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Nach einem Erdbeben mit einer Stärke von 6,4 steht das schwer beschädigte Yuntsui Building im Februar 2018 schief.

© Uncredited/Central News Agency/dpa

Die Last des Regenwassers: Wie Niederschlag die Erde beben lassen kann

Regenfall und Erdbeben könnten zusammenhängen. Das Wasser wirkt mit seiner Last auf die Erdkruste – und mitunter auch als Schmiermittel.

In manchen Regionen der Welt treten Erdbeben gehäuft zu bestimmten Jahreszeiten auf. Dies kann mit saisonalen Schwankungen des Niederschlags zusammenhängen, zeigt eine aktuelle Studie aus Taiwan mit Daten aus den Jahren von 2002 bis 2018.

Im Westen des Inselstaats ist das Bild besonders klar: Dort häufen sich die Erschütterungen im Spätwinter und Frühjahr, im Sommer sind sie seltener. Genau umgekehrt verhält es sich mit dem Regen. Rund 70 Prozent der Jahresmenge gehen zwischen Mai und September nieder, maßgeblich durch den Monsun und durchziehende Taifune.

Allein in der nassen Jahreszeit werden bis zu 4000 Millimeter Niederschläge gemessen. Diese Wassermassen lassen einerseits den Grundwasserspiegel um mehrere Meter steigen, zum anderen drücken sie die Erdkruste um mehrere Millimeter nach unten, wie Satellitendaten belegen.

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Jahreszeitliche Bebengefahr

Das Forschungsteam um Ya-Ju Hsu von der National Taiwan University in Taipei interpretiert die Daten folgendermaßen: Taiwan befindet sich an der Grenze zwischen zwei Platten der Erdkruste: der Philippinischen und der Eurasischen. Die Platten bewegen sich mit rund neun Zentimetern pro Jahr vergleichsweise schnell aufeinander zu.

Dadurch kommt es immer wieder zu Beben, bei denen Gesteinspakete an sogenannten Störungen gegeneinander verschoben werden. Bevor es zu einer solchen ruckartigen Bewegung kommt, muss Spannung in der Erdkruste aufgebaut werden. Viele Störungen sind daher „aufgeladen“ und stehen kurz vor dem nächsten Erdbeben.

Hier kommt der Regen ins Spiel: Die Wassermassen des Sommers drücken auf die Kruste. Je nachdem, wie die Störung orientiert ist, kann diese durch die Last von oben stabilisiert und ein Bruch verhindert werden – es gibt weniger Erdbeben. Schwinden die Wassermassen übers Winterhalbjahr, fehlt die „Bebenbremse“ und es kommt häufiger zu Erschütterungen. Tatsächlich ist die Seismizität zwischen Februar und April, wenn am wenigsten Wasser in der oberen Kruste steckt, am größten, berichten die Forscher im Fachmagazin „Science Advances“. 

Bebendes Berchtesgadener Land

„Eine Korrelation ist sicher da, aber eher schwach ausgeprägt“, sagt Sebastian Hainzl vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam, der an der Studie nicht beteiligt ist. Der Zusammenhang zwischen Niederschlag und Erdbebenhäufigkeit sei bereits an mehreren Orten beobachtet worden, allerdings müssten bestimmte Bedingungen erfüllt sein – etwa, dass die Ausrichtung der Störung „passend“ ist. Der Zusammenhang sei eher eine Ausnahme als die Regel.

Das haben Hsu und Kollegen auch im Osten Taiwans erfahren. Dort sind die Niederschlagsverteilungen ähnlich, aber die Bebenhäufigkeit unterscheidet sich deutlich von der im Westen. Das Maximum wird nicht zwischen Februar und April erreicht, sondern in den nassen Monaten Mai bis August für flache Erdbeben und von Dezember bis Februar für tiefe. In ihrem Artikel diskutieren sie mögliche Erklärungen dafür, räumen aber ein, dass keine davon bis dato wirklich schlüssig ist. Damit scheidet vorerst auch der zweite Mechanismus aus, der Regen als Erdbebentreiber beschreibt.

Hierbei geht es nicht um die Last des Wassers in den obersten Erdschichten, sondern darum, dass Wasser bis an die Störung gelangt und dort wie ein Schmiermittel wirkt. Es erhöht den Druck in den wassergefüllten Gesteinsporen, so dass diese etwas größer werden und den Fels auseinander drücken, erläutert Hainzl. „Das begünstigt Bewegungen auf der Störung, also Erdbeben.“

Der Seismologe hat diesen Mechanismus unter anderem am Hochstaufen im Berchtesgadener Land erforscht. Nach starken Regenfällen kommt es dort wenige Wochen später häufiger zu Erdstößen. Der Grund: Das Wasser dringt durch Spalten des Karstgesteins rasch in die Tiefe und kann dort den Druck in den Poren erhöhen. Hinzu kommt der Effekt der Wasserlast, den Hsu und Kollegen für West-Taiwan beschrieben haben. „Es gibt wenige Fälle, wo es so schön ausgeprägt ist wie am Hochstaufen“, sagt Hainzl.

Ob solche Erkenntnisse nutzbar sind, ist eine andere Frage. Das Team um Hsu meint, die Beziehung zwischen Niederschlag und Erdbeben könnten für lokale Gefährdungsanalysen herangezogen werden. „Da bin ich skeptisch“, sagt der GFZ-Wissenschaftler. Fachleute, die Gefährdungsabschätzungen für Bauten machen, verfolgten oft konservative Ansätze. „Ich glaube nicht, dass die sofort darauf anspringen.“

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