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Segelschiff auf dem offenen Meer

© Tara Oceans

Die blaue Vielfalt der RNA-Viren: Fünf neue Viren-Stämme in Meerwasser entdeckt

RNA-Viren lösen Krankheiten wie Covid-19 aus. Sie könnten aber auch die Evolution der Pflanzen, Tiere und Menschen beeinflussen, die sie befallen.

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie sind RNA-Viren, besonders das Coronavirus Sars-Cov-2 mit seinen Varianten, bekannt geworden. Auch Erreger weiterer Krankheiten wie Grippe, Tollwut und HIV/Aids sind RNA-Viren.

Wie wenig der Wissenschaft über sie bekannt ist, zeigt jetzt eine Gruppe um Matthew Sullivan von der Ohio State University im US-amerikanischen Columbus. In der Zeitschrift „Science“ berichtet das Forschungsteam, dass es in Wasserproben aus allen Weltmeeren das Erbgut von einigen Tausend unbekannten Ortho-RNA-Viren gefunden hat, zu denen die meisten RNA-Viren zählen. Die Forschenden identifizierten neben den fünf bekannten fünf neue Virusstämme.

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Das Werkzeug der Viren

„Bisher war über die Vielfalt von RNA-Viren noch so wenig bekannt, dass man mit einem einzigen Eimer Meerwasser riesige Fortschritte in der Virologie machen konnte“, erklärt Terry Jones, der mit seiner Gruppe am Institut für Virologie des Berliner Universitätsklinikums Charité mit Computermethoden das Erbgut neuartiger oder längst ausgestorbener Viren untersucht.

„Allerdings haben die US-Kollegen in ihrer Studie nicht nur einen Eimer, sondern sehr viele Proben von Meerwasser aus allen Weltmeeren sorgfältig analysiert“, sagt der Charité-Computervirologe.

Gesammelt wurden diese Wasserproben auf einer dreieinhalbjährigen und 125.000 Kilometer langen Welt-Umseglung des französischen Forschungsschiffs „Tara“ in den Jahren 2009 bis 2013. An 210 Stellen wurden auf der Expedition Wasserproben aus bis zu tausend Metern Wassertiefe gesammelt.

Mit neu entwickelten Strategien der Bioinformatik fanden Sullivan und seine Gruppe in diesen Proben die Erbinformationen für „RNA-abhängige RNA-Polymerasen“ genannte Enzyme, die nach dem englischen Begriff „RNA-dependent RNA-Polymerase“ mit RdRP abgekürzt werden.

Diese Enzyme übersetzen in Organismen im Erbgut DNA enthaltene Information in ein nahe verwandtes, aber deutlich unterscheidbares RNA-Molekül. Die RNA dient als Vorlage, nach der dann Proteine hergestellt werden können. Bei RNA-Viren ist es etwas anders: das Erbgut besteht aus RNA. Um es zu vermehren, nutzen nicht nur Coronaviren, sondern die meisten RNA-Viren die RdRP.

Übersetzung in der Wirtszelle

Einer der entdeckten, bisher unbekannten Virus-Stämme sind „Taraviricota“-Viren. Nach den Analysen des US-Teams scheinen diese Erreger uralt zu sein.

„Diese Studie ist daher ein wichtiger Beitrage zu alten und zentralen Fragen zur Evolution von RNA-Viren“, erklärt Charitè-Forscher Jones. Aus den Vorfahren dieser Taraviricota-Viren könnten sich in der Zeit, als das Leben auf der Erde gerade erst entstanden war, auch sogenannte Retro-Elemente entwickelt haben, vermuten die US-Forscher in ihrem Science-Artikel.

Retro-Elemente kommen im DNA-Erbgut von Tieren und Pflanzen vor und können dort unter bestimmten Umständen ihren angestammten Platz verlassen und an eine andere Stelle im Erbgut wechseln.

Bei diesem Vorgang werden die Retro-Elemente zunächst wie jede andere Erbinformation auch in eine RNA übersetzt. Ein spezielles Enzym namens „reverse Transkriptase“, das zum Beispiel in Retroviren wie dem Aids-Erreger HIV vorkommt, verwandelt diese RNA dann wieder in DNA, die an einer anderen Stelle im Erbgut eingebaut werden kann.

Die Stärke, Stärke zu verdauen

Über Retro-Elemente können RNA-Viren die Evolution von Wirtspflanzen, -tieren und -menschen beeinflussen. Solche springenden Elemente haben zum Beispiel im Erbgut in den Speicheldrüsen der Mundhöhle des Menschen das Amylase-Gen aktiviert, das dort in vielen anderen Säugetieren nicht aktiv ist.

Mit Hilfe der Amylase können Menschen die in pflanzlicher Nahrung wie Getreide und Kartoffeln vorhandene Stärke, besser verdauen, die aus langen Ketten von Zuckermolekülen besteht. Die Aktivierung des Gens durch ein springendes Element verschaffte den Menschen damit einen evolutiv bedeutsamen Überlebensvorteil.

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