Kea-Bergpapageien sind es vor allem die Männchen, die solche hoch komplexen Verhaltensweisen entwickeln, die sich andere dann durch Lernen aneignen, sodass am Ende die ganze Population davon profitiert.

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