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Saustall

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Die Antibiotika-Krise, Teil 3: Mensch und Tier: Welche Rolle der Antibiotika-Einsatz im Stall spielt

Konventionelle Züchter haben einen schlechten Ruf. Damit sich in den Ställen keine Seuchen ausbreiten, geben viele ihren Tieren vorsorglich Antibiotika. Das muss nicht sein, zeigt ein Bauer im Münsterland. Besuch bei einem Pionier.

Wer zu Walter Hoffmanns Schweinen will, muss sich bis auf die Unterhose ausziehen, eine Schleuse mit Dusche durchqueren und sich für den Stall neu einkleiden. Für den Bauern liegt Wechselwäsche bereit. Ein verwaschenes T-Shirt, graue Baumwollsocken, grüner Overall, dunkelblauer Nylon-Angelhut, tannengrüne Gummistiefel. Und Latex-Handschuhe. „Sie glauben gar nicht, was Sie für Dreck unter den Fingernägeln haben“, sagt Hoffmann. Er heißt eigentlich anders. „Ich zeige gerne meinen Schweinestall. Aber wer in der Zeitung steht, wird schnell pauschal angefeindet.“

Konventionelle Viehzüchter haben einen schlechten Ruf. Tierschützer prangern nicht nur die Bedingungen in den Ställen an. Die Landwirte sollen auch dafür verantwortlich sein, dass immer mehr Keime gegen Antibiotika resistent werden. Denn in der Tierzucht wurden die Mittel jahrzehntelang als selbstverständlich hingenommen. In den USA beispielsweise werden vier Mal mehr Antibiotika für Tiere als für Menschen verbraucht. Noch immer dienen sie dort als Wachstumsförderer für gesunde Tiere. Schließlich hatten amerikanische Bauern in den 1950er Jahren beobachtet, dass ihre Tiere schneller zunahmen, wenn sie ihnen Antibiotika unters Futter mischten.

Natürlich verschreiben Veterinäre die Medikamente kranken Schweinen, Hühnern oder Rindern. Weil in den großen Ställen die Tiere auf engstem Raum leben und sich dort Krankheitserreger leicht verbreiten können, behandeln aber viele Bauern gleich die ganze Herde. Sogar vorsorglich, bevor ein Tier krank ist. Walter Hoffmann hielt das nur ein einziges Mal für nötig. Als er seinen Betrieb 2013 umkrempelte, hat er neue Sauen aus Dänemark bekommen. Er gab ihnen zehn Tage lang Antibiotika, damit sie nach dem stressigen Transport gesund blieben.

Der Bauer wollte die resistenten Keime aus seinen Ställen loswerden

Ganz freiwillig war die Umstellung nicht. Neue Bestimmungen zwangen den Bauern aus dem Münsterland, seinen Schweinen mehr Platz zu geben. Von den 300 Sauen, die er bis dahin für die Ferkelproduktion hatte, hätte er nur 230 behalten dürfen, sagt er. „Die Einbußen wären zu groß gewesen.“ Er machte einen radikalen Schnitt, ließ all seine Schweine schlachten und stellte um auf Jungsauenproduktion. Der alte Stall wurde umgebaut, direkt daneben ein neuer errichtet. Zusammen bieten sie Platz für 500 Tiere. Gleichzeitig wollte er die resistenten Keime aus seinen Ställen loswerden.

„Das war ein Glücksfall für die Wissenschaft“, sagt Ricarda Schmithausen. Denn der Bauer ließ den Prozess von Forschern der Universität Bonn begleiten. Schmithausen und ihre Kollegen machten regelmäßig Abstriche von den Schweinen, nahmen Proben aus Luft, Wasser und Staub und suchten nach zwei Arten von Bakterien: Methicillin-unempfindliche Staphylococcus aureus (MRSA) und Betalactamasebildende Escherichia coli (ESBL-E). Sie konnten auf dem Hof vergleichen, ob man einen Stall neu bauen muss, um diese Keime zu entfernen oder ob es ausreicht, ihn zu sanieren.

