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In den Hohlräumen und Zwischenböden des Media Labs und anderer Gebäude des Massachusetts Institute of Technology in Cambridge leben unzählige Mäuse und Ratten. Ihre Anzahl soll nun mit Hilfe von Gentechnik reduziert werden.

© picture alliance / Bodo Marks/dp

Exklusiv

Die Mäusefänger vom MIT: Forscher wollen Mäuseplage mit Gentechnik beseitigen

Neue Gentechnologien ermöglichen Eingriffe in die Natur. Forscher des MIT diskutieren nun, wie und ob sie so die Mausplage an ihrer Uni reduzieren sollen.

„Sollen wir genetische Methoden zur Geburtskontrolle nutzen, um die Maus-Population auf dem MIT-Campus zu reduzieren?“ Mit dieser Frage will sich das Forschungsteam „Sculpting Evolution“ des Media Lab am Massachusetts Institute of Technology demnächst an die Öffentlichkeit wenden.
Die Wissenschaftler wollen zunächst mit den Kollegen des Media Labs und später mit der Bevölkerung von Cambridge und Boston darüber diskutieren, ob sie der Nagetierplage mit dem Aussetzen von Mäusen begegnen sollen, deren Erbgut so verändert werden könnte, dass sie nur noch männliche Nachkommen zeugen können.

„Wenn wir in jeder von 20 Generation etwa sechs tochterlose Männchen pro hundert Wildtyp-Maus-Männchen aussetzen, müsste sich die Population auf etwa ein Prozent der jetzigen reduzieren“, sagte Kevin Esvelt, Leiter des „Projects Rarity“, dem Tagesspiegel. Noch existieren die Mäuse nicht. Ziel sei vielmehr eine „Orientierung“, wie solche neuen Biotechnologien am besten entwickelt und angewendet werden können. Derzeitige Methoden, die Ausbreitung von Mäusen oder Ratten zu kontrollieren, seien entweder „unmenschlich“ oder müssten auf unsichere Gifte zurückgreifen. Biotechnologische Ansätze könnten dafür sorgen, dass weniger Mäuse oder Ratten geboren werden. „Aber wir sind überzeugt davon, dass jede Technologie, die darauf abzielt, die gemeinsame Umwelt zu verändern, mit der jeweiligen Gemeinde gemeinsam entwickelt werden muss“, heißt es in einer Einladung an die MIT-Community.

Anlass der Mausjagd am MIT: eine neue Gentechnik namens Gene Drive

In Zusammenarbeit mit der Bevölkerung von Cambridge und dem Biosicherheitskomitee der Stadt wollen die Forscher Methoden entwickeln und testen, mit denen in einem ersten Schritt zunächst Informationen über die Verbreitung und Wanderungsbewegungen der Nager in der städtischen Umwelt gesammelt werden sollen. Man könne etwa Mäuse aus New Jersey, die andere Genvarianten haben als die Mäuse im Großraum Boston, einführen und dann untersuchen, wie sich diese Genvarianten in den Nachkommen verbreiten.

„So bekommt man eine Vorstellung davon, was passiert, wenn man die Tiere mit der Genveränderung einführt, die für tochterlose Nachkommen sorgt, und wie sich solche Genvarianten in der Population verbreiten“, sagt Esvelt.
Hintergrund der Initiative sind jüngste Neuentwicklungen in der Gentechnologie, so genannte „Gene Drives“, mit denen Genveränderungen sehr viel schneller als bislang möglich in allen Individuen einer Art verbreitet werden können. Die auf CRISPR/Cas-Gen-Scheren basierende Technik sorgt dafür, dass eine Genveränderung nicht nur an einen gewissen Prozentsatz, sondern alle Nachkommen weitergeben wird.
Sind die Gene Drives so konstruiert, dass sie die Fruchtbarkeit einer Art, etwa Mücken, herabsetzen, dann könnte das in der Natur womöglich zum Zusammenbruch ganzer Populationen führen – oder sogar zur Ausrottung der betroffenen Art, befürchten Kritiker. Letzteres bezweifelt Esvelt zwar, da Computersimulationen und auch Erfahrungen mit natürlich vorkommenden Gene Drives (etwa “springende Gene“) dagegen sprechen.

