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In den ersten Grundschul-Klassen wäre zuerst Wechselunterricht denkbar. 

© Soeren Stache/dpa-Zentralbild

Update

„Die Familien sind erschöpft“: Stimmen für Schulöffnungen mehren sich

Experten empfehlen eine stufenweise Öffnung der Schulen. Auch Virologe Drosten spricht von Priorität für Präsenzunterricht. Aber es gibt auch Stimmen dagegen.

Vor der Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch mehren sich die Stimmen für eine baldige Rückkehr der Kinder in Kitas und Schulen trotz der Corona-Pandemie.

Auch aus der Wirtschaft kommen Forderungen nach einer Öffnungsperspektive. Gleichzeitig gibt es Mahnungen vor zu schnellen Lockerungen. Der derzeitige Lockdown ist vorerst bis zum 14. Februar befristet.

Neuer Leitfaden zu Schulöffnungen

Eine Wiedereröffnung der Schulen in Deutschland ist laut einem von Experten erarbeiteten Leitfaden, der am heutigen Montag in Berlin vorgestellt werden soll, auch bei Fortdauer der Pandemie unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Als Maßnahmen, die einen Schulbetrieb ermöglichen sollen, nennen die Wissenschaftler unter anderem die Aufteilung der Klassen in Gruppen, das Tragen medizinischer Masken durch Lehrer wie Schüler und das Lüften von Räumen, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ("FAZ") zuerst berichtete.

Die Leitlinien erarbeiteten die Wissenschaftler dem Blatt zufolge unter Auswertung von 40 Studien zum Schulbetrieb. Die Erstellung des Papiers mit Handlungsempfehlungen für den Schulalltag wurde vom Bundesbildungsministerium gefördert. 36 Fachgesellschaften wirkten dabei mit. 

Die Experten empfehlen unter anderem auch spezielle Maßnahmen im Sport- und Musikunterricht zum Schutz vor dem Coronavirus. Auch solle es versetzten Unterrichtsbeginn geben, um einen zu starken gleichzeitigen Andrang von Schülern im öffentlichen Nahverkehr zu vermeiden. Nur wenn das "gesamte Paket befolgt" werde, könne der Unterricht auch in Pandemie-Zeiten stattfinden, werden die Wissenschaftler zitiert. 

Steinmeier: Kitas und Schulen besonders bedeutsam

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte sich zuvor dafür ausgesprochen, bei Lockerungen des Lockdowns zuerst an Kitas und Schulen zu denken. „Die Grundrechte einzuschränken, ist keine Kleinigkeit, und ihre Ausübung wiederherzustellen, ist die Pflicht der Politik, sobald die Infektionslage das zulässt“, sagte Steinmeier der „Rheinischen Post“. „Dabei halte ich den Zugang zu Kitas und Schulen für besonders bedeutsam.“

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach plädierte dafür, Grundschulen und Kitas ab Mitte Februar unter strengen Schutzvorkehrungen wieder schrittweise zu öffnen. Kita- und Grundschulkindern seien bestimmte Beschränkungen längerfristig kaum zuzumuten, sagte Lauterbach der Funke Mediengruppe. „Daher sollte man erwägen, in der Grundschule zum Wechselunterricht überzugehen“. 

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Drosten: Warnungen der Kinderärzte ernst nehmen 

Kinder- und Jugendärzte hatten wiederholt vor den Folgen des Lockdowns für Schüler:innen gewarnt. Dies müsse man trotz der Infektionslage ernst nehmen, sagte Charité-Virologe Christian Drosten im jüngsten NDR-Podcast. Es müsse Priorität haben, dass die Kinder so schnell wie möglich wieder in die Schulen kommen. 

[Homeschooling und geschlossene Schulen haben nicht nur Lerndefizite zur Folge, sondern auch psychosoziale und gesundheitliche Beeinträchtigunge. Die Hintergründe können Abonnenten von T+ hier nachlesen: Stress und Ängste :Was die aktuellen Schulschließungen für Schüler bedeuten]

Aktuelle Daten aus Großbritannien würden zeigen, dass Schüler:innen normalerweise die gleiche Infektionshäufigkeit wie der Rest der Bevölkerung hätten – sie als Pandemietreiber zu bezeichnen sei in der gegenwärtigen Situation ein falsches Bild. 

Wenn nur die Schulen offen bleiben, stiegen dort die Zahlen stark an, würden sie wieder geschlossen, lägen die Infektionszahlen bei Kindern und Jugendlichen aber nicht höher als bei Erwachsenen. 

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Bei der Grippe zählen Schulen tatsächlich zu den Treibern des Geschehens, bei der Corona-Pandemie ist es gegenwärtig allerdings anders, die Infektionen sind relativ gleichmäßig über die Bevölkerung verteilt. Aus einigen Studien lasse sich, so Drosten, sogar ableiten, dass die Erwachsenen ein wenig mehr empfänglich für die Infektion sind als die jüngsten Kinder im Kitas- und frühen Grundschulalter. 

„Aktuell ist es nicht fair zu sagen, eine bestimmte Gruppe der Gesellschaft ist der Treiber des Infektionsgeschehens“, sagt Drosten. Je größer der Anteil einer Gruppe an der Bevölkerung, desto höher ist auch ihr Anteil am R-Wert. 

Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, Charité Berlin.
Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, Charité Berlin.

© Michael Kappeler/dpa Pool/

Wenn man Schulen öffnet, müsse man aber wiederum schauen, wo man an anderer Stelle Kontaktsperren verschärfen kann, etwa im Bereich des Homeoffice, gibt Drosten zu bedenken. 

