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Forschen in der Staatsbibliothek Berlin.

© imago stock&people

Diskussion um Berliner Hochschulgesetz: Bei #IchbinHanna muss der Bund in die Pflicht genommen werden

Die Befristung vieler Forschender hat auch der Bund verursacht. Es wird höchste Zeit für eine länderübergreifende Lösung, die auch beim Berliner Hochschulgesetz hilft. Ein Gastbeitrag.

Christian Thomsen ist Präsident der Technischen Universität Berlin.

Die jüngste Novelle des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) verpflichtet die Universitäten, den aus Landesmitteln bezahlten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen mit einem Doktorgrad (PostDocs) bereits bei der Einstellung ein Anschlusszusage auf eine später unbefristete Stelle zu machen.

Damit möchte der Gesetzgeber auf die bundesweite Debatte zu #IchbinHanna reagieren, das heißt: ein Ende der fortwährenden befristeten Beschäftigung von Wissenschaftler*innen herbeiführen. Die Universitäten halten dagegen, dass ein Postdoc die Weiterführung des akademischen Bildungswegs sei, mit dem Qualifikationsziel Habilitation oder dazu äquivalenten wissenschaftlichen Leistungen, womit formal die Voraussetzung für das Antreten einer der rar gesäten Professuren erfüllt wird. Aus diesem Qualifikationsziel leitet sich rechtlich die Befristung der Arbeitsverträge ab; geregelt ist dies in einem Bundesgesetz, dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz.

Knappe Professuren

Nun ist es aufgrund der hohen Attraktivität der Wissenschaft für junge Menschen so, dass wesentlich mehr dieses Qualifikationsziel erreichen wollen als es später Professuren gibt. Es gibt Wissenschaftler*innen, die gerne forschen, aber nicht unbedingt eine Professur anstreben, und es gibt diejenigen, die eine Professur anstreben, aber mangels verfügbarer Stellen im Hochschulsystem oder aus anderen Gründen nie berufen werden.

Das neue BerlHG verfügt nun, dass diese Menschen eine unbefristete Stelle von der Universität erhalten und zwar unabhängig davon, ob sie auf eine Professur berufen werden oder nicht. Während sie bislang ihre berufliche Zukunft beispielsweise in der Industrie oder in außeruniversitären Forschungseinrichtungen suchten oder in die Selbständigkeit gingen, können sie sich nun auf die Arbeitgeberin Universität mit einer unbefristeten Perspektive verlassen.

Benachteiligung der jüngeren Generation

Für die Universitäten ist dies mit strukturellen Veränderungen verbunden, weil erstens durch die längere Laufzeit unbefristete Stellen teurer sind als befristete und zweitens sich bei einem gleichbleibenden Gesamthaushalt die Stellen derjenigen, die erst noch promovieren möchten, reduzieren oder später weniger neue PostDocs verstetigt werden können.

Das benachteiligt die jüngere Generation, denn die endliche Zahl an Haushaltsstellen ist dann bereits besetzt. Das zunehmende Fehlen der Promovierenden, die gemeinsam mit Hochschullehrer*innen einen Großteil der Forschung an Universitäten durchführen, verursacht die Befürchtung, dass es sich für die Berliner Universitäten negativ auswirken könnte, wenn nicht auf irgendeine Weise kompensiert wird.

Doch wie ist es zu der angespannten Situation beim Thema Entfristungen im deutschen Wissenschaftssystem gekommen? Niemand will jungen Wissenschaftler*innen eine unbefristete Karriere in der Wissenschaft verwehren, und auch die abwertende Formulierung über die Vorstopfung des Wissenschaftssystems im #IchbinHanna-Filmchen des BMBF trifft die Lebenssituation dieser jungen Menschen nicht. Stattdessen gibt es eine andere Ursache, die ich im Folgendem illustrieren möchte.

Christian Thomsen, TU-Präsident.
Christian Thomsen, TU-Präsident.

