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Während andere EU-Länder das Impfen von Teenagern längst empfohlen haben, hat nun auch die Ständige Impfkommission die offizielle Empfehlung für 12- bis 17-Jährige ausgesprochen.

© Daniel Karmann/dpa

Die (zu) späte Empfehlung zur Teenager-Impfung: Die Stiko braucht mehr Vertrauen in die eigene Expertise

Aufgabe von Expertengremien ist, schwierige Entscheidungen zu treffen, solange sie schwierig sind. Auf glasklare Daten zu warten, reicht nicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sascha Karberg

Nein, mit ihrem Beschluss, die Corona-Impfung nun auch für 12- bis 17-Jährige zu empfehlen, haben sich die Experten der Ständigen Impfkommission (Stiko) nicht „umentschieden“, sie haben sich nicht „der Politik“ gebeugt, sie haben nicht ihre Wissenschaftstreue verraten.

Allerdings haben die ehrenamtlich arbeitenden Ärzte und Wissenschaftler des Gremiums auch nicht alles richtig gemacht. Vor allem in der Kommunikation ihres Tuns brauchen die Impfberater ganz offensichtlich Beratung.

Denn die Strategie der Stiko, solange keine Empfehlung für die Teenager-Impfung auszusprechen, wie die dafür notwendigen Daten über Covid-Erkrankungen und Nebenwirkungen ihr nicht vorliegen, kam in der Bevölkerung eben nicht an als ein Abwarten, sondern als ein Abraten vom Impfen in dieser Altersgruppe.

Daher mutet die jetzige Entscheidung für die Impfung der 12- bis 17-Jährigen wie eine Kehrtwende, wie ein Einknicken vor den Forderungen einiger Politiker daher und – was noch gravierender ist – als seien diesmal „alternative“ wissenschaftliche Fakten herangezogen worden, um das gewünschte Ergebnis zu begründen. Dazu trug auch die unbedachte Bemerkung des Berliner Kinderarztes und Stiko-Mitglieds Martin Terhardt in der „Abendschau“ des rbb Mitte August bei, die Stiko werde bald „versuchen, der Politik ein wenig entgegenzukommen“.

Der Druck auf die Stiko ist Pandemie-bedingt

Aus rein wissenschaftlicher Sicht ist es völlig richtig, erst auf aussagekräftige Daten zu warten und dann zu entscheiden. Aber die Kommission hat nicht begriffen, dass es diesen zeitlichen Spielraum in einer Pandemie, in der jeder Tag zählt, nicht immer gibt. Das ist ein Druck, dem dieses Gremium in Nicht-Pandemie-Zeiten nicht ausgesetzt und den es nicht gewöhnt ist.

Während es sonst jahrelang und ohne öffentliche Aufmerksamkeit auf wasserdichte Studien warten kann, bevor es entscheidet, sieht es sich nun ständigen ungeduldigen Nachfragen ausgesetzt. Zunehmend genervt und ungehalten zeigte sich Thomas Mertens, Arzt und Virologe und seit 2017 Chef der Stiko in Interviews und Talkshows:„Ob der Druck, den Medien und Politiker teilweise aufgebaut haben, immer sachlich gerechtfertigt war“, sagte Mertens etwa, „daran habe ich meine Zweifel.“ 
Aber der Druck kommt nicht von „der Politik“ oder „den Medien“, sondern ist Pandemie-bedingt. Die Expertengremien in fast allen anderen EU-Ländern haben diese Entscheidungsdringlichkeit besser verstanden und sich trotz gleicher Datenlage, trotz gleicher Abwägungsschwierigkeit zwischen den schon erkennbaren Vorteilen und den in Häufigkeit und Dimension vielleicht noch nicht allumfassend absehbaren Nebenwirkungen weit früher für die Impfung ausgesprochen. Und damit haben sie 12- bis 17-Jährige keinem unverantwortlichen Risiko ausgesetzt, denn einen Hinweis auf zu häufige, gravierende Impfschäden gab und gibt es auch in dieser Altersgruppe nicht.

Mehr Zutrauen in die eigene Expertise

Es ist wie so oft in dieser Pandemie: ob in der Diskussion um Masken, um Filteranlagen, um Teststrategien – immer wären noch bessere, noch stringentere Studien hilfreich, um zu entscheiden. Doch von einer Expertenkommission ist in einer unübersichtlichen Krisenlage mehr zu erwarten als das Standardprozedere aus ruhigen Zeiten. Etwa vorausschauendes Entscheiden. Denn mit einer nachweislich ansteckenderen Delta-Variante, die vor allem Ungeimpfte, also Kinder und Jugendliche, treffen wird, hat sich eine neue Situation ergeben. Selbst die besten Studien aus Zeiten mit Alpha könnten sie nicht hinreichend beschreiben

Wir brauchen in solchen Momenten also nicht nur das Wissen und das großartige Engagement der Stiko-Mitglieder. Wir brauchen auch ihren Mut und ihr Zutrauen in die eigene Expertise, damit sie schwierige Entscheidungen treffen, solange sie schwierig sind und nicht erst, wenn alle Zweifel ausgeräumt sind.

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