Staphylokokken sind ursprünglich Keime des Menschen. Bis zu 40 Prozent der Erwachsenen tragen sie im Nasenvorhof oder in Hautfalten. „Für gesunde Menschen oder Schweine sind weder normale Staphylokokken noch die MRSA ein Problem“, sagt Lothar Wieler. Der Tiermediziner ist Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin. Wenn die Bakterien jedoch in eine Wunde gelangen, können sie Entzündungen hervorrufen. Menschen mit schwachem Immunsystem können schwere Infektionen erleiden, bis zur Sepsis. Escherichia coli wiederum ist ein Darmbakterium. Es gibt viele verschiedene Stämme, die meisten sind harmlos oder hilfreich. Einige lösen allerdings Entzündungen aus oder Durchfall. „Je mehr von solchen resistenten Erregern unterwegs sind, desto größer ist das Risiko“, sagt Wieler. Die Bakterien können nicht nur selbst krank machen, sie geben ihre Resistenzen weiter. „Das Ziel muss sein, weniger in der Umwelt, in Menschen und in Tieren vorzufinden.“

95 Prozent des Antibiotikums scheiden Mensch und Tier unverändert aus

In Hoffmanns altem Stall entdeckten die Bonner Mikrobiologen sowohl MRSA als auch ESBL-E. Der Bauer ließ die komplette Technik, die Lüftungs- und Klimaanlage, die Wasser- und Futterleitungen sowie den Boden herausreißen. Eine Spezialfirma desinfizierte alle Räume und die Güllegrube. Die Exkremente der Tiere werden auf Wiesen und Feldern verteilt; Gülle ist ein wertvoller Dünger, aber für Krankheitserreger und Antibiotika ein Weg hinaus aus dem Stall.

Den größten Teil der Mittel, die Mensch und Tier einnehmen, scheiden sie wieder aus. Je nach chemischer Struktur des Antibiotikums könne der Anteil, der unverändert im Abwasser oder in der Gülle landet, über 95 Prozent betragen, sagt Kornelia Smalla vom Julius-Kühn-Institut in Braunschweig. Und die Wirkstoffe sind stabil. Sie werden nicht abgebaut, wenn die Gülle gelagert wird. Treffen die Antibiotika später auf Bakterien im Boden, beginnt der Kampf ums Überleben; resistente Stämme setzen sich durch, die anderen sterben. Noch schneller als diese Auslese ist ein anderer Mechanimus. Die genetischen Voraussetzungen für ihre Widerstandskraft tragen Bakterien zum Beispiel auf Erbgut-Ringen, den Plasmiden. Die können sie untereinander austauschen – über Artgrenzen hinweg. „Die Plasmide können auch in Bakterien gelangen, die den Menschen krank machen“, sagt Smalla. Sie werden dadurch ihrerseits resistent.

Selbst die Yanomami haben resistente Keime in ihrer Darmflora

Dieser Kreislauf ist uralt. Vermutlich seit zwei Milliarden Jahren wehren sich im Erdboden Pilze und Bakterien mit Hemmstoffen gegen andere Keime. Und die Angegriffenen entwickeln Schutzschilde. Darum ist der Boden ein wichtiges Reservoir für Resistenzgene. Sie sind überall. Selbst Menschen, die noch nie mit Antibiotika behandelt wurden, wie die abgeschieden lebenden Yanomami im Amazonas-Urwald, haben in ihrer vielseitigen Darmflora resistente Bakterien.

Warum machst Du nicht wie vorher weiter, fragten die Kollegen

Die Keime aus dem Boden können in den menschlichen Körper gelangen. Pflanzen nehmen sie beim Wachsen auf, wie alle Lebewesen brauchen sie deren Hilfe. Die Bakterien arbeiten im Innern, darum lassen sie sich nicht abwaschen. Ein Mensch mit einer Darmerkrankung, der solches Gemüse isst, könnte seinen Krankheitserregern die Resistenzgene frei Haus liefern. Bestimmte Antibiotika könnten ihm nicht helfen.

Tier- und Humanmedizin verschärfen das Problem. Nicht nur durch Gülle, auch über menschliche Exkremente gelangen Antibiotika in die Umwelt. Denn die Klärwerke entfernen zwar Schwebstoffe und einen Teil der bakteriellen Belastung der Abwässer. Antibiotika enden aber im Klärschlamm – ebenfalls ein Dünger – und im Wasser. Nur wenige Anlagen verfügen über eine zusätzliche Klärstufe, die sie herausfiltern. Die Technik ist teurer.