Bei einer kompletten Öffnung der Schulen müsste man im Gegenzug, wenn man den gleichen Kontrolleffekt auf die Infektionstätigkeit haben will, theoretisch ein Gruppe mit einem ähnlich großen Anteil an der Bevölkerung unter Kontaktsperre setzen. Dann müsste man an anderen Stellen schauen, wo noch Lücken sind, etwa im Bereich  Homeoffice. Das müsse man sich klar machen. „Wir sollten uns verabschieden von der Idee, dass irgendeine Gruppe der Treiber des Geschehens ist. Im Umkehrschluss heißt das aber nicht, dass eine Gruppe, die nicht der Treiber ist, keine Relevanz hat. Wir leisten alle den gleichen Beitrag zum Problem“, sagt Drosten.

Eine neue Situation ergebe sich, wenn die Erwachsenen durchgeimpft sind und es für Kinder und Schüler noch keinen Impfstoff gibt. Dann sei bei den Kindern eine starke Infektionstätigkeit zu erwarten. 

Die Infektionszahlen in Deutschland gehen seit Wochen zurück. Das Ziel von Bund und Ländern, die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz auf unter 50 zu drücken, ist aber noch nicht erreicht. Zudem ist die Lage in den vergangenen Wochen durch das Auftreten neuer und als besonders ansteckend geltender Formen des Virus komplizierter geworden. Die Sieben-Tage-Inzidenz bei der Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland lag am Sonntag nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bei 75,6.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek für Unterricht in reduzierten Klassen

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hält eine Öffnung von Schulen derzeit nur in Regionen mit geringen Infektionszahlen für sinnvoll. „Eine flächendeckende Rückkehr zu einem mehr oder weniger kompletten Präsenzunterricht in allen Schulen dürfte momentan wegen der allgemeinen Infektionslage vermutlich noch verfrüht sein“, sagte die Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. 

Vielleicht könne aber „mit großer Vorsicht ein erster Schritt gegangen werden“. Karliczek räumte ein, dass das Homeschooling bei vielen Kindern und Jugendlichen tiefe Spuren hinterlasse: „Die Familien sind erschöpft.“ Deshalb sollte zumindest über regionale Ausnahmen nachgedacht werden. Bei geringem Infektionsniveau „könnte Präsenzunterricht mit reduzierten Klassen und angepasster Stundenzahl zu verantworten sein“. Dabei denke sie vor allem an Abschlussklassen und die ersten Grundschulklassen.


Bei der Normalisierung des Schul- und Kitabetriebs würde nach den Worten von Karliczek eine frühere Impfung von Lehrern und Erziehern helfen. Der Corona-Impfstoff von Astrazeneca soll nach der Empfehlung der Ständigen Impfkommission nur für Menschen unter 65 Jahren eingesetzt werden, daher könnte er „schon bald“ für Lehrer:innen und Erzieher:innen angeboten werden.

Alexander Dobrindt sieht Schulöffnungen nicht als erstrangig

Während sich in der Diskussion die Äußerungen zu vorsichtigen Öffnungen mehren, sieht CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt Schulen bei etwaigen Lockerungen nicht zwingend an erster Stelle. Vor dem Hintergrund des Infektionsgeschehens in den Schulen könnte er sich „Lockerungen beispielsweise bei körpernahen Dienstleistungen oder anderen Bereichen zu Beginn eher vorstellen“, sagte der CSU-Politiker dem „Münchner Merkur“.

Verbände und Gewerkschaften fordern Stufenplan

Mehrere Verbände und Gewerkschaften haben Bund und Länder indessen aufgefordert, bei ihren Beratungen am kommenden Mittwoch auch einen einheitlichen Stufenplan mit verbindlichen Kriterien für Schulöffnungen zu verabschieden. Der Deutsche Lehrerverband mahnte, eine Öffnung der Schulen könne nur "sehr behutsam und vorsichtig" erfolgen. Auf keinen Fall sei der Schulbetrieb bereits "flächendeckend in allen Regionen möglich", sagte Verbandspräsident Hans-Peter Meidinger der Zeitung "Die Welt". 

Auch in Städten und Landkreisen mit geringem Infektionsgeschehen sollten Bildungseinrichtungen nur stufenweise in den Wechselbetrieb zwischen Präsenz- und Fernunterricht zurückkehren und in halbierten Gruppen mit Mindestabstand unterrichten, forderte der Lehrverbands-Präsident. Meidinger plädierte zudem dafür, eine Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken für Lehrkräfte und mindestens von Operationsmasken für Schüler einzuführen. 

Der Deutsche Lehrerverband tritt zudem für die frühestmögliche Impfung von Lehrkräften sowie regelmäßige Schnelltests im Wochentakt bei Schülern und Lehrkräften ein.

Philologenverband: Schulen nicht auf Knopfdruck öffnen

„Schulen sind nicht auf Knopfdruck zu öffnen, sondern nur mit vorsichtiger, kluger und klarer Stufenplanung, die orientiert ist am Pandemiegeschehen und am Grad der Sicherheit für alle an Schulen Beteiligten“, sagte die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing am Montag.  „Das sollten die Ministerpräsidenten und die Kultusminister aus einem Jahr Erfahrung mit Corona gelernt haben“, so Lin-Klitzing. Ein klar am Infektionsschutz orientiertes, vorgegebenes Hygienestufenkonzept und die verlässliche und rechtzeitige Kommunikation zwischen den Schulbehörden und den Schulen sei unabdingbar, damit die stufenweise Schulöffnung solide geplant und umgesetzt werden kann.  „Schulen dürfen nicht allein gelassen und vorschnelle Schulöffnungsmaßnahmen sollten nicht zwei Wochen später wieder rückgängig gemacht werden müssen.“

 (mit AFP/dpa/epd)

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