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Nachweisverfahren für molekulare Merkmale des Coronavirus Sars-CoV-2 sind nicht so genau wie Erbgut-Tests, könnten aber schneller anzeigen, ob von einer zuvor positiv getesteten Person noch Ansteckungsgefahr ausgeht.

© Vincent Jannink/ANP/dpa

Diskussion auf World Health Summit: Antigen-Schnelltests als Gamechanger im Kampf gegen Covid-19

Covid-19 bestimmt den World Health Summit in Berlin. Christian Drosten berichtet von einem neuen Ansatz die Verbreitung auch bei hohen Fallzahlen zu bremsen.

Es ist einer der größten Vorzüge des jährlich in Berlin stattfindenden World Health Summit (WHS), dass der internationale Kongress globale Gesundheitspolitik abseits des aktuellen Tagesgeschehens behandeln kann. Dieses Jahr war es anders. Covid-19 war als zentrales Thema gesetzt.

Doch der WHS 2020 wirkt trotz des Fokus auf die aktuellen Herausforderungen durch die Pandemie geradezu routiniert. Denn vor den Gefahren einer weltweiten Pandemie haben Teilnehmer des Kongresses in den vergangenen Jahren immer wieder, immer eindringlicher gewarnt. Und damit vor einem Szenario, das dann zu Beginn dieses Jahres genauso eintrat.

Für die Warner, die innerhalb der WHS-Strukturen in der Vergangenheit immer viel Aufmerksamkeit und Rückhalt bekamen, aber zur breiten Öffentlichkeit und zur Politik nur schwer durchdringen konnten, bietet die Sars-CoV-2-Pandemie eine Chance.

Vom Kongress, das wurde schon bei der Eröffnung am Sonntag deutlich, soll der Appell ausgehen, sich auf die nächste globale Gesundheitskrise vorzubereiten, die eher früher als später kommen dürfte.

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Pläne in Schubladen

Dementsprechend widmeten sich die ersten Panels des diesjährigen Weltgesundheitsgipfels einer der größten globalen Gesundheitsgefahren: der pandemischen Ausbreitung von multiresistenten Bakterien.

Aktuellen Schätzungen zufolge sterben jedes Jahr rund 700 000 Menschen an den Folgen von Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen. In 30 Jahren könnten es nach einem WHO-Bericht von 2019 rund zehn Millionen pro Jahr sein. Zum Vergleich: Im Zusammenhang mit Infektionen mit Sars-CoV-2 sind bislang offiziell rund eine Million Menschen verstorben.

Die Frage, die sich viele Expertinnen und Beobachter nun vor dem Hintergrund der Coronakrise stellen: Gelingt es der globalen Gemeinschaft, die Bedrohungen ernster zu nehmen? Nun, da sie mit Sars-CoV-2 einen ersten Eindruck bekommt, welche Folgen es haben kann, Warnungen von Wissenschaftlern über Jahre hinweg nicht in Präventionsmaßnahmen zu übersetzen?

WHS-Präsident Detlev Ganten konstatierte bei seiner Eröffnungsrede am Sonntagabend, dass die Corona-Pandemie die Schwächen der internationalen Kooperations- und Reaktionsfähigkeit beim Ausbruch von Pandemien offengelegt habe. Es hätten zwar Pläne in den Schubladen gelegen für genau solch ein Szenario, leider habe man sie aber nicht sofort umsetzen können. Sich nicht vorzubereiten, das lehre die Pandemie, sei „ein Fehler und kostet sehr viel“, so Ganten.

Schnelle Tests

Es können weitere Lehren aus der Verbreitung von Sars-CoV-2 und den Antworten nationaler Regierungen gezogen werden. Christian Drosten von der Berliner Charité eröffnete am Montag eine Paneldiskussion zum Thema „Pandemievorsorge im Zeitalter von Covid-19“.

Wie der Virologe berichtete, habe der frühe Lockdown in Deutschland entscheidend zur Eindämmung der ersten Infektionswelle im Frühjahr beigetragen. Die Fallzahlen seien auf ein niedriges Niveau gesunken, auf dem sie bis in den September hinein verblieben.

Dies sei auch auf die schnelle Entwicklung eines Tests zurückzuführen, der schon zwei Tage nach der Entschlüsselung des Genoms zur Verfügung stand. „Wir waren so schnell, weil wir auf unser Wissen über verwandte Sars-Viren aufbauen konnten“, sagte Drosten. Im März konnte mit dem in Drostens Team entwickelten PCR-Test bereits der erste Fall identifiziert werden, der nicht auf eine Ansteckung im Ausland zurückzuführen war.

„Die Entscheidung für den frühen Lockdown kam auch dadurch zustande, dass Politiker in Deutschland früh wussten, dass es eine ernste Erkrankung ist und dass sie bereits im Lande weitergegeben wird“, konstatierte Drosten.