© David Ausserhofer/TUB

Bundesministerien, beispielsweise, machen es sich vergleichsweise leicht. Sie schreiben Drittmittelprojekte zu spannenden Themen aus, zum Beispiel kürzlich zum Quantencomputing, um die sich die Wissenschaftler*innen der Universitäten bewerben. Schließlich kommt von hier der wissenschaftliche Nachwuchs, der seine Ideen und Kompetenzen an und in solchen Projekten beweisen will.

Für Deutschland insgesamt bedeuten solche Projekte die Innovationskraft im internationalen Wettbewerb, von der alle sprechen. Die Bundesministerien finanzieren in solchen Projekten die Personalkosten für die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und für die für das Projekt benötigten Geräte sowie weitere Sachkosten (Reisen, Konferenzteilnahmen etc.).

Die Länder subventionieren die Forschung für den Bund

Was sie nicht oder nicht vollständig finanzieren, sind so genannte Grundausstattungsmittel wie Gebäude, Heizung, Strom und eben auch die Kosten für dann bereits unbefristet Beschäftigte, um die es gerade geht (wozu auch die Professor*innen zählen) sowie die zentrale Verwaltung, die Bibliotheken, eben alles was sonst so zu Universität gehört. Diese Grundausstattungsmittel werden aus den Landeshaushalten finanziert.

Anders formuliert: Die Bundesländer subventionieren durch die Vorhaltung von Universitäten die Forschung für den Bund. Realistisch geschätzt entstehen den Universitäten ca. 40 Prozent Kosten zusätzlich zu den direkten Projektkosten, das heißt für jeden Euro eingeworbener Forschungsgelder geben die Universitäten 40 Cent aus ihrem eigenen Etat hinzu.

Einige Drittmittelförderer des Bundes finanzieren einen Teil dieser zusätzlichen Kosten immerhin mit einer Projektpauschale von 20% (BMBF) und 22% (DFG), was allerdings immer noch zu wenig im Vergleich zu den tatsächlichen Kosten ist. Die meisten Bundesministerien zahlen gar keine Projektpauschale, so dass die ganzen zusätzlichen Kosten von den Universitäten, also den Ländern getragen werden müssen.

Erhebliche Aufwüchse an Studierenden

Die Universitäten haben in den vergangenen Jahren erhebliche Aufwüchse an Studierenden aber auch an Forschungsleistung aus Drittmitteln zu verzeichnen. Beispielhaft seien hier die Zahlen für die TU Berlin genannt, für andere Universitäten in Deutschland dürfte das in ähnlicher Weise gelten. Waren es vor zwanzig Jahren noch knapp 30.000 Studierende, sind es jetzt in 2021 ca. 35.000.

Diese erheblichen Zuwächse wurden vom Bund durch finanzielle Mittel kompensiert. Ähnliches gilt für die Bafög-Gelder, die seit 2015 gänzlich vom Bund übernommen wurden und bei denen es den Ländern überlassen wurde, wie sie die eingesparten Mittel im Sinne der Hochschulen verwendeten. Beide Formen der zusätzlichen Mittel, die vom Bund zur Hochschulfinanzierung an die Länder gingen, sind Ausdruck des gesellschaftlichen Interesses an wachsenden Studierendenzahlen. Der Bund hat jedoch mit seinen Mitteln (Hochschulpakt o.Ä.) wieder nur befristet investiert und damit das #IchbinHanna- Problem angelegt.

Mehr Forschungsprojekte - konstante Personalstruktur

In ähnlicher Weise stiegen die Forschungsprojekte, die aus Projektmitteln finanziert wurden. Waren es 2000 an der TU Berlin Projekte im Wert von 63 Millionen Euro (bei ca. 270 Millionen Euro Landeszuschuss), waren es 2020 das Dreifache (190 Millionen Euro bei ca. 320 Millionen Euro Landeszuschuss).

Die Personalstruktur im wissenschaftlichen Bereich, für den wir uns hier interessieren, ist hingegen ungefähr konstant geblieben, nämlich 800 Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen. Davon ca. 500 Stellen zur Promotion (befristet), 150 befristete PostDocs, oft mit dem Qualifikationsziel der Habilitation oder äquivalenten Leistung, und etwa 150 entfristete PostDocs.

