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Grafiken und Fotos zum rekonstruierten Spinosaurus.

© Marco Auditore; Fotos: Gabriele Bindellini

Der Schwanz des Spinosaurus: Ein Dino, der sich wie ein Krokodil bewegte

Segel auf dem Rücken, kurze Beine, monströses Gebiss – der Spinosaurus war Forschern ein Rätsel. Bis zum neuesten Fund in der marokkanischen Wüste.

Säugetiere haben im Verlauf der Evolution nicht nur an Land unterschiedlichste ökologische Nischen erobert. Im Wasser gibt es sogar die größten Vertreter dieser Tierklasse, die Wale. Die Riesen unter den Dinosauriern, wie etwa Tyrannosaurus rex, lebten und jagten hingegen vor allem an Land. Davon gingen Dino-Forscher zumindest aus, bis Nizar Ibrahim 2014 das Fossil eines 95 Millionen Jahre alten, bis zu 18 Meter langen Spinosaurus im Süden Marokkos fand.

Nun hat der in Berlin geborene und an der University of Detroit Mercy im US-Bundesstaat Michigan forschende Paläontologe entdeckt, was an dem Skelett aus der Urzeit zur Vollständigkeit noch fehlte: der Schwanz, der die bis zu neun Tonnen schweren Tiere ähnlich wie heute Krokodile bei der Jagd vorwärts Richtung Beute katapultieren konnte.

„Wir schließen das aus den versteinerten Knochen des Schwanzes, die das Team von Nizar im Süden Marokkos in der Wüste fand“, sagt Ulrich Joger, Direktor des Staatlichen Naturhistorischen Museums Braunschweig, der an der Studie beteiligt war, die jetzt im Fachblatt „Nature“ veröffentlicht wurde.

Die Entdeckungsgeschichte des Spinosaurus aegyptiacus beginnt mit dem fränkischen Aristokraten Ernst Freiherr Stromer von Reichenbach. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg stößt er in der ägyptischen Sahara auf absonderliche Knochen eines Dinos: Die Rückenwirbel tragen 1,69 Meter lange, dornartige Fortsetzungen – im Englischen „spines“. Vielleicht bildeten sie eine Art Segel aus der Haut des Dinos, spekulierte von Reichenbach.

Als die Fossilien 1944 in der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie bei einem Bombenangriff zerstört wurden, geriet der Dino weitgehend in Vergessenheit. Bis in das 21. Jahrhundert tauchten nur einzelne Knochen und Zähne dieser seltsamen Spezies auf.

Ein Fünfjähriger, der sich für Dinos interessiert - und die Folgen

Dabei wäre es vielleicht bis heute geblieben, wenn sich Nizar Ibrahim als Fünfjähriger nicht für Dinosaurier interessiert, in einem Buch eine Zeichnung des Spinosaurus gesehen, Paläontologie studiert und für seine Doktorarbeit 2008 in Erfoud in Marokko geforscht hätte. Dort zeigte ihm ein Fossilienjäger einen Karton mit violetten, gelb gebänderten Steinen, aus denen Knochen eines Dinos ragten.

Nizar Ibrahim kaufte sie, erkannte ihren wahren Wert aber erst, als er Jahre später bei zwei Kollegen am Naturhistorischen Museum in Mailand Teile eines Dino-Skeletts mit auffällig langen Rückendornen sah, an denen noch Stücke eines violetten Sandsteins mit gelben Sedimentstreifen hafteten.

Sollte das ein Spinosaurus sein? Und sollten die Fossilien von dem gleichen Fundort stammen? Um das zu klären, musste er den Fossilienhändler wiederfinden. „Aber ich kannte nicht viel mehr als sein Aussehen, hatte weder Adresse, noch Telefonnummer.“ Wochenlang suchte er den Mann. Und als er schon aufgeben wollte, lief er ihm in Erfoud über den Weg und zeigte dem Forscher die Fundstelle.

Spinosaurus aegyptiacus war, wie Tyrannosaurus rex, ein Raubsaurier, aber noch zweieinhalb Meter länger als sein bekannter Verwandter. Die Dornsegel-Echse lebte in einem riesigen System von Flüssen und Seen, das sich damals über ein Gebiet erstreckte, das heute von Marokko bis Ägypten reicht.