Arbeitshypothese zum Infektionsschutz

Die Lage in Deutschland war im Vergleich zu vielen europäischen Ländern daher lange besser, aber nun steigen die Fallzahlen wieder an und die Gesundheitsämter gelangen an die Grenze ihrer Kapazität, die Fälle nachzuverfolgen.

„Wir erwägen neue Testprogramme, die nicht nur Ansteckungen nachweisen, sondern zeigen, ob Personen ansteckend sind“, kündigte Drosten an. Es gebe eine Reihe von Publikationen, die zeigten, dass Infizierte etwa eine Woche nach Auftreten der ersten Symptome nicht mehr ansteckend sind, da ihre Virenlast gesunken ist.

Verschiedene verfügbare Antigen-basierte Schnelltests, die auf bestimmt molekulare Merkmale des Virus reagieren, liefern bei so geringen Virusmengen negative Ergebnisse. „Daraus ließe sich die Hypothese ableiten, dass sie das Ende der Infektiosität anzeigen“, sagte Drosten. Zu wissen, ab wann zuvor positiv getestete Personen nicht mehr ansteckend sind, könnte sich als Gamechanger im Kampf gegen die Verbreitung erweisen, so der Virologe.

Zur besseren Vorbereitung auf künftige Pandemien rät er an, die internationale Kooperation auszubauen und zudem Überwachungsprogramme für neu auftretende Krankheiten einzurichten, die von Tieren in menschlicher Obhut auf Menschen übertragen werden. Dies sei auch in Ländern des globalen Südens möglich und könne bakterielle Erreger einschließen, die resistent gegen Antibiotika geworden sind.

Vielfalt von Resistenzgenen

Dass die Coronakrise die Möglichkeit biete, lange nötige Schritte zur Prävention von Gesundheitskrisen zu gehen, hob Dame Sally Davies in einer Paneldiskussionen zur weltweit schlechter werdenden Antibiotika-Situation hervor. Davies ist Sonderbeauftragte des britischen Gesundheitsministeriums für multiresistente Keime. Was sich in der Coronakrise langsam weltweit als Erkenntnis durchsetze, gelte auch für Antibiotika-Resistenzen: „Niemand ist sicher, wenn nicht alle sicher sind.“

Derzeit würden durch die Produktion von Antibiotika in Indien, aber auch in anderen Ländern mit wenig kontrollierten Produktionsstätten, Resistenzen geradezu gezüchtet, sagte Joakim Larsson, der das Interdisziplinäre Zentrum für Antibiotikaresistenz-Forschung an der Universität Göteborg in Schweden leitet.

Es entstehe derzeit eine „Diversität von Resistenzgenen, von denen eins nach dem anderen in menschliche Pathogene gelangt“. Wenn auf diese Weise erst einmal gegen Antibiotika resistente Bakterien entstanden seien, „können wir das nicht mehr zurückdrehen“.

Lieferengpässe als Bedrohung

Als weiteren Treiber für das Problem sieht Céline Pulcini, die Koordinatorin des Nationalen Aktionsplans gegen Antibiotika-Resistenzen des französischen Gesundheitsministeriums, den zunehmenden Mangel an Antibiotika. Begünstigt würden Resistenzen in Europa nicht zuletzt durch den Einsatz von Second- und Third-Line-Antibiotika. Solche Antibiotika sollen eigentlich erst genutzt werden, wenn das erste Mittel der Wahl, das First-Line-Antibiotikum, nicht anschlägt. Allerdings seien eben diese Antibiotika häufig nicht verfügbar.

„Diese Lieferengpässe sind eine echte Bedrohung“, sagte Pulcini. Sie freue sich, dass das Problem der europäischen Abhängigkeit von ausländischen Herstellern von Arzneimitteln wie auch Medizinprodukten durch die Coronakrise ins Bewusstsein gerückt sei.

Das könnte Rückenwind für die dringend notwendige Debatte zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen geben, hofft Pulcini. „Viele der Dinge, die letztes Jahr einfach nicht adressiert werden konnten, funktionieren jetzt“, sagte sie. Es gebe nun eine „besondere Gelegenheit zu handeln“.

Der diesjährige World Health Summit findet bis Dienstag als digitales Format statt. Die ursprünglich geplante Präsenzveranstaltung im Berliner Veranstaltungszentrum „Kosmos“ wurde wegen der steigenden Infektionszahlen abgesagt.

Der World Health Summit wurde 2009 zum 300-jährigen Jubiläum der Charité als strategische Konferenz für globale Gesundheit gegründet. Das Forum steht unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und WHO-Direktor Adhanom Ghebreyesus.

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