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Bewegungsunschärfe heißt Geschwindigkeit. Doch nicht nur deshalb sind E-Scooter verletzungsträchtig.

© dpa

"E" wie ernsthaft gefährlich: Experten warnen vor hohem Unfallrisiko mit Elektro-Rollern

Der E-Scooter bewegt Berlin. Nicht nur seinen Fahrer, sondern auch die Gemüter. Die verfügbaren Daten zu Unfällen sind auch nicht gerade beruhigend.

Seit rund einer Woche sind sie erlaubt, und schon stehen, zumindest in den Innenstadtbezirken, ziemlich viele von ihnen herum: Elektrische Tretroller, auch E-Scooter genannt, gehören wohl künftig zum Straßenbild wie die vielen Leihräder. Wer mindestens 14 Jahre alt ist, darf die Elektro-Roller nutzen, eine Helmpflicht besteht nicht.

Experten warnen allerdings vor einem hohen Unfall- und Verletzungsrisiko, aus anderen Ländern sind bereits Todesfälle bekannt. Auch in Berlin ist ein E-Scooter-Fahrer schwer verunglückt – allerdings bereits im April, also noch vor der Genehmigung der Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen. Der Unfall ereignete sich am 17. April in Tiergarten.

Der E-Rollerfahrer war nach Polizeiangaben bei Rot über einen Fußgängerüberweg gefahren und von einem Auto erfasst worden. Der 24-jährige Rollerfahrer erlitt schwere Kopfverletzungen und musste intensivmedizinisch behandelt werden. Seit der Zulassung der E-Scooter vor einer Woche seien noch keine E-Scooter-Unfälle bei der Polizei registriert worden, sagte eine Sprecherin.

Zwei Kliniken, 250 Verletzungen

Nicht nur die Bevölkerung sieht die neuen Vehikel eher skeptisch. "Dass es massive Probleme geben wird zwischen E-Scooter-Fahrern und anderen Verkehrsteilnehmern, liegt auf der Hand. Die Frage ist nur: Wie schwerwiegend sind diese Probleme?", sagt Siegfried Brockmann von der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Solange keine Erfahrungen vorlägen, sei es schwierig, diese Frage zu beantworten.

"Wir wissen aus internationalen Studien und Daten, dass das Verletzungspotenzial beim E-Scooter-Fahren sehr hoch ist", sagt Christopher Spering von der Klinik für Unfallchirurgie der Universitätsmedizin Göttingen. "Ich frage mich, ob wir gut genug darauf vorbereitet sind."

Hinweise zum Verletzungsrisiko können etwa Studien aus den USA geben, wo Elektro-Tretroller schon länger zugelassen sind. Anfang des Jahres hatten Wissenschaftler etwa Daten aus Notfallambulanzen von zwei Kliniken in Südkalifornien ausgewertet: Demnach kamen in den beiden Kliniken innerhalb von einem Jahr 249 Patienten nach einem E-Scooter-Unfall in die Notaufnahme. Die meisten waren als Fahrer verunglückt. Die häufigsten Verletzungen waren Kopfverletzungen, gefolgt von Knochenbrüchen, Prellungen, Stauchungen und Platzwunden. 15 Patienten mussten stationär behandelt werden, zwei kamen mit schweren Kopfverletzungen auf die Intensivstation. «Diese Verletzungen werden wir auch haben», glaubt Brockmann.

Wackelig, und keinen Hand frei zum Abbiegen anzeigen

Was E-Scooter im Vergleich etwa zum Fahrrad besonders mache, sei unter anderem die Position des Fahrers, erläutert Spering. Er stehe aufrecht auf einem kurzen Brett und habe nur einen kleinen Lenker zum Festhalten. Diese relativ wacklige Position des Fahrers sieht Spering als Hauptrisiko für einen Unfall. Hinzu kommt: Der Fahrer könne Richtungswechsel nicht anzeigen, da einhändiges Fahren nicht möglich sei. Das erschwere es anderen Verkehrsteilnehmern, das Fahrverhalten einzuschätzen. Auch Bremsvorgänge und Beschleunigungen seien nicht ersichtlich - und dies alles in einem ohnehin bereits aus- oder überlasteten Verkehrsnetz, sprich: auf vollen Straßen und Wegen.