Ein Paläontologe arbeitet an der Fundstelle des Dinosaurierschwanzes in der Wüste Marokkos.
In der Sahara Marokkos grub das Team um den Paläontologen Nizar Ibrahim Schwanzknochen eines Spinosaurus-Dinos aus.

© Foto: Gabriele Bindellini

„In diesen Gewässern schwammen 7,50 Meter lange Sägerochen, vier Meter lange Quastenflosser und zweieinhalb Meter lange Lungenfische“, sagt Joger. Also viel Beute für den Spinosaurus, dessen eng ineinander greifende Zähne von Ober- und Unterkiefer an ein Krokodil erinnern. Auch vor den gebogenen Krallen an den Fingern gab es kaum ein Entkommen für die Beute.

Nur war das Becken viel kleiner als bei anderen Raubsauriern, die Oberschenkel waren kurz und muskulös. Damit konnte der Spinosaurus nicht wie andere Raubsaurier zweibeinig voranstürmen.

„Zumal der Schwerpunkt seines Körpers dabei zu weit vorne gelegen hätte und der Spinosaurus auf die Schnauze gefallen wäre“, sagt Joger. Vermutlich liefen diese Dinos also ähnlich wie Krokodile, die auf vier kurzen Beinen durchaus schnell sprinten können.

Nasenlöcher oben: Er atmete auch wie ein Krokodil

Für die krokodilartige Lebensweise sprechen auch die Nasenlöcher oben und weit hinten auf dem Schädel. Damit konnten die Dinosaurier auch dann noch atmen, wenn ihr Kopf zum größten Teil unter Wasser war. Und wie bei den heute lebenden Krokodilen hatten auch Spinosaurier an der Spitze der Schnauze kleine Grübchen, in denen kleine Sinnesorgane Veränderungen des Wasserdrucks registriert haben könnten, die durch die Bewegungen ihrer Beute entstanden. Obendrein waren die Knochen des Spinosaurus nicht hohl wie bei Vögeln, sondern kompakt.

„Mit solchen schweren Knochen taucht ein Tier viel stabiler“, erklärt Nizar Ibrahim. Allerdings fehlte bislang noch der „Antrieb“, der Schwanz des Jägers, sagt der Forscher. Lagen an der Fundstelle womöglich noch weitere Fossilien des Dinos? Bei Expeditionen 2018 und 2019 trug sein Team mithilfe eines ständig defekten Presslufthammers und immer wieder unterbrochen von Sandstürmen und Sturzfluten eine zähe Felsschicht ab.

Irgendwann dann „sahen wir Dutzende Dinoknochen vor uns im Fels stecken“, erzählt Ibrahim: „Bruchstücke, die exakt in die fehlenden Stellen der bereits 2008 von den Fossilienjägern gefundenen Fossilien passten“, vor allem aber 80 Prozent der Knochen des Dino-Schwanzes.

Das Arbeitsgerät der Paläontologen am Fundort in der marokkanischen Sahara.
Das Arbeitsgerät der Paläontologen am Fundort in der marokkanischen Sahara.

© Diego Mattarelli

Dessen Wirbel waren ähnlich wie bei den Schwanzflossen mancher Fische nur lose miteinander verbunden, wodurch er wellenförmig bewegt werden und die Tiere kräftig vorwärtstreiben konnte – Simulationen zufolge achtmal stärker als bei anderen Dinos, wenn auch nicht so kräftig wie bei Krokodilen.

„Spinosaurus war ein schneller Wasser- und Unterwasser-Jäger“, meint Ibrahim. Das könnte auch die Funktion des Segels auf dem Rücken erklären, das sich auch auf dem Schwanz mit 55 Zentimeter hohen Dornen auf den Wirbeln fortsetzte. Demnach war es nicht nur Schmuck zum Imponieren gegenüber dem anderen Geschlecht oder Rivalen oder ein Wärme tankendes Sonnensegel, mutmaßt Ibrahim. „Vielleicht diente das Ganze auch wie ein nach oben ragender hoher Kiel der Stabilisierung des schnell schwimmenden Spinosaurus.“

2016 stellte das Berliner Naturkundemuseum eine Nachbildung des Spinosaurus aus – noch ohne den "echten" Schwanz.

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