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Im Bild ist ein Laptop, auf der eine Person mit beiden Händen tippt.

© Lisa Ducret/dpa

Digitale Revolution im Schnelldurchlauf: Was sich seit dem Lockdown an den Schulen verändert hat

Im März wurden die Schulen von Corona kalt erwischt. Künftig müsste der Fernunterricht dank Lernportalen und Endgeräten besser laufen. Doch es gibt Zweifler.

So inaktuell war die OECD selten. Ende September verkündete die Organisation, dass Deutschlands Schulen bei den Lernplattformen weit abgeschlagen seien. Nur ein Drittel der Schüler könne online mit seinen Lehrern kommunizieren. Die Daten für die Sonderauswertung von Pisa stammten allerdings aus dem Jahr 2018. Und seit Corona ist 2018 gefühlt so weit weg wie das Mittelalter.

In Wahrheit dürfte die Bildungsrepublik seit der Pandemie im internationalen Vergleich weit vorne mit dabei sein. Je nach Bundesland sind inzwischen 60 bis 80 Prozent der Schulen in einer Lernwolke, in der sie mit Schülern Nachrichten tauschen und häufig sogar Dateien gemeinsam bearbeiten können. Damit dürfte Deutschland im Pisa-Ranking zwischen Schweden (Platz 4) und Kanada (Platz 25) liegen – und nicht mehr auf Rang 65.

Mit den Schulschließungen im März ist nämlich ein regelrechter Boom bei den Lernplattformen ausgebrochen. In Nordrhein-Westfalen breitet sich die open-source-Plattform Logineo-NRW aus. Im Norden der Republik staffiert der kommerzielle Anbieter itslearning die Schulen aus. Im Süden haben Baden-Württemberg und Bayern die – datenschutzrechtlich umstrittenen – Produkte MS Teams und MS 365 des US-Giganten Microsoft frei gegeben.

Der "Lernraum Berlin" ist gewachsen

Selbst in Berlin und Brandenburg, die bei Schulleistungsvergleichen stets auf den hinteren Plätzen landen und beim Stand der Digitalisierung als Schlusslichter gelten, haben Schulen mittlerweile massenhaft Zugang zu einer Lernplattform. In der Hauptstadt etwa sind seit Corona drei Viertel der Schulen im virtuellen „Lernraum Berlin“ angekommen.

Brandenburg dürfte sogar das Symbol für die explosionsartige Ausbreitung von Lernwolken sein: Vor dem Ausbruch der Pandemie und den Schulschließungen waren nur 0,65 Prozent der Schulen in der Potsdamer Schulcloud des Hasso-Plattner-Instituts. Mittlerweile können allein in Brandenburg 500 von 916 Schulen in der als Bundescloud gedachten Plattform lernen.

Die Zeit der händischen Übergaben von Arbeitsblättern und auf Schulhöfen eingerichteter Ablagekästen sollte bundesweit – und auch in Berlin und Brandenburg – vorbei sein. Corona hat eine digitale Revolution in der Schule ausgelöst.

Eine Welle von Laptops und Tablets

Nicht anders sieht es bei den Endgeräten aus. Über deutsche Schulen und Schüler schwappt gerade eine Welle von Laptops und Tablets, die oft kaum zu verarbeiten ist. Immer öfter sind dabei nicht nur Sozial-Tablets das Ziel, sondern die 1:1-Ausstattung der Schülerschaft: Bremen gibt allen Schülern und Lehrern Tablets, auch Berlin kauft wie verrückt ein. NRW und Baden-Württemberg haben zusätzliche Millionen angekündigt, Bayern gar eine Extra-Milliarde.

Zwei Frauen mit Alltagsmasken stehen mit Schachteln und Laptops auf einem Schulhof.
Bremens Bildungssenatorin Claudia Bogedan und eine Lehrerin verteilen neue Tablets vor einer Grundschule.

© Sina Schuldt/dpa

Auch der Bund hat seinen 5,5 Milliarden schweren Digitalpakt ergänzt: Eine halbe Milliarde Euro gibt es obenauf für Schüler-Endgeräte. „Das ist extrem einfach gelöst worden“, schwärmt der Vertriebsmann eines großen Geräteherstellers. Die Geräte sind unkompliziert zu beschaffen, und die Schulleitungen entscheiden nach eigenem Ermessen – und ohne langwieriges Antragsverfahren –, welche Schüler und Schülerinnen ein Laptop oder Tablet erhalten.

