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Der LHC misst 27 Kilometer im Umfang, der künstliche Beschleuniger soll 100 Kilometer lang sein.

© dpa

Exklusiv

Die Maschine, die die Welt erklären soll: Das CERN will einen neuen, riesigen Teilchenbeschleuniger

Das CERN will mit einem 100 Kilometer langen Beschleuniger drängende Fragen der Teilchenphysik beantworten. Was bringt das? Ein Interview.

Siegfried Bethke (66) ist Physiker, Direktor am Max-Planck-Institut für Physik in München und für Deutschland wissenschaftlicher Delegierter im Cern-Rat.

Der Teilchenbeschleuniger LHC am Kernforschungszentrum in Genf, mit dem das Higgs-Boson entdeckt wurde, ist in die Jahre gekommen. Derzeit wird der 27 Kilometer lange Ringbeschleuniger aufgerüstet, Ende der 2030er Jahre aber wird er ausgedient haben. Seit Monaten diskutieren die Teilchenphysiker in Europa, welche Schwerpunkte die Forschung künftig haben soll. Nun hat der Cern-Rat die lang erwartete Strategie veröffentlicht. Wird es einen Nachfolger für den LHC geben?
Es wird einen Nachfolger geben, jedenfalls wünschen sich das die Physiker. Welche Maschine das sein wird und in welchem Zeit- und Kostenrahmen, ist aber unklar. Wir haben in der Strategie wissenschaftliche Prioritäten formuliert, damit ist aber noch keine Zustimmung der Geldgeber verbunden.

Was steht ganz oben auf der Wunschliste?
Dass der nächste Großbeschleuniger, also ein Gerät, das international getragen sein müsste, eine sogenannte Higgs-Fabrik ist. Da geht es um Elektronen und Positronen, die zur Kollision gebracht werden, ähnlich wie beim „LEP“-Collider, der bis 2000 am Cern in Betrieb war. Nur dass jetzt mit höheren Energien gearbeitet würde. Diese Maschine soll Higgs-Teilchen in großer Menge und präzise erzeugen, um sie genauer zu untersuchen als es bisher möglich ist.

Das soll mit einem Linearbeschleuniger geschehen?
Nicht zwingend, es gibt verschiedene Ansätze. Da wäre zum einen das Konzept des ILC (International Linear Collider) in Japan, der genau dafür geeignet wäre. Aber noch ist keine Entscheidung gefallen, ob diese Anlage gebaut wird. Sie wurde mehrfach vertagt und viele Physiker, mich eingeschlossen, haben erhebliche Zweifel, ob es dazu jemals einen positiven Beschluss gibt.

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Was wäre die Alternative?
Hier in Europa haben wir beispielsweise das CLIC-Konzept (Compact Linear Collider) am Cern, das eine modernere Beschleunigertechnologie verwendet und damit pro Energieeinheit kürzer gebaut werden kann. Die Gesamtlänge wären aber immer noch etliche Kilometer. Das Cern hat außerdem noch den FCC auf der Liste, den Future Circular Collider. Das wäre ein unterirdischer Ringbeschleuniger mit 100 Kilometern Umfang. Vorteilhaft wäre dabei, dass man höhere Strahlströme und damit mehr der gewünschten Kollisionsereignisse erreicht.

Aber die Maschine wäre viel größer und damit der Aufwand, sie zu bauen.
Absolut. Der FCC hätte aber den Vorteil, dass der dann vorhandene Tunnel später umgerüstet werden kann zu einer Maschine, die Hadronen kollidieren lässt, also schwere Teilchen wie Protonen. Damit gelangt man in bisher unerreichte Energieniveaus, was in jedem Fall spannend wäre. 

Siegfried Bethke (66) ist Physiker, Direktor am Max-Planck-Institut für Physik in München und für Deutschland wissenschaftlicher Delegierter im Cern-Rat.
Siegfried Bethke (66) ist Physiker, Direktor am Max-Planck-Institut für Physik in München und für Deutschland wissenschaftlicher Delegierter im Cern-Rat.

© MPG

Wann wird darüber entschieden?
Zuerst müssen wir sehen, ob es mit dem ILC in Japan noch etwas wird. Zusätzlich soll bis zum nächsten Update unserer Strategie, das in fünf bis sieben Jahren kommen wird, eine Machbarkeitsstudie erstellt werden. Sie soll ermitteln, ob es technologisch und finanziell überhaupt möglich ist, einen 100-Kilometer-Beschleuniger mit den gewünschten Eigenschaften zu bauen oder ob wir es lieber lassen und beispielsweise auf CLIC zurückgreifen. 

Angenommen der FCC erscheint realistisch, dann wird er in jedem Fall teuer. Schätzungen zufolge sind es 20 Milliarden Euro. Aber wofür? Bereits beim LHC hatte man neben dem Higgs-Boson noch weitere Teilchen finden wollen, die den Weg zu einer „neuen Physik“ weisen, die an Schwachstellen des Standardmodells ansetzt – bisher erfolglos. Mit dem FCC könnte es genauso sein. Wie ist eine solche Investition zu rechtfertigen?
Die 20 Milliarden Euro beziehen sich auf das Komplettpaket inklusive Hadronen-Beschleuniger. Sie würden gestreckt über mehr als 25 Jahre anfallen und mehr als 40 Jahre Experimentierbetrieb, bis in die 2080er Jahre, ermöglichen.

