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Eine Beratungssituation bei pro familia.

© Jens Büttner/picture-alliance/ZB

Diskussion um Abtreibungen: Schwangerschaftsabbruch zwischen Ausnahme und Alltag

Nach dem Urteil gegen Gießener Allgemeinärztin wird heftig über Schwangerschaftsabbrüche diskutiert. So sieht die medizinische Praxis heute aus.

Ein Schwangerschaftsabbruch sei keine normale ärztliche Leistung wie das Herausnehmen eines Blinddarms, sagte die Vorsitzende Richterin in der vergangenen Woche zur Begründung des Urteils gegen die Gießener Allgemeinärztin Kristina Hänel. „Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache.“ Auf der Website ihrer Praxis hatte Hänel auch Schwangerschaftsbrüche als Leistungsangebot erwähnt.

Wie auch immer man zu dieser viel diskutierten „Sache“ stehen mag: Ohne Ärztinnen und Ärzte sind die gesetzlichen Vorgaben für den straffreien Schwangerschaftsabbruch nicht zu erfüllen. Ohne sie ist er, wie die unselige Geschichte der „Engelmacherinnen“ zeigt, zudem gesundheitlich höchst riskant.

96 Prozent der Abbrüche erfolgen nach der "Beratungsregel"

Rund 98.700 Schwangerschaften wurden im vergangenen Jahr in Deutschland abgebrochen, so wenige wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Zum Vergleich: Im selben Jahr wurden 792.000 Kinder geboren. Fast alle Schwangerschaftsabbrüche - laut Statistischem Bundesamt 96 Prozent - erfolgen heute nach der „Beratungsregel“, also ohne medizinische und kriminologische Indikation: Die Frauen kommen mit der Bescheinigung über die Beratung und nach einigen Tagen Bedenkzeit in eine Praxis oder Klinik. Dort wird in 62 Prozent der Fälle eine instrumentelle Methode angewandt. Bei der Absaugmethode (Vakuum-Aspiration) werden Fruchtblase und Schleimhaut aus der Gebärmutter abgesaugt.

Die Frauen bekommen dafür entweder eine lokale Betäubung oder eine Vollnarkose, dann wird der Kanal des Gebärmutterhalses mit einem Metallstäbchen erweitert, um schließlich ein dünnes, mit dem Absauggerät verbundenes Röhrchen in die Gebärmutter vorschieben zu können. Der Eingriff dauert kaum eine Viertelstunde und kann ambulant erfolgen. Allerdings kann es danach in seltenen Fällen zu Komplikationen kommen, zu starken Blutungen oder zu Entzündungen, die zum Verkleben der Eileiter führen. Bis hin zu der traurigsten Langzeitfolge, dass die Frau später nicht schwanger werden kann.

Auch Mifigyne wird nur in Gegenwart eines Arztes verabreicht

Eine zweite Möglichkeit, die in einem Fünftel der Fälle gewählt wird, ist der Schwangerschaftsabbruch mit Medikamenten. Dafür nimmt die Schwangere, ebenfalls in der Arztpraxis oder in einer Klinik, drei Tabletten des Wirkstoffs Mifepriston ein. Die Pillen mit dem Markennamen „Mifegyne“ blockieren die Wirkung von Progesteron. Dieses weibliche Geschlechtshormon hat entscheidenden Anteil daran, dass sich eine Schwangerschaft entwickelt. Als zweites Mittel kommt später noch ein Prostaglandin-Präparat hinzu, um die Abstoßung des Gewebes aus der Gebärmutter zu unterstützen.

Auch dieses Mittel wird in Gegenwart von Arzt oder Ärztin als Tablette oder vaginal eingenommen. Danach kommt es zu starken Blutungen. Die Methode ist allerdings nur in der frühen Schwangerschaft erfolgreich, der 63. Tag nach der letzten Monatsblutung gilt als letzter möglicher Termin.

"Pille danach" als letzte Möglichkeit der Verhütung

Auch wenn für diese Methode des Schwangerschaftsabbruchs Medikamente verwendet werden, ist sie nicht zu verwechseln mit der „Pille danach“. Denn die beiden Pillen, die diesen Namen tragen und die Wirkstoffe Levonorgestrel oder Ulipristalacetat enthalten, wirken nur 72 beziehungsweise 120 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr. Die Mittel, über die in den letzten Jahren ebenfalls viel diskutiert wurde, leiten keinen Abbruch ein, sondern sind die allerletzte Möglichkeit zur Verhütung nach einer aktuellen Verhütungspanne.

Beide Mittel verzögern oder verhindern den Eisprung und hindern Eizelle und Spermium am Zusammentreffen. Hat sich schon eine befruchtete Eizelle in der Gebärmutter eingenistet, dann wirken sie nicht. Im Zweifelsfall sollte man sie deshalb zeitnah einnehmen. Seit Frühjahr 2015 ist die „Pille danach“ rezeptfrei zu haben. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) verzeichnete direkt nach dieser Gesetzesänderung einen deutlichen, aber zeitlich begrenzten Anstieg der Verkaufszahlen – was darauf hindeutet, dass viele junge Frauen sich für alle Fälle eine Packung gekauft haben.

Bei medizinischer Indikation oft späte Abbrüche

Was die Schwangerschaftsabbrüche betrifft, gibt es neben den 96 Prozent, die nach ausführlicher Konfliktberatung in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft stattfinden, auch einen sehr kleinen Teil, der nach der Indikationsregel erfolgt. Eine solche Indikation ist beispielsweise gegeben, wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung zustande kam, was wiederum ein Arzt feststellen muss. Die Straftat muss dabei nicht zur Anzeige kommen. 2016 zählte das statistische Bundesamt 28 solche Fälle. Im gleichen Jahr gab es hingegen 3785 medizinische Indikationen für einen Schwangerschaftsabbruch. Für sie gilt, dass das Leben oder die körperliche und seelische Gesundheit der Frau durch die Schwangerschaft ernstlich gefährdet sein müssen.

Viele Abbrüche, die aus diesem Grund geschehen, finden sehr spät in der Schwangerschaft statt. Eine Frist gibt es nicht. 2016 wurden 630 Abbrüche nach der 22. Woche gezählt. Zu solchen medizinisch wie menschlich besonders belastenden „Spätabbrüchen“ kommt es oft erst, wenn die werdenden Eltern durch pränataldiagnostische Untersuchungen erfahren, dass ihr Kind mit einer schweren, oftmals lebensbedrohlichen Krankheit auf die Welt kommen würde.

Extreme Belastung für Eltern und Ärzte

Der Abbruch erfolgt dann mitunter zu einem Zeitpunkt, an dem das Ungeborene mit den modernen Mitteln der Geburtsmedizin heutzutage an der Grenze zur Lebensfähigkeit wäre. Tod und Leben rücken damit extrem nah zusammen. Für Eltern wie Ärzte ist das extrem belastend.

Spätestens hier wird klar, dass die Eingriffe nicht mit einer Blinddarm-Operation zu vergleichen sind. Um sachlich über die medizinischen Möglichkeiten zum Abbruch einer Schwangerschaft zu informieren, muss man das allerdings auch nicht tun.

Einen Kommentar von Jost Müller-Neuhof zum Fall der verurteilten Gynäkologin lesen Sie hier.

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