Um diese PostDocs geht es

Um diese 50 Prozent unserer PostDocs, die befristet beschäftigt sind, geht es bei dem neuen § 110 des BerlHG. Unterstellt, dass das neue Gesetz ausschließlich neu einzustellende Mitarbeiter*innen meint, stiege der Anteil Entfristeter im Laufe der nächsten fünf Jahre kontinuierlich. Es ist mangels Erfahrung mit diesem neuen Personalkonzept zum jetzigen Zeitpunkt unklar, wie viele Postdocs in einem Fünfjahreszeitraum tatsächlich entfristet würden und dauerhaft an der Universität blieben.

Ich nehme der Einfachheit halber hier an, dass die tatsächliche Entfristung wegen zusätzlich zu erfüllender Kriterien oder anderen beruflichen Perspektiven nur für die Hälfte der Betroffenen (75) in Kraft tritt. Die Kosten dafür sind leicht abzuschätzen: 85.000 Euro jährlich je Person mal 75 entsprechen etwa 6,4 Millionen, die ein Universitätshaushalt alle fünf Jahre für die gesetzlichen Forderungen nach §110 BerlHG (neu) zusätzlich schultern müsste.´

Nun hat der Finanzsenator postuliert, dass durch das Gesetz keine zusätzlichen Kosten entstehen. Das heißt, der Gesetzgeber geht davon aus, dass das Geld für diese Stellen an anderer Stelle eingespart wird. Innerhalb des Bereichs des wissenschaftlichen Personals hieße das, dass entsprechend weniger Wissenschaftler*innen zur Promotion eingestellt werden könnten. Bei jährlichen Kosten von ca. 75.000 Euro pro promovierender Person wären das alle fünf Jahre 85 Promovierende weniger.

Ein Zielkonflikt für Universitäten

Zehn Jahre nach Beginn der ersten Entfristungen gäbe es dann an der TU Berlin nur noch 330 aus Landesmitteln finanzierte Promovierende (statt bislang 500) mit weiter abnehmenden Zahlen. Und hier entsteht ein Zielkonflikt für Universitäten: es ist weder mit einem akademischen Karriereweg zu vereinbaren, dem wissenschaftlichen Nachwuchs nur noch ganz wenige neue PostDoc-Stellen anzubieten, noch kann es ihr Selbstverständnis sein, den jungen Hochschulabsolventen deutlich weniger Stellen zur Promotion zur Verfügung zu stellen.

Mehr zum Thema Berliner Hochschulgesetz:

Die Frage ist nun, ob die neue Situation per se schlimm ist oder nicht. Die nun unbefristet beschäftigten Wissenschaftler*innen werden in akademischer Unabhängigkeit unterwegs sein (zu Recht, sie sind ja jetzt qualifiziert). Sie werden weniger Zeit für Forschung haben, weil sie doppelt so viel Lehre machen müssen wie befristet Beschäftigte.

Rechnerisch wird die Forschungsleistung eines, sagen wir bislang gut ausgestatteten Fachgebiets einer Professor*in mit drei befristet Beschäftigten, damit auf zwei befristet Beschäftigte reduziert. Bei weniger gut ausgestatteten Fachgebieten (sagen wir eine halbe Stelle wissenschaftlicher Mitarbeiter*in) fällt dann nur noch ein Drittel einer Stelle auf ein Fachgebiet. Needless to say, dass das tatsächlich prekäre Beschäftigungen wären, an denen niemand ernstes Interesse haben dürfte. Damit bekommt der Hochschullehrer*in dann letztlich gar keine Ausstattung mit wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen mehr. Ob das die Intention des Gesetzgebers war?

Die Lehrkapazität ändert sich

Ferner ist nicht bedacht worden, dass sich die Lehrkapazität (in Semesterwochenstunden SWS) einer Universität durch die Entfristung ändert. Diese Zahl gibt an, wie viele Stunden im Semester unterrichtet werden muss, und legt damit auch die Anzahl der Studierenden fest, die in beschränkten Studiengängen aufgenommen werden muss: unbefristet beschäftigte wissenschaftliche Mitarbeiter*innen haben acht SWS, befristet Beschäftigte nur vier.

