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Eine Schülerin hält ihr neues iPad in einem Klassenraum hoch.

© Jonas Klüter/dpa

Digitalisierung des Lernens: Verbraucherschützer warnen vor Werbung in der Schule

Schüler dürften nicht von einzelnen Anbietern abhängig werden, warnt Deutschlands oberster Verbraucherschützer. Bei den Lernmaterialien gibt es Hoffnung.

In der Diskussion um den Mangel geeigneter digitaler Inhalte für die Schule bahnt sich eine Kooperation zwischen der neuen Lernmittelplattform der 16 Bundesländer „Mundo“ und dem „Materialkompass“ der Verbraucherzentrale an.

Bei Mundo können Lehrerinnen und Lehrer seit Kurzem Lernmaterialien finden und herunterladen. Beim Materialkompass werden solche Inhalte für den Unterricht bereits seit 2011 auf ihre schulische Neutralität geprüft.

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Stephanie Hubig, kündigte nun an, die Expertise des Materialkompasses nutzen zu wollen. Die Qualitätskriterien für die Prüfung von Lerninhalten könne man gemeinsam weiterentwickeln. In einem ersten Schritt werden wohl Inhalte aus dem Materialkompass auf Mundo.schule für Lehrkräfte zugänglich gemacht.

Weiteren Handlungsbedarf sieht der Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen aber bei der Rolle, die Unternehmen bei der Digitalisierung des Unterrichts spielen. Worum es geht, erklärt er Christian Füller in einem Interview, das zuerst im Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI. erschienen ist.

Herr Müller, Sie warnen zusammen mit der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Stephanie Hubig, vor „Werbung in der Schule“. Wo ist das Problem?
Wir stellen fest, wie sich Unternehmen mit Werbung in Schulen breitgemacht haben. Das fängt mit der Brotdose voller Produktproben an, die gerade wieder an Grundschulen verteilt wurde, und hört mit den Digitalkonzernen nicht auf.

Was kritisieren Sie konkret?
Wir sehen Fortbildungen für Lehrer, die dann Apple-Teacher oder Microsoft Educator Experts werden. Das hinterlässt ein Firmenbranding in den Schulen mit klarer Marketing-Absicht. Und das, obwohl alle Kultusminister der Meinung sind, dass Schule ein Raum ist, in dem Kinder lernen – aber nicht mit Werbung traktiert werden sollten.

Ein Porträtfoto von Klaus Müller.
Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (VZBV).

© Foto: Thilo Rückeis

Hat die Digitalisierung die Situation verschärft?
Ja. Früher gab es Schulbücher, die staatlich qualitätsgeprüft waren. Das wirkte wie ein Filter gegen Werbung. Jetzt sehen wir, dass immer mehr digitale Lehr- und Lernangebote gemacht werden, die überhaupt nicht qualitätsgesichert sind. 22 von 30 Dax-Konzernen sind inzwischen mit eigenen Lernmaterialien unterwegs, die sie auch über digitale Kanäle ungefiltert in Schulen spülen und die oft vor allem den Unternehmenszwecken dienliche Informationen enthalten. Das ist nicht im Interesse der Schüler, wenn Inhalte verzerrt dargestellt werden, die Lernende dann für bare Münze nehmen. Unser Ziel ist der souveräne Schüler und später der kritische Verbraucher.

Der kleine Digitalpakt hat eine Flut von Tablets in die Schulen ausgelöst. Wie können Schulen und Lehrkräfte so damit umgehen, dass die Rechte der Schüler gewahrt bleiben?
Wir haben eine positive Grundeinstellung dazu und auch die Schüler wollen diese Geräte ja haben, gerade jene, die sie sich nicht leisten können. Die Frage ist nur, ob wir da nicht in monopolartige Situationen hineingeraten. Wenn mit einem Endgerät zugleich ein Cloudsystem, eine Verkaufsplattform und ein App-Store mitgeliefert werden, sperren wir Schüler gewissermaßen in eine geschlossene Produktwelt ein.

Spätestens dann verliert Schule ihre kritische Distanz – und macht sich abhängig. Wir brauchen an Schulen sicher eine gute digitale Ausstattung. Dann müssen Schüler aber gleichzeitig lernen, dass es Vielfalt gibt und im Netz nicht nur richtige Informationen umherschwirren, sondern auch viele falsche.

Was ist das Problem, wenn ein staatlicher Lehrer als Apple-Teacher oder Microsoft-Education-Expert auftritt?
Wollen wir die neutrale Schule etwa als Außenstelle eines Konzerns branden? Oder auch nur den Eindruck entstehen lassen? Ich finde nein. Wir haben das Wort googeln in den Sprachgebrauch übernommen, das sollte mit Apple- und Microsoft-Lehrern nicht passieren. Das wäre eine Pervertierung und dreht nicht nur dem heimlichen Kartellwächter in mir den Magen um.

Schülern muss immer klar sein: Es gibt Alternativen, es gibt Wettbewerb. Kurz: iPad- oder Samsung-Klassen verbieten sich. Microsoft darf kein Synonym für Betriebssystem und Schulcloud werden. Das hat monopolistische Tendenzen, gegen die die Politik an anderer Stelle hart vorgeht.

Auf diesem Gebiet haben wir noch viel zu wenige Mitstreiter, aber wir brauchen sie und zwar jetzt. Jeder Euro, den die Digitalkonzerne derzeit anlegen, ist – aus deren Sicht – ein wertvoller Euro, der sich vielfach amortisieren wird.

Schülerinnen sitzen in einer Reihe vor Computern.
Klaus Müller warnt auch vor Algorithmen, die etwa Lernfortschritte von Schülern falsch berechnen könnten.

© Friso Gentsch/dpa

Warum machen Lehrkräfte bei dieser Werbeschlacht mit?
Weil andere ihre Aufgabe nicht gemacht haben. Ich muss den Vorwurf an die Kultusminister richten, dass sie es bisher versäumt haben, qualitätsgesicherte digitale Angebote auf den Markt zu bringen, die den Lehrern Halt geben.

Lernplattformen sind heute in der Lage, Schülern exakt die Aufgabe zuzuweisen, die eine Herausforderung für sie darstellt. Das ist doch spannend! Deswegen haben wir auch ein gutes Verhältnis zur Digitalisierung des Lernens. Komma: wenn ein paar Prinzipien gelten. Erstens die Einwilligung, das heißt Schüler und Eltern dürfen in einer Schule nicht de facto gezwungen werden, ihre Daten auf einer Plattform abzugeben. Zweitens muss der Beutelsbacher Konsens weiter gelten.

Was heißt das?
Das ist das Grundprinzip in deutschen Schulen: Es muss kontrovers diskutiert werden und kein Schüler darf überwältigt werden – auch nicht von Angeboten billionenschwerer Digitalkonzerne. Zum digitalen Diskurs in der Schule gehört genauso der Chaos-Computer-Club, die Gewerkschafterin und der Kinderschützer.

Wie steht es mit Künstlicher Intelligenz: Was ist die größere Gefahr – dass KI ungerechte Noten vergibt oder dass KI nie in die Anwendung kommt?
Ich war selber in der Datenethikkommission, die dafür plädierte, den Anschluss bei der KI nicht zu verlieren. Gleichzeitig sehen wir immer mehr Fälle, bei denen KI diskriminierend wirkt. Nicht etwa, weil sie böse ist, sondern weil der Algorithmus falsch konditioniert wurde.

In der Schule darf das aber nicht passieren – auch nicht aus Versehen. Wir können die Lernwege von Schülern nicht mit einem Algorithmus beeinflussen, dessen Konsequenzen wir nicht bedacht haben.

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