Spering berichtet von zwei Fällen aus seiner Klinik, bei denen E-Scooter-Fahrer wegen eines Verrenkungsbruches im Bereich des Sprunggelenks behandelt wurden. Beide seien bei Stürzen mit dem Fuß unter das Trittbrett geraten. Der Mediziner rechnet nach Unfällen zudem mit Schädel-Hirn-Traumata, "weil der Kopf einfach so exponiert ist". Zudem dürfte es zu Brüchen und anderen Verletzungen an Händen und Armen kommen.

Katapultwirkung

Tretrollerfahrer könnten bei Kollisionen nicht auf dem Brett stehen bleiben, sagt auch Brockmann. Bei einem Zusammenprall mit einem anderen Verkehrsteilnehmer würden sie vom Trittbrett katapultiert. Zum Verletzungsrisiko bei der Kollision käme dann dasjenige hinzu, dass durch den Aufprall auf dem Boden entsteht. Bei einer Kollision mit einem Fußgänger könne vor allem der Zusammenstoß der beiden Körper schwere Verletzungen zur Folge haben.

Entscheidend für die Sicherheit der Tretroller sei die Stabilität der Gefährte, die wiederum maßgeblich von der Größe der Räder abhänge: je größer, desto stabiler das Gefährt. Größere Räder sorgen auch dafür, dass E-Scooter besser über Unebenheiten wie Kopfsteinpflaster rollen, ohne sich zu verkanten. Allerdings machen größere Räder die Roller weniger transportabel und schmälern damit einen der angepriesenen Vorteile: dass man sie problemlos in Bus und Bahn mitnehmen kann.

Brockmann rechnet vor allem in den ersten Monaten mit vielen Unfällen - auch nach eigenen Testfahrten mit einem E-Scooter. "Man glaubt ziemlich schnell, dass man sicher unterwegs ist." Allerdings fehlten Erfahrungen im Verkehr - etwa wie der Roller reagiere, wenn plötzlich Fußgänger auftauchten und man schnell ausweichen müsse. Zudem wolle man rasch die Geschwindigkeit austesten. Die Mitte Mai beschlossenen Zulassungsregeln sehen vor, dass E-Scooter maximal 20 Kilometer pro Stunde auf Radwegen fahren dürfen, eine Nutzung auf Fußwegen ist verboten.

Gefahr von mehr Querschnittslähmungen

Manche Ärzte befürchten sogar ein erhöhtes Risiko für Querschnittlähmungen. Schon der Boom der E-Bikes habe zu einer Zunahme solcher Verletzungen geführt, mit der Zulassung der E-Scooter sei ebenfalls mit mehr Arbeit zu rechnen, hatte der Erste Vorsitzende der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegiologie (DGMP), Yorck-Bernhard Kalke, Mitte Mai betont. Wie begründet die Sorge der Mediziner grundsätzlich ist, zeigt der kürzliche Tod zweier E-Scooter-Fahrer in Schweden und Frankreich.

Die nächsten Monate werden zeigen, ob die bisherigen gesetzlichen Regelungen angepasst werden müssen oder nicht. Denkbar ist etwa, das derzeitige Mindestalter von 14 Jahren heraufzusetzen oder einen Führerschein zur Bedingung für das Fahren zu machen. Ein gewisses Maß an Problemen und Unfällen müsse man allerdings tolerieren, meint Unfallforscher Brockmann: "Wir verbieten ja auch nicht das Fahrradfahren, nur weil es Fahrradunfälle gibt." (mit dpa)

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