In den Studiengängen, die sehr nachgefragt sind und in denen es einen Numerus Clausus gibt, müssen entsprechend immer mehr Studierende aufgenommen werden - jedes Jahr gibt es zahlreiche Gerichtsprozesse dazu. In den Studiengängen, die NC-frei sind, führen die zusätzlichen SWS zu einem besseren Betreuungsverhältnis und in den Studiengängen, in denen die Nachfrage ohnehin klein ist, zu wachsender Überkapazität im Lehrangebot.

Die Neuregelung im Berliner Hochschulgesetz hat auch Auswirkungen auf die Lehrkapazität.
Die Neuregelung im Berliner Hochschulgesetz hat auch Auswirkungen auf die Lehrkapazität.

© imago images/Belga

In anderen Worten führt die Entfristung großer Teile des wissenschaftlichen Personals zu einer Verschiebung des Studienangebots hin zu einer Vergrößerung der NC-beschränkten Studiengänge und damit einhergehender zusätzlicher Inanspruchnahme der Lehrenden, insbesondere aber des wissenschaftlichen Mittelbaus, wenn nicht durch eine Reduktion der Lehrverpflichtung aller Lehrenden kompensiert würde. Fragwürdig bleibt, ob eine solche unbedachte Veränderung der universitären Schwerpunktsetzung die Hochschulautonomie unzulässig einschränkt.

Der Bund stellt immer mehr Anforderungen, aber nur befristete Mittel

Zusammenfassend hat der Bund über die letzten zwei Jahrzehnte mehr und mehr Anforderungen an die Forschung an Universitäten und den wissenschaftlichen Nachwuchs gestellt, für die fast ausschließlich befristete Mittel bereitgestellt wurden. Die Länder haben diese Anstrengungen mit einer gleichbleibenden, bestenfalls inflationskorrigierten Grundfinanzierung begleitet.

Ohne substantielle Steigerungen in den universitären Budgets, etwa durch eine weitere ausfinanzierte Personalkategorie, ist die Ausweitung der unbefristet beschäftigten Postdocs an den Universitäten ohne Strukturveränderungen mit Folgewirkungen nicht möglich. Will man das Verhältnis von befristet beschäftigten Promovierenden zu unbefristeten Postdocs gleich lassen, benötigt man mehr Mittel.

Aus der Herleitung der Ursachen lässt sich eine Forderung ableiten, die nicht zu Lasten der Länderbudgets geht: Die Programmpauschalen (Overhead), die für Forschung aus Drittmitteln, insbesondere des Bundes gezahlt werden, müssten in etwa verdoppelt werden, wenn sie kostendeckend sein sollen. Das wiederum ist meines Erachtens eine berechtigte Forderung an die Drittmittelgeber.

Erforderlich: 40 Prozent Programmpauschale

Mit einer Erhöhung der Projektpauschale auf 40 Prozent könnten die aufgrund der Entfristung von Postdocs wegfallenden Promotionsstellen kompensiert werden. Je erfolgreicher eine Universität bei der Einwerbung von Drittmitteln ist, desto mehr Promovierende würde sie für Forschung einsetzen können. Konkret für die TU Berlin würde eine Verdopplung der Overheadmittel Einnahmen von weiteren rund 8 Millionen Euro jährlich bedeuten, woraus zusätzliche 80 Promovierende gut zu finanzieren sind und der Bedarf zumindest für die nächsten fünf Jahre gedeckt ist.

Mit anderen Worten würde sich der Bund an der Lösung des von ihm wesentlich mitverursachten #IchbinHanna-Problems beteiligen, ohne dass das Kooperationsverbot Bund-Länder dies verhindern würde und ohne dass die Länderbudgets zusätzlich belastet würden. Ungeklärt bliebe freilich weiterhin, ob das Land mit dem neuen Gesetz unzulässigen Einfluss auf die Struktur der Studiengänge an den Universitäten nähme.

Christian Thomsen

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