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Margot Friedländer sitzt im Audimax der Freien Universität - zwischen den oben genannten Personen.

© Bernd Wannenmacher/FU

Ehrendoktorwürde für Margot Friedländer: „Sie lehren uns, wie man erinnert“

Bewegende Momente im Audimax der Freien Universität Berlin: Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer wird für ihr Lebens-Werk geehrt.

„Versuche, dein Leben zu machen.“ Diese Worte hinterlässt Auguste Bendheim ihrer Tochter, der späteren Margot Friedländer, bevor sie sich im Januar 1943 in Berlin der Polizei stellt. Zuvor ist Sohn und Bruder Ralph von der Gestapo verhaftet worden. Auguste Bendheim will den 17-Jährigen ins Lager begleiten, beide werden wegen ihrer jüdischen Herkunft in Auschwitz ermordet.

„Als ich diesen Satz von den Nachbarn bekommen habe, habe ich gedacht: Wie fange ich das an“, erzählt Margot Friedländer am Mittwochabend im Audimax der Freien Universität Berlin, wo die 100-Jährige die Ehrendoktorwürde für ihr Lebenswerk erhält.

Als junge Frau geht sie in Berlin in den Untergrund, lebt versteckt, wird verraten und nach Theresienstadt deportiert. Dort trifft sie Adolf Friedländer wieder, den sie vom Jüdischen Kulturbund kannte, die beiden werden ein Paar und emigrieren 1946 in die USA. Nach Adolfs Tod 1997 beginnt Margot Friedländer autobiografisch zu schreiben, ihr Hauptwerk trägt die Botschaft der Mutter im Titel.

Als „ein Lebens-Werk“ bezeichnet FU-Präsident Günter M. Ziegler das Schreiben und Wirken Margot Friedländers. Die Kindheit in Berlin Mitte, die Schrecken der Nazizeit in Kreuzberg und in Theresienstadt, das Exil in den USA - und schließlich die Rückkehr nach Berlin im Jahr 2010: Wie sie sich erneut ihrer Stadt annähert und vor allem Schülerinnen und Schülern bis heute in zahllosen Zeitzeugengesprächen begegnet, nennt sie ihr „viertes Leben“.

„Spricht Verstand und Herz gleichermaßen an“

So wird Margot Friedländer auch zur Bürgerwissenschaftlerin, wie der Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der FU hervorhebt. Mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet werden „die überragenden Verdienste von Margot Friedländer als Zeitzeugin der Verfolgung und des Überlebens in der Shoah, als engagierte Anwältin öffentlicher Geschichte, als Botschafterin der Erinnerung und der Menschlichkeit für jüngere Generationen“, heißt es in der Begründung.

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Friedländers Rolle als Lehrende würdigt dann die Konstanzer Literaturwissenschaftlerin und Kulturtheoretikerin Aleida Assmann. „Dass ihr die Zeitzeugen werdet, die wir bald nicht mehr sein können“ - diese Aufforderung Friedländers an junge Menschen könne sie zu „sekundären Zeugen“ machen. Doch dafür müssten sie „gebildet und ermächtigt werden“, sagt die Laudatorin. „Hier haben Schulen und Universitäten eine wichtige Aufgabe.“

Margot Friedländer, die eine Mappe mit einer Urkunde in Händen hält, und zwei weitere Personen stehen auf einer Bühne.
Margot Friedländer erhält die Urkunde von Geschichts-Dekanin Eun-Jeung Lee und von FU-Präsident Günter M. Ziegler.

© Bernd Wannenmacher/FU

Die Geehrte jedenfalls erfüllt diese Aufgabe ebenso vorbildlich wie unermüdlich: „Auf eine herausragende Weise verkörpert Margot Friedländer eine Form von Demokratieerziehung, die Verstand und Herz gleichermaßen anspricht“, so Assmann. Oder, wie die Berliner Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) in ihrem Grußwort sagt: „Sie lehren uns, wie man erinnert.“

Immer wieder brandet warmer Applaus auf im Auditorium Maximum - auch als der renommierte FU-Historiker Paul Nolte die Geehrte als „Frau Doktor Friedländer“ anspricht. In einer Gesprächsrunde mit dem Geschichtsstudenten Vincent Bruckmann geht es noch einmal um ihre Rückkehr nach Berlin, die sich in Etappen vollzog.

Berlin ist „ihre Stadt“

Als sie nach einer der ersten Berliner Lesungen ihrer Autobiographie im Flugzeug zurück in die USA saß, habe sie gedacht: „Was willst du eigentlich in New York?“, erzählt Friedländer. Berlin sei nun einmal „ihre Stadt“, die Rückkehr sei schließlich unumgänglich geworden. „Ich habe es nicht eine Minute bereut, dass ich es gemacht habe.“ Seit 2018 ist sie Ehrenbürgerin Berlins.

Ob die ständigen Zeitzeugengespräche nicht manchmal auch eine Last seien, will Nolte noch wissen. „Gar nicht!“, ruft Friedländer aus. Ihre Mission laute: „Es ist für euch, dass ich hier bin. Denn mein Bruder hatte nicht die Chance, die ihr habt.“ Die Chance zu leben und für die Zukunft zu lernen.

Als Margot Friedländer, begleitet von Präsident Ziegler und der Geschichts-Dekanin Eun-Jeung Lee, auf der großen Bühne des Henry-Ford-Baus steht, umarmt sie die Promotionsurkunde in ihrem roten Samteinband und dankt „tief bewegt“ für die Ehrung. „Es war der Wunsch meiner geliebten Mutter: ,Versuche, dein Leben zu machen.‘“

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