Über das nächste 500-Mio-Programm verhandeln Bund und Länder bereits: Alle Lehrkräfte in Deutschland sollen neue Tablets oder Laptops bekommen. Zusammen mit den in den Ländern mobilisierten Mitteln dürften damit rund 10 Milliarden Euro für digitale Bildung an Schulen verfügbar sein. „Niemand hat so viele Endgeräte auf Lager, wie jetzt gekauft werden können“, unkt man bereits in der Industrie.

Ein Schulleiter: "Ich höre keine Ausreden mehr"

Fast alle an Schule beteiligten Gruppen sind denn auch vorsichtig froh über den Aufbruch ins digitale Zeitalter. „Wir können heute Kommunikation mit allen Schülern herstellen“, sagt zum Beispiel Simone Fleischmann, die Vorsitzende des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes. „Ein neues perfektes Modell von Fernlernen können aber noch nicht alle Lehrer beherrschen.“

[Bereit für neue Schulschließungen? Wie ein Berliner Eltervertreter die Lage einschätzt, lesen Sie hier]

Schulleiter wie Matthias Förtsch vom Gymnasium im Bildungszentrum Biberach (Baden-Württemberg) atmen auf: „Ich höre keine Ausreden mehr. Alle wissen, dass die Beschäftigung mit digitalen Lernmethoden notwendig ist.“ Bundeselternrat Stephan Wassmuth bleibt jedoch skeptisch: „Es ist ein bisschen besser geworden, aber vom Optimum sind wir noch weit entfernt.“

Ein Schüler bearbeitet im Klassenzimmer eine Aufgabe auf einem Tablet.
Lernmaterial für den Unterricht in der Schule und zu Hause steht zunehmend auf den Lernportalen der Länder bereit.

© Jens Wolf/dpa

Noch immer fehlen WLAN und Systemadministratoren

Auch die GEW-Vorsitzende Marlies Tepe warnt: „Es hapert weiter an der Zahl der Endgeräte, einem funktionsfähigen WLAN und Systemadministratoren, die die digitale Infrastruktur an den Schulen einrichten.“

Die Gewichtungen aber haben sich vom Ob zum Wie digitalen Fernlernens verschoben. Fast alle befragten Expertinnen und Akteure geben zu verstehen, dass digitale Technologie notwendig ist – mit einer entscheidenden Einschränkung: Alle Anstrengungen der vergangenen Monate seien nicht hinreichend, um „Schule daheim“ wirklich gut bewältigen zu können.

Das liegt vor allem an der Fortbildung der Lehrkräfte. Die hat sich zwar weit über die bislang üblichen staatlichen Seminare hinaus verbreitert. Sei es auf Massenveranstaltungen wie der „Mobilen Schule“ in Oldenburg, wo sich offline über 1000 Lehrer beteiligten – und online seit Corona rund 5000. Sei es bei schulinternen Lehrer-Fortbildungen, so genannten „Schilfs“.

Aber die bundesweit 800.000 Lehrkräfte allesamt digital fit zu machen, ist mit Herkulesaufgabe noch zurückhaltend beschrieben.

Enorme Nachfrage nach Fortbildungen

Doch die Nachfrage nach Lehrkräftefortbildungen ist enorm. Das sieht man gerade bei den lehrernahen Formaten. Saskia Ebel etwa, bislang Lehrerin an der Walter-Eucken-Schule in Karlsruhe, bietet jetzt für das Landesmedienzentrum Baden-Württemberg offene Veranstaltungen an, bei denen Lehrerinnen und Lehrer genau die Technik mitbringen, die sie haben. In kleinen Gruppen lernen Lehrer ihre Geräte besser kennen – und mögliche Einsatzszenarien.

[Lesen Sie auch unseren Bericht über selbstorganisierte Fortbildungen von Lehrkräften: Digitales Klassenzimmer - sie können auch anders]

„Das ermöglicht das passgenaue Eingehen auf die Bedarfe der Teilnehmenden“, sagt Ebel. Insgesamt 193 Veranstaltungen finden quer durch Baden-Württemberg statt. Mehr Nachfrage geht kaum. Von Euphorie kann jedoch selbst in dem Teil der Lehrerschaft nicht die Rede sein, der schon lange digital affin ist.