Das gilt auch für die Bauern. Eine Million Euro kostete Hoffmann die Desinfektion und der Neubau. Ein Jahr hat es gedauert, bis alles wieder lief. Längst nicht jeder Landwirt kann so viel Geld aufbringen oder sich die Pause leisten. Sie sind darauf angewiesen, jeden Tag Schweine zu verkaufen. Manche Kollegen hielten Hoffmann für verrückt. „Sie haben mich gefragt, warum ich nicht wie vorher weitermache“, erzählt er. Es sei doch gut gelaufen. Nur einer tat es ihm gleich.

Nur Trockenfutter und Sperma kommt von außen auf den Hof

Penibel achtet Hoffmann auf seinem Hof auf Hygiene. Er will mit dem neuen Konzept höhere Einnahmen erwirtschaften; garantiert gesunde Tiere kann er teurer verkaufen. „Außerdem spare ich viel Geld für Antibiotika.“ Ferkel, die sich schlecht entwickeln, lässt er auf Krankheitserreger untersuchen. Er zieht seine Zuchtsauen selbst nach. Von außen kommen nur noch Sperma und Trockenfutter in den Stall. All das verringert das Risiko, Erreger einzuschleppen. Seine Tiere werden in geschlossenen Aufliegern zu seinen Abnehmern geliefert. Die Luft wird mit UV-Licht gegen Keime bestrahlt. Sauen, die geschlachtet werden sollen, verlädt er jeden Freitag früh um vier Uhr. Dann sind seine Tiere die ersten auf dem Lastwagen. Tiertransporter werden nach jeder Fahrt gereinigt. Das ist Vorschrift. Im Morgengrauen sind sie aber besonders sauber, nachdem das Desinfektionsmittel über Nacht einwirken konnte.

Ferkelproduzenten und Mäster können sich kaum dermaßen abschotten. Jede Fuhre kann Krankheiten auf ihre Höfe bringen. Hoffmann kennt das aus dem alten Stall. Dort hatte er ständig mit Durchfallerkrankungen zu kämpfen, die Schweine seiner Lieferanten kamen immer wieder mit Salmonellen an.

Antibiotika als Wachstumsförderer zu geben, ist allerdings bereits seit 2006 in der Europäischen Union untersagt. Ob das Verbot den Verbrauch tatsächlich gesenkt hat, ist noch unklar. Es fehlen verlässliche Zahlen aus den einzelnen Ländern. Eine Ausnahme ist Dänemark. Seit 20 Jahren gibt es dort Initiativen, den Antibiotikaeinsatz in der Veterinärmedizin zu verringern. Als Wachstumsförderer dürfen sie seit 1998 nicht mehr bei Ferkeln und seit 2000 auch nicht bei älteren Schweinen eingesetzt werden. Seit 2010 bekommen Schweinezüchter in Dänemark zudem eine „Gelbe Karte“, wenn sie mehr als doppelt so viele Antibiotika einsetzen wie der Landesdurchschnitt.

Weniger Antibiotika, gesündere Tiere

Untersuchungen zeigen, dass Mäster die Vorteile, die sie vor 60, 70 Jahren mithilfe von Antibiotika erzielten, heute durch besseres Futter ausgleichen. Negative Effekte fanden die Forscher nicht. Die vorsorgliche Gabe der Medikamente gegen Krankheiten ist ebenfalls unnötig. Eine Studie an Kälbern in den USA hatte ein überraschendes Ergebnis: Erhielten die Tiere Antibiotika gegen Durchfall nur noch bei akuten Symptomen statt prophylaktisch, erkrankten seltener Tiere – der Bauer sparte zehn Dollar pro Kalb.

MRSA kehrte zurück in den Stall - trotz allem

In Deutschland beginnt man gerade erst, Daten zu erheben. Schätzungen gehen davon aus, dass in der Viehproduktion mehr Antibiotika verwendet werden als beim Menschen. Laut Statistik des Bundesamtes für Verbraucherschutz gaben im Jahr 2013 Pharmafirmen und Großhändler 1452 Tonnen Antibiotika an Tierärzte ab. Es waren vor allem Tetrazykline, Penicilline und Sulfonamide. Auch Wirkstoffe, die besonders wichtig für die Humanmedizin sind, finden sich auf der Liste. An fünfter Stelle liegt mit 125 Tonnen Colistin. In kleineren Mengen werden sogar Cephalosporine der 3. und 4. Generation verabreicht. Einige Bundesländer planen nun, den Einsatz von Reserveantibiotika in der Tierhaltung zu verbieten. Erschwert wird die Problematik dadurch, dass die Resistenzen gegen verschiedene Antibiotikaklassen auf ein und demselben mobilen genetischen Element liegen, sagt Smalla.

