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Der Charité-Chefvirologe Christian Drosten

© dpa/Michael Kappeler

Drosten kritisiert Vorgehen bei Heinsberg-Studie: „Man muss den wissenschaftlichen Diskussionsprozess erlauben“

Virologe Christian Drosten hat viele Fragen zur Heinsberg-Studie. Im NDR-Podcast bezweifelt er außerdem, dass eine Corona-Infektion reaktiviert werden kann.

Der Charité-Chefvirologe Christian Drosten hat im NDR-Podcast am Dienstag die Kritik an der Kommunikationsstrategie der sogenannten „Heinsberg-Studie“ erneuert. 

In der Wissenschaft sei es üblich, Studienansatz und Methodik in einem Papier zu veröffentlichen, so dass sich die Kollegen vorab eine Meinung bilden können, sagt Drosten. „Es ist schwierig zu sagen, was aus so einer Studie herausgekommen ist, wenn man nur die Endergebnisse hat.“

Ein Forschungsteam der Uni Bonn, geleitet von dem Virologen Hendrik Streeck, hatte am Donnerstag in einer Pressekonferenz erste Ergebnisse ihrer Untersuchungen der Gemeinde Gangelt im besonders betroffenen Kreis Heinsberg vorgestellt. Gangelt hat etwa 12.000 Einwohner. Unter anderem wollte das Team die Dunkelziffer der tatsächlich mit dem neuen Coronavirus Infizierten ermitteln.

Die Forscher hatten am Donnerstag verkündet, dass in Gangelt etwa 15 Prozent der Anwohner immun gegen das Virus seien. Drosten betonte, dass er die Arbeit der Wissenschaftler nicht in Zweifel ziehen wolle. „Ich will diese Studie überhaupt nicht kritisieren, denn ich habe gar keine Grundlage, sie zu kritisieren“, sagt der Virologe.

Viele unbeantwortete Fragen zur Studie

Drosten übte aber Kritik an der schnellen Bekanntmachung der Zwischenergebnisse. „Normalerweise werden die Daten zunächst so aufgearbeitet, dass andere Wissenschaftler sie verstehen können, bevor man damit in die Politik geht.“ Auch in dieser dringlichen Zeit, in der alles schnell gehen muss, sei es möglich, ein wissenschaftliches Manuskript bereits vor der Begutachtung zu veröffentlichen und so zur Diskussion zu stellen.

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„Man muss erklären, was man gemacht und was man weggelassen hat.“ Im Vorherein sei die Studie mit einem sehr großen Anspruch kommuniziert worden. Andere Studien zur Frage nach der Dunkelziffer liefen in Deutschland bereits, sie würden aber nicht derartig in der Öffentlichkeit angekündigt, bevor es nicht entsprechende Daten gibt.

Viele Fragen zur Gangelt-Studie seien derzeit noch unbeantwortet. Gerade zu Beginn der Epidemie seien regionale Studien keineswegs repräsentativ für das ganze Land, so Drosten. Dies hätten die Bonner Wissenschaftler zumindest in Zeitungsinterviews nach der Pressekonferenz auch deutlich gemacht. 

In den Wochen davor sei das aber nicht so dargestellt worden, kritisiert Drosten. „Da wurde immer gesagt, wir wollen Fakten schaffen und der Politik sagen, was zu machen ist“, so Drosten. „Da schwingt sehr stark die Implikation mit, dass das repräsentativ ist.“

Wie sorgfältig wurde auf Antikörper getestet?

Eine offene Frage sei auch, wie sorgfältig die Studienteilnehmer ausgewählt und auf Antikörper getestet wurden. Die sogenannten ELISA-Schnellteste, die in der Studie verwendet wurden, seien bei Blutspenderseren zu 99 Prozent spezifisch, erklärt der Virologe. 

Das Blut der allgemeinen Bevölkerung sehe aber anders aus als das von Blutspendern, hier hätten sehr viel mehr Menschen Antikörper gegen herkömmliche Corona-Erkältungsviren im Blut, auf die ein SARS-2-Antikörpertest fälschlicherweise reagieren kann. Erste Untersuchungen der Charité hätten ergeben, dass die Falschpositivrate ansteigt, auf drei bis vier Prozent.

Um Unsicherheit auszuschließen, müssen also Zusatzteste gemacht werden, sogenannte Neutralisationsteste. Hierbei wird das positiv auf Antikörper getestete Blut in einer Zellkultur darauf untersucht, ob das Virus die Zelle noch befallen kann, oder ob Antikörper es davon abhalten.

Hintergründe zum Coronavirus:

„Eine bewiesene Antikörperdiagnose liegt dann vor, wenn ein Patient zusätzlich zu einem ELISA-Test auch noch einen positiven Neutralisationstest hat“, sagt Drosten. Ob dies bei der Gangelt-Studie geschehen sei, sei derzeit noch unklar. Wer sehr sorgfältig vorgehen will, müsse zusätzlich auch noch Gegentests machen auf die Antikörper gegen die herkömmlichen Coronaviren.

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Ob diese nötig sei, sei Teil des wissenschaftlichen Diskussionsprozesses. Auch handwerklich nicht extrem gründlich durchgeführte Studien können durchaus einen Erkenntniswert haben. „Aber man muss diesen Diskussionsprozess auch erlauben“, sagt Drosten. Fragen gab es auch in Bezug auf das Studiendesign, beispielsweise dazu, wie viel Personen aus einem Haushalt getestet wurden. Außerdem relevant sei, ob Freiwillige zur Studienteilnahem aufgerufen wurden oder ob man repräsentativ getestet habe. Bei Freiwilligen sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie in ihrem Umfeld bereits einen Covid-19-Fall hatten, sagt Drosten.

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Drosten glaubt nicht an Wiederinfektion

Drosten bezweifelt im ersten Podcast nach Oster außerdem, dass das SARS-Cov-2-Virus reaktiviert werden kann, wie Meldungen aus China und Südkorea nahelegten. Er gehe vielmehr davon aus, dass es sich hier um falsch negative PCR-Tests gehandelt habe. 

Gerade am Ende der Krankheit gehe die Viruslast deutlich zurück, es könne also sein, dass beispielsweise ein Rachenabstrich zweimal hintereinander negativ getestet wird, obwohl das Virus sich noch im Körper befindet. Ein PCR-Test könne das Virus in diesen letzten Tagen nicht immer erfassen.

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In Asien gebe es strenge Regeln, die etwa festlegen, dass ein Patient nach zwei negativen PCR-Tests als geheilt gilt. Wird nun einig Tage später das Virus wieder festgestellt, gilt das Virus als reaktiviert. In Deutschland würde man davon ausgehen, dass die Negativtests falsch waren, so Drosten.

„Ich glaube einfach nicht daran“, sagt Drosten über die Möglichkeit einer Wiederinfektion. Neben der statistischen Schwankung am Ende des Krankheitsverlaufs gebe es auch weitere, seltenere Erklärungen für falsche PCR-Testergebnisse, beispielsweise menschliche Fehler im Labor oder beim Abstrich. „Kein Labortest ist perfekt“, sagte der Virologe.

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