Aber das ist in der Tat einer der Knackpunkte, dem wir mit der Machbarkeitsstudie nachgehen wollen. Ob das finanziell von der internationalen Gemeinschaft geleistet werden kann und will, dies muss noch geklärt werden. Und dann wollen wir in ein paar Jahren zu einer guten und fundierten Entscheidung kommen.

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Es kann also passieren, dass die Maschine keine große Entdeckung macht?
Sie wird eine Fülle neuer Erkenntnisse liefern. Ob sie wirklich neue Teilchen findet, ist keineswegs gesichert. Dafür eine Wahrscheinlichkeit in Prozent anzugeben, ist unmöglich, denn wir wissen nicht, was die Natur für uns parat hält.

Dass da gar nichts rauskommt, ist ausgeschlossen. Beim LHC zum Beispiel gibt es jenseits von allem, was mit Higgs zu tun hat, mehr als 1000 Veröffentlichungen, die die Teilchenphysik voranbringen. Das würde auch beim FCC so sein.

Der FCC könnte um 2040 laufen. Zehn Jahre früher soll gemäß Medienberichten ein ähnlich gewaltiger Ringbeschleuniger in China, der Circular Electron-Positron Collider (CEPC), in Betrieb gehen und später ebenfalls auf Hadronen umgestellt werden. Warum nutzen Sie nicht einfach diesen?
Das haben wir intensiv diskutiert. Die Maschine würde in den Spezifikationen dem FCC sehr nahe kommen. Es ist klar, dass auf der Welt nur eine solche Großanlage gebaut wird und nicht zwei. Aber die Informationen aus China sind spärlich. Das Projekt ist auch dort lediglich auf einer Wunschliste, es gibt vielleicht auch Entwicklungsarbeiten. Aber es ist nicht genehmigt und keiner weiß, wann das geschieht und in welchem Zeitrahmen der CEPC dann gebaut wird.

Der zweite Punkt: China würde selbst bauen und nur in geringem Umfang auf internationale Beteiligungen zielen. Im Betrieb würden ausländische Gäste eingeladen, so viel scheint sicher. Aber es ist unklar, inwieweit europäische Institutionen in der Lage sind, eine solche absolut von China dominierte Maschine, wirklich zu nutzen. Aus allen diesen Gründen wurde der CEPC in der europäischen Strategie jetzt nicht berücksichtigt.

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Ist es nicht auch eine strategische Entscheidung, dass man in Europa bewusst eine solche Großforschungsanlage bauen möchte, um die Führung auf dem Gebiet zu behalten? Die USA haben in der Teilchenphysik lange gespart und keine Großgeräte mehr gebaut. Nun sind sie abgehängt.
Na klar, das wird von vielen so gesehen. Dass wir mit dem Cern und weiteren Instituten eine internationale Spitzenstellung haben und wir das Know-how und den Drive, den wir in der Community haben, nutzen sollten, um tonangebend zu bleiben.

Lässt sich ein solches Vorhaben mit Kosten von 20 Milliarden Euro der Gesellschaft vermitteln, gerade jetzt in der Coronakrise, wo massiv Schulden gemacht wurden?
Der Hinweis auf Corona und die wirtschaftliche Lage ist richtig. Das entscheidende Meeting für die Strategie erfolgte sozusagen noch in einer anderen Welt. Das war im Januar, da wussten wir zwar, dass es Corona gibt, aber keiner konnte die Folgen wirklich abschätzen.

Uns ist auch klar, dass jetzt nicht die ideale Zeit ist, um über Vorhaben mit derart großen Investitionen zu sprechen und damit Begeisterungsstürme auszulösen. Aber wir müssen den Prozess der Strategieentwicklung abschließen und vorankommen. Aus Sicht der Wissenschaft ist dargelegt, was sinnvoll wäre für die Zukunft und nun kann man sich daran machen, zu schauen, ob und wie das finanziert werden kann.

Wie groß ist die Unterstützung für den FCC innerhalb der Physikergemeinde?
Es gibt etliche entschiedene Befürworter, vor allem am Cern. Die Spannbreite ist aber schon groß. Sie geht von Kollegen, die sagen: „Das ist zu teuer und wenn es abgelehnt wird, können wir gar nichts mehr machen“, bis hin zu Leuten, die fast schon militant dafür eintreten. Wir haben einen Kompromiss gefunden.

Es gibt einige Ideen, wie die gewaltigen Teilchenschleudern dank moderner Beschleunigertechnik „schrumpfen“ können. Wäre es nicht besser, sich mehr Zeit zu nehmen, diese Technologien praxisreif zu entwickeln und dann kleiner und deutlich billiger zu bauen?
Ich gehöre selbst zu der Fraktion, die lieber die Technologieentwicklung weiterbringen möchte als das Vorhandene einfach größer zu bauen mit einigen Verbesserungen. Allerdings sind neue Ansätze wie Plasma-Wakefield-Beschleuniger noch in so einem frühen Stadium, dass sie viele Jahre brauchen, um praxisreif zu sein.

Es gibt große Bedenken, ob damit so viele Teilchenkollisionen erreicht werden wie wir für die Forschung brauchen. Daher ist die Weiterentwicklung von Technologien in der Strategie nach der Higgs-Fabrik und der Machbarkeitsstudie für den FCC als drittes Ziel aufgenommen worden. Dieser breite Ansatz erscheint mir am sinnvollsten, um auch in den nächsten Jahrzehnten wegweisende Grundlagenforschung zu machen.

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