Erfinder und Mahner

Esvelt, der als Erfinder der Gene Drives gilt, teilt jedoch durchaus die Sorge, dass die leichtfertige Freisetzung solcher Gene Drives negative Auswirkungen auf die Umwelt haben könnte. Schon als er die Idee zur Gene-Drive-Technologie noch im Labor testete, sei er sich der Macht der Methode bewusst geworden, sagt er. Seitdem tritt er für einen besonders vorsichtigen Umgang mit der Technik ein.

So plant Esvelts „Sculpting Evolution“-Projekt etwa ausdrücklich keinen Gene Drive zur Eindämmung der Nagetierplage in Cambridge: „Ein absolutes Nein!“ Lediglich eine „konventionelle“ Genveränderungen sei eine Option. Dennoch würde es das Projekt ohne die Gene Drive-Technik wohl nicht geben. „Weil Gene Drive jetzt in der Welt ist, müssen wir Wege und Verfahren entwickeln, die sicherstellen, dass solche umweltverändernden Projekte von der Gesellschaft und nicht von Wissenschaftlern gesteuert werden“, sagt Esvelt. Der Forscher wechselte dafür vom Broad-Institut, wo er die Gene Drive-Technik entwickelte, ans kaum zweihundert Meter entfernt Media Lab. Schnell wurde dem „totalen Neuling im Feld der Konsultation von betroffenen Gesellschaftsgruppen“ klar, dass „den Leuten eine Technik zu erklären, absolut keinen Einfluss darauf hat, ob sie sie unterstützen oder nicht.“ Entscheidend sei der Konsultationsprozess – die Art und Weise, wie man an der Entscheidung über die Anwendung einer Technik eingebunden werde.

Konsultationsprozess mit den Insulanern von Nantucket und Martha's Vineyard

Esvelt testet den Ansatz seit einiger Zeit mit den Gemeinden zweier Inseln bei Boston, Nantucket und Martha's Vineyard. Die Idee, die Mäuse der Inseln mit gentechnologischen Methoden zu verändern, damit Zecken die Erreger der Lyme-Borreliose nicht mehr von den Nagern auf den Menschen übertragen, hat er bewusst diesen Insulanern, die zumeist gut situiert und akademisch vorgebildet sind, vorgeschlagen. „Man geht nicht los und testet neue Technologien in Gemeinden mit benachteiligter oder gar verarmter Bevölkerung“, erklärt Esvelt seine Wahl.
Außerdem sei die Insellage ideal, um ungewollten Genfluss aufs Festland zu minimieren, sollte es zu einem Einsatz von genveränderten Mäusen kommen. Die Anwendung der Gene Drive-Technik schloss Esvelt zwar auch hier von vornherein aus. Dennoch sammelte er bereits interessante Erfahrungen: So votierten die Bürger, die sich in einem Komitee organisierten, etwa dafür, nur die „geringstmöglichen“ Genveränderungen, also nur mit Maus-Erbgut, vorzunehmen und keine Fremd-DNA aus anderen Organismen zu verwenden.
Und in einem der „Town Hall Meetings“, wie sie für New England typisch sind, warf eine Frau eine Frage auf, die das Forscherteam nicht erwogen hatte: Beißen die Zecken womöglich häufiger Menschen, wenn die Mäuse so verändert werden, dass die Zecken vertrieben werden? „Es sind solche Einwände, die wir hören wollen – von Bürgern, die sehr wohl etwas über die lokalen Gegebenheiten wissen, die relevant für ein bestimmtes Projekt sind.“

Ideen zunächst an sich selbst testen

Doch bevor Forscher mehr oder weniger ferne Gemeinden aufsuchen, meint Esvelt, „sollten wir unsere Ideen an uns selbst testen“. Also wolle sein Team nun die Media Lab-Kollegen mit dem Vorhaben konfrontieren, die Mausplage in den MIT-Gebäuden E14 und E15 zu reduzieren, sagt Esvelt und zeigt auf ein nur notdürftig geflicktes Loch im Teppichboden seines Büros. „Da drunter ist ein halber Meter Platz, und mit Infrarotkameras kann man die Mäuse und Ratten durch die Hohlräume im Gebäude laufen sehen.“ Ob Esvelts Initiative je dazu führen wird, dass genveränderte Mäuse ausgesetzt werden, und weniger Nager die Labore nach Fressbarem durchsuchen, ist offen. Aber das ist ohnehin nicht sein Ziel. „Wir gehen in die Öffentlichkeit, weil wir die Menschen brauchen, damit sie die Forschung anleiten und mitbestimmen, welche Technologie wir am Ende entwickeln und anwenden sollen.“

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