zum Hauptinhalt
Wie bei einem Puzzle müssen die Forschenden die einzelnen Teile zum gesamten Erbgut von Sars-CoV-2 zusammensetzen.

© JEAN-FRANCOIS MONIER / AFP

Die Pandemie verstehen: „Wir haben gute Gründe, unsere Virusforschung zu verstärken“

Um auf Pandemien reagieren zu können, braucht es mehr langfristige Investitionen in die Virologie, sagt Konstantin Sparrer.

Herr Sparrer, in Baden-Württemberg wird bei allen positiven PCR-Tests das gesamte Sars-CoV-2-Erbgut sequenziert, um Virusvarianten aufzuspüren. Nun befürchten Sie, dass dafür auf Dauer das Personal fehlt – aber die Sequenziermaschinen funktionieren doch automatisch?

Die Apparate liefern nicht das komplette Erbgut von Sars-CoV-2, sondern einige Millionen DNA-Stückchen mit einer Länge von jeweils 50 bis 100 Bausteinen. Wie bei einem riesigen Puzzle müssen diese Teilchen dann zum gesamten Erbgut von Sars-CoV-2 zusammengesetzt werden. Dafür braucht es spezielle Computerprogramme und damit Bioinformatiker, die sie schreiben und bedienen können. Leider ist dieses Personal nicht so einfach und schnell verfügbar. Die lange Ausbildung lohnt sich für die Wissenschaftler und für die Gesellschaft ja nur, wenn die Forscher später auch weitermachen können. Die Finanzierung für die aktuell laufenden Sars-CoV-2-Projekte aber sind auf ein oder allenfalls eineinhalb Jahre ausgelegt. Das ist für diese Spezialisten keine Perspektive.

Gibt es noch weitere Schwierigkeiten?

Bevor das Virus-Erbgut in den Maschinen sequenziert werden kann, muss es aus dem Abstrich isoliert werden. Da Sars-CoV-2 ein leicht übertragbares, gefährliches Virus ist, muss dies in speziellen Sicherheitslabors geschehen. Diese S2- oder S3-Labors können von Spezialfirmen in drei, vier Monaten eingerichtet werden, müssen dann aber von den zuständigen Behörden überprüft und genehmigt werden. Bürokratische Hürden, überlastete Ämter und unklare Zuständigkeiten kosten aber so viel Zeit, dass wir bisher noch kaum vorangekommen sind.

Wenn es so lange dauert, virologische Sequenzierlabors einzurichten und die Spezialisten dafür auszubilden und einzustellen, lohnt sich die Investition dann überhaupt noch? Könnte die Pandemie bis dahin nicht längst zu Ende sein?

Solche Investitionen sollten ohnehin langfristig genutzt werden. Das ist vor allem in der Virologie auch sinnvoll. So wurde der Aids-Erreger HIV bereits 1983 entdeckt. Aber noch heute forschen bei uns im Institut der HIV-Spezialist Frank Kirchhoff und sein Team an diesem Erreger. Schließlich gibt es nach wie vor weder eine Impfung, die vor AIDS schützt, noch eine Heilung, die das Virus aus dem Körper entfernt. Es geht nicht nur um Covid-19: Wenn wir gut ausgestattet sind, könnten wir auch weitere gefährliche Erreger und Viren mit bisher noch gar nicht bekanntem Gefährdungspotenzial untersuchen. Das ist nötiger denn je. Wir können uns sicher sein, dass die nächste Pandemie mit anderen Erregern kommen wird, in der die heute getätigten Investitionen sich auszahlen werden. Obendrein sind die Kosten für eine solche vorbeugende Forschung um Größenordnungen niedriger als die gigantischen Summen, die wir derzeit ausgeben, um die Schäden der Pandemie einzudämmen.

Woraus schließen Sie, dass weitere Pandemien kommen könnten?

Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder neue Ausbrüche, etwa der Vogelgrippe, der Schweinegrippe, der Afrikanischen Schweinepest oder Ebola. Diese Häufung hat durchaus Gründe: Es gibt viele Erreger, die Vögel, Fledermäuse, Nagetiere und andere Säugetiere infizieren. Und je mehr Menschen auf der Erde leben, umso öfter kann es vorkommen, dass solche Viren auch auf Menschen überspringen. Meist passiert nicht viel, weil die Erreger nicht an unseren Organismus angepasst sind und sich daher nicht oder nur schlecht im Menschen vermehren können und kaum von Mensch zu Mensch übertragen werden. Doch die Viren können sich verändern, und da viele Menschen engen Kontakt zu Tieren haben, steigen die Chancen, dass Erreger auch diese Hürde nehmen. Wir haben gute Gründe, unsere Virusforschung zu verstärken.

Aber sind wir nicht bereits gut aufgestellt? Die Ulmer Uniklinik hat neben dem Institut für Virologie noch eines für molekulare Virologie. Und neben einigen weiteren Universitäten mit virologischen Instituten gibt es auch noch das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und weitere Forschungseinrichtungen.

Es geht aber noch viel besser. An der Harvard University in den USA, wo ich vor meinem Wechsel nach Ulm forschte, gibt es allein in der Virologie mehr als 20 Forschungsgruppen, dazu kamen allein in Boston noch mehrere Unis mit Virologie-Gruppen. In den zwei Virologie-Instituten in Ulm haben wir heute dagegen gerade einmal sieben Forschungsgruppen. Das biomedizinische Forschungsförderungsbudget ist in den USA mehr als zehnmal größer als in Deutschland, während die Zahl der Einwohner dort nur etwa viermal und das Bruttoinlandsprodukt nur gut fünfmal höher als bei uns sind. Wir haben noch reichlich Luft nach oben, um uns in der Forschung fit für die nächste Pandemie zu machen.

Reagiert die Politik auf die Forderung nach mehr Unterstützung für die Virologie?

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat bereits vor der Covid-19-Pandemie das Problem erkannt und ein Programm zur Stärkung des Nachwuchses in der Infektionsforschung gestartet, das zum Beispiel die Forschung meiner Gruppe seit dem Sommer 2020 für fünf Jahre fördert. In diese Richtung könnte noch viel mehr passieren. Vor allem sollte die Spitzenforschung in der Virologie weiter ausgebaut und so viel mehr, vor allem jungen Virologen eine langfristige Perspektive geboten werden. Davon würde unsere Gesellschaft in der nächsten Pandemie sehr profitieren, weil wir mit dieser Situation dann viel besser umgehen oder sie sogar vermeiden könnten.

Das Gespräch führte Roland Knauer.

Der Virologe Konstantin Sparrer (36) forschte an der Harvard University, bevor er 2018 an die Uniklinik Ulm wechselte, wo er jetzt die Nachwuchsforschunggruppe „Immunomod“ leitet.

Zur Startseite