Seit 2012 müssen Bauern vierteljährlich ihren Antibiotikaverbrauch melden. Seit 2014 greift zudem das „Antibiotikaminimierungskonzept“ des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Landwirte, die deutlich mehr dieser Mittel einsetzen als der landesweite Durchschnitt, müssen mit ihrem Tierarzt die Ursachen ermitteln und Pläne erstellen, wie sie den Antibiotikaeinsatz senken wollen. Doch viele Bauern haben gar nichts gemeldet, ihre Betriebe sind in die Statistik eingeflossen, als ob sie keine Antibiotika verwendet hätten. Das hat das Bild verzerrt. „Die Züchter sind verunsichert“, sagt Georg Freisfeld, stellvertretender Geschäftsführer des Erzeugerrings Westfalen. Manche der 1000 Schweinezüchter, die seine Organisation berät, trauten sich kaum noch, Antibiotika zu geben. „Dennoch: Wir müssen kranke Tiere behandeln.“

Hoffmann will, dass noch seine Kindeskinder auf dem Hof arbeiten

Dagegen spricht nach Ansicht des RKI-Präsidenten Lothar Wieler gar nichts. „Wir dürfen Antibiotika aber nur einsetzen, wenn es wirklich angezeigt ist“, sagt er. Das sei am wichtigsten, um den Trend zu stoppen. „Dazu müssen Tiermediziner genauso ihre Hausaufgaben machen wie Humanmediziner.“ Außerdem müssten die Landwirte Hygienekonzepte aufstellen, für Mensch und Tier. Denn wer Kontakt zu infizierten Tieren hat, kann die Keime verbreiten. „Noch bringt vor allem der Mensch resistente Keime zu seinen Mitmenschen“, sagt Wieler. „Aber der Anteil aus der Landwirtschaft ist in der letzten Dekade gestiegen.“ Die am RKI angesiedelte Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention empfiehlt seit 2008, Menschen mit Kontakt zu Nutztieren bei der Aufnahme ins Krankenhaus auf MRSA zu testen. Zwar können die MRSA-Stämme, die in der Tierzucht entstanden sind, weniger leicht auf den Menschen übertragen werden als die Krankenhauskeime. Aber das kann sich ändern.

Walter Hoffmann bewahrt die Medikamente für seine Tiere in einem handelsüblichen Kühlschrank auf: „95 Prozent davon sind Impfstoffe“, sagt er. Antibiotika gebe er nur gelegentlich und nur noch einzelnen Tieren – etwa, wenn sie unter Gelenkentzündungen leiden oder wenn eine Sau beim Ferkeln Fieber bekommt. „Oft reicht es, ihr dann mit einem Schmerzmittel zu helfen“, sagt der Bauer. Der Aufwand habe sich für ihn gelohnt. Die resistenten Coli-Bakterien konnte er aus den Ställen vertreiben. Auch die Salmonellen blieben verschwunden.

MRSA hingegen ist wieder da. Schon zwei Tage nach dem Einzug der neuen Sauen fanden die Bonner Forscher resistente Staphylokokken in der Luft, im Staub und im Wasser. Auch auf der Haut der Schweine und an Hoffmanns Mitarbeiterin spürten sie die Keime auf. „Wir wissen nicht, woher die neuen MRSA gekommen sind“, sagt Schmithausen. Die Sauen können sie eingeschleppt haben. Oder der Mensch. Trotzdem zieht sie ein positives Fazit: „Dieser Landwirt ist ein Pionier.“ Hoffmann sieht es als Beitrag zur Nachhaltigkeit: „Wir Tierzüchter werden oft darauf reduziert, dass wir auf den schnellen Profit schauen.“ Doch er denke in Jahrzehnten, 30 Jahre für seine Generation, 60 für seine Kinder. Seine Familie arbeitet seit 900 Jahren auf dem Hof. „Ich möchte, dass hier in 900 Jahren immer noch Landwirtschaft betrieben wird.“

Joachim Budde

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