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Wo ist es denn? Auf der Suche nach dem Glück.

© Andreas Klaer

Die Vermessung der Fröhlichkeit: Das Unglück mit der Glücksforschung

Vom Glücksatlas bis zum World Happiness Report - wer Lebenslust in ein Ranking presst, macht Schlagzeilen. Aber viel kommt dabei nicht heraus. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Glück ist etwas Persönliches, und dazu zerbrechlich. Das hindert Forscher nicht daran, es zu messen und Glücks-Rankings zu veröffentlichen. An erster Stelle steht der „World Happiness Report“ der Vereinten Nationen. 157 Nationen sind 2016 in einer Rangliste berücksichtigt worden. Deutschland hat es auf Platz 15 geschafft, Spitzenreiter ist Dänemark, Schlusslicht Burundi. So weit, so nachvollziehbar. Doch warum ausgerechnet das vom Bürgerkrieg zerrüttete Somalia auf Platz 76 steht und damit vor Ungarn (91), Portugal (94) und China (83), ist nicht so ganz einzusehen. Ich jedenfalls würde es von hier aus betrachtet vorziehen, in Budapest, Lissabon oder Peking zu leben, statt in Mogadischu.

Für Deutschland maßgeblich ist der „Glücksatlas“ der Deutschen Post. 2016 verzeichneten die Wissenschaftler einen „deutlichen Sprung“ nach oben. „Das Glücksniveau der Deutschen hat mit einem Wert von 7,11 erstmalig das Zufriedenheitsplateau der letzten Jahre verlassen“, lautet die zentrale Aussage. Klingt, als ob wir bald auf einer rosa Wolke abheben. Ermittelt wird auch der Frohsinnspegel in den Bundesländern. Hier fällt leider auf, dass der Osten schlechter gelaunt ist als 2015. Stimmungskanone Schleswig-Holstein (mit 7,41 auf dem ersten Platz) und Downer Meck-Pomm (mit 6,77 auf dem letzten) sind geografische Nachbarn, aber emotional gesehen klafft ein bipolarer Abgrund. Sagt zumindest der Glücksatlas.

Glück, vermessen bis auf drei Nachkommastellen

Natürlich kommt man in die Schlagzeilen, wenn man behauptet, die Befindlichkeit in den Bundesländern bis auf zwei Stellen hinter dem Komma bestimmen zu können. Menschen lieben Zahlen und Ranglisten – auch wenn sie, wie in diesem Fall, reine Kaffeesatzleserei sind und Präzision nur vorgaukeln. Übrigens bringt es das Glücks-Ranking der Vereinten Nationen sogar auf drei Nachkommastellen – als wenn man den Atomkern vermessen würde. Das ist das eine, kleinere (quantitative) Problem der Glücksforschung: die Behauptung, Lebenslust in Zahlen ausdrücken zu können.

„Die subjektive Lebenszufriedenheit ist gar nicht so kompliziert zu messen“, schreiben die Glücksatlas-Ersteller. „Der Harvard-Professor Daniel Gilbert vergleicht es gern mit der Messung der Kurzsichtigkeit. Obwohl der Augenarzt vom Patienten nur subjektive Aussagen über dessen Sehvermögen erhält, kann er ihm am Ende eine gute Brille verschreiben.“ Dieses Argument hinkt doppelt, wenn dieses schiefe Bild erlaubt ist. Denn Kurzsichtigkeit lässt sich präzise messen und in einem Dioptrien-Wert ausdrücken. Das ist beim Glück nicht möglich, weil es subjektiv ist.

Außerdem: Was ist damit gewonnen, wenn man den Dioptrien- Wert der Bevölkerung registriert und in einen Durchschnittswert presst? Das Gleiche könnte man etwa mit dem Blutdruck oder Blutzucker machen, aber in all diesen Fällen wäre der erhaltene Zahlenwert ziemlich belanglos.

Auf dem Weg zum Bruttoglücksprodukt

Ein Durchschnittsblutdruck sagt wenig aus, noch schlimmer ist es beim subjektiven Zufriedenheitsgefühl, das zur Bezugsgröße kollektiver Befindlichkeit, zum Bruttoglücksprodukt gemacht wird. Damit wären wir beim zweiten, größeren (qualitativen) Problem: der Frage nach dem Glück. Das ist bekanntlich nicht so leicht zu fassen. Der eine mag es eher als Lust und Vergnügen deuten, wenn etwa der eigene Verein das Siegtor schießt, die andere als vage empfundene allgemeine Zufriedenheit, eine Art persönlicher Mittelwert aus Familie, Karriere, Wohlbefinden und Gesundheit.

Wie auch immer. Aus den vielen Dimensionen menschlichen Erlebens einen eindimensionalen Zahlenwert zu erzeugen, heiße, unsere Erfahrung zu missachten, wie die Kritikerin Martha Nussbaum von der Universität Chicago feststellt. Oder wie der Komiker W. C. Fields sagte: „Es mag bessere Dinge als Sex geben, oder schlechtere. Aber es gibt nichts, was ihm gleicht.“

Menschen trachten danach, ihrem Leben Sinn und Bedeutung zu geben. Das ist ihnen oftmals wichtiger als ein hoher Wert auf der nach oben arg begrenzten Glücks- Skala. Der notorisch schlecht gelaunte Beethoven zum Beispiel hätte womöglich auf die Frage „Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Gesamtsituation, Herr Beethoven?“ einen Wert weit unter dem mecklenburgischen Mittel genannt. Was soll’s? Seine Musik erfreut jeden Tag Millionen, gibt ihnen Hoffnung und macht sie für einen Moment glücklich.

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