Umfrage im #Twitterlehrerzimmer

Eine spontane Umfrage für den Tagesspiegel im „Twitterlehrerzimmer“ zeigte in der vergangenen Woche, dass nur vier von zehn Lehrkräften glauben, dass das Fernlernen jetzt besser laufen würde als nach dem 14. März, als die Schulen in Deutschland flächendeckend dicht machen mussten. 60 Prozent meinten, es hätte mehr passieren müssen.

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Das Twitterlehrerzimmer ist ein Hashtag auf dem Kurznachrichtendienst, unter dem sich engagierte Pädagogen über digitale Bildung austauschen. Insgesamt nahmen rund 700 Twitter-Lehrkräfte an der – nicht repräsentativen – Umfrage teil. Sie geben an, dass in der größeren Digital-Bereitschaft unter Pädagogen der wichtigste Fortschritt seit Corona liege.

Als entscheidendes Instrument wird auch hier die Lehrerbildung gesehen – deutlich vor der Ausrüstung mit Endgeräten oder Lernplattformen.

Digitaler Aufbruch über den Sommer eingeschlafen

Kolja Brandstedt ist Projektleiter der Pacemaker-Initiative, die Schulen bei der Transformation durch Coaching begleitet. „Es ist nicht besser geworden, sondern anders“, sagt er. Seit März habe ein Aufbruch in digitale Lernumgebungen stattgefunden – der aber über den Sommer wieder eingeschlafen sei.

„Alle Lehrkräfte wissen jetzt, dass sie ohne Lernmanagementsysteme und Videokonferenzen nicht mehr auskommen. Nur reicht das passive Wissen nicht aus.“ Brandstedt beobachtet einen Wandel. Die Fortbildungen der Lehrer und Lehrerinnen liefen inzwischen gezielter ab.

„An vielen Schulen hat sich das Weiterbildungsgeschehen verselbständigt. Wir werden zu ganz bestimmten Tools und Methoden angefragt – und die liefern wir dann ab.“ Was Brandstedt in der Breite der Lehrerschaft vermisst ist jedoch, die Grundsatzfrage zu stellen: „Was bedeuten digitale Formate für die Unterrichtspraxis von morgen?“

Neue bundesweite Plattformen

Auch auf einem anderen wichtigen Gebiet hat sich viel getan – beim Schulbuch. Bisher war das gedruckte Buch unumstritten Leitmedium an den Schulen. Zwei Plattformen im Netz werden das wohl ändern. Sie bieten Lernmaterialien in jeder denkbaren medialen Ausspielvariante an.

Zunächst die vom Bund geförderte Webseite „WirlernenOnline“. Dort sind so genannte Open educational resources zu finden, also lizenzfreier Inhalt. Dann das Portal „Mundo“, das die Schulminister der Länder in Auftrag gaben. „Mundo ist wie ein Schaufenster aller möglichen Lernmaterialien, vom PDF über das Video bis zum digitalen Arbeitsblatt“, erklärt Michael Frost. Er leitet das „Medieninstitut der Länder“.

Dieses Institut in München entwickelt gerade ein weiteres Tool, das dem Schulbuch neue Konkurrenz machen soll: Sodix. Dort werden die online verfügbaren Lernmaterialien der Länder erschlossen, verknüpft – und für alle Schulen und Lehrkräfte zugänglich gemacht.

„Die Länder arbeiten zum ersten Mal bei Lernmaterialien wirklich zusammen“, berichtet Andreas Koschinsky, Leiter der Mediendienste am Institut. „Binnen kurzer Zeit wird für Lehrkräfte ein viel größeres Angebot unterschiedlichsten Contents zur Verfügung stehen.“

Und wo finden die Lehrenden dieses Material? „Sie gehen wie bisher im Bildungsportal ihres Bundeslandes mit Schlagworten auf die Suche.“ Sodix ist also wie ein Drehkreuz: Es eröffnet Lehrkräften das Tor zu den Inhalten anderer.

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