zum Hauptinhalt
Visionen. So könnte es aussehen, wenn Menschen den Mars besiedeln und erkunden.

© Nasa

Der Mensch im All: Völlig losgelöst: Die Zukunft der Raumfahrt

Seit fünf Jahrzehnten fliegen Menschen in den Weltraum. Ein gefährliches, teures und faszinierendes Unterfangen. Wohin geht die Reise in den nächsten 50 Jahren? Raumfahrtexperten, darunter Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All, sprachen darüber exklusiv mit dem Tagesspiegel.

Nach 108 Minuten war er wieder da, von einer Reise, die keiner zuvor gewagt hatte. Heute vor 50 Jahren flog Juri Gagarin als erster Mensch ins All und umrundete in seiner Kapsel einmal die Erde, bevor er nahe der russischen Stadt Saratow landete. Das Zeitalter der bemannten Raumfahrt hatte begonnen. Gut drei Wochen später am 5. Mai 1961 flog der erste Amerikaner ins All. Alan Shepard vollzog allerdings keine Erdumrundung, sondern machte einen gut 180 Kilometer hohen „Hüpfer“, der im Atlantik endete. Das nächste große Ziel war der Mond. Am 21. Juli 1969 setzte Neil Armstrong als erster Mensch einen Fuß auf den Himmelskörper. Elf weitere, alles Amerikaner, sollten folgen.

Heute konzentriert sich die bemannte Raumfahrt auf Arbeiten an der Internationalen Raumstation (ISS), die in rund 350 Kilometern Höhe die Erde umkreist. Neben den etablierten Raumfahrtagenturen aus den USA, Europa, Japan, Kanada und Russland gibt es auch einige aufstrebende Nationen. Dazu gehören unter anderem Indien und Südkorea. China hat 2003 den ersten bemannten Flug gestartet und verfolgt ein ehrgeiziges Programm, das auch eine Mondlandung anstrebt. Eine Kooperation auf der ISS gibt es bisher nicht.

Darüberhinaus gewinnt auch der Weltraumtourismus an Bedeutung. Vor zehn Jahren flog der Millionär Dennis Tito als erster zahlender Passagier zur ISS. Der Unternehmer Richard Branson will spätestens 2012 Touristen in seinem „SpaceShipTwo“ in den Weltraum bringen.

Bis jetzt sind – je nach Zählweise – rund 530 Menschen ins Weltall aufgebrochen. 18 von ihnen kamen dabei um.

Wegen der hohen Sicherheitsanforderungen sind die Kosten der bemannten Raumfahrt astronomisch. Allein der Aufbau des „westlichen Teils“ der ISS kostete Schätzungen zufolge rund 120 Milliarden Dollar. Mit den wissenschaftlichen Ergebnissen allein sind die Astronautenflüge nicht zu rechtfertigen. Maßgebliche Treiber sind Technikbegeisterung und der menschliche Entdeckergeist. Ob diese Motive stark genug sind, um etwa jene 124 Millionen Euro aufzuwenden, die Deutschland dieses Jahr für bemannte Raumfahrt vorsieht, darüber wird immer wieder gestritten. In anderen Ländern wie den USA und Russland sind die Ausgaben noch viel höher. So mancher würde die kostspieligen Ausflüge ins All daher am liebsten vollständig aus den Staatshaushalten streichen.

Zumindest bis 2020 haben sich die Länder, die an der ISS beteiligt sind, verpflichtet, das Kosmoslabor am Laufen zu halten. Ernsthafte Pläne für Reisen zu Mond und Mars gibt es derzeit keine.

Doch wie sieht es in einem größeren Zeitraum aus? Welche Wege könnte die bemannte Raumfahrt in den nächsten 50 Jahren nehmen?

Ernst Messerschmid

Ernst Messerschmid.
Ernst Messerschmid.

© p-a/dpa

Wir sollten die Internationale Raumstation so lange es geht betreiben, um Forschung in der Schwerelosigkeit zu ermöglichen. Sei es auch in kleinerem Maßstab, indem nach 2020 defekte Teile abgekoppelt und kontrolliert zum Verglühen in der Atmosphäre gebracht werden. Darüber hinaus gibt es vier lohnenswerte Ziele für bemannte Flüge: den Mond, den Mars, erdnahe Asteroiden – Stichwort Gefahrenabwehr – und einen Punkt namens „L2“. Er befindet sich rund 1,5 Millionen Kilometer von uns entfernt, dort heben sich die Kräfte von Sonne und Erde gegenseitig auf. Weltraumteleskope wie „Herschel“, „Planck“ und künftig das „James-Webb-Teleskop“ werden dort stationiert, um mit ungekannter Schärfe in die Weiten des Alls zu blicken. In einigen Jahren stellt sich die Frage: Abschalten oder von Astronauten warten oder gar verbessern lassen, wie es bei „Hubble“ mehrfach gemacht wurde? Insofern ist auch das ein lohnendes Ziel. Was die Kosten betrifft, gerade beim Mars, sehe ich eigentlich kein Problem. Würde man die Budgets der einzelnen Nationen zusammenlegen, käme eine ordentliche Summe zusammen. Hier geht es eher um technische Probleme wie Antrieb, Versorgung der Leute, Psychologie eines Drei-Jahres-Trips. Ungefährlich ist so eine Mission nicht. Deshalb müssen wir uns fragen, ob wir als Gesellschaft bereit sind, das Risiko eines Scheiterns einzugehen. Daran habe ich Moment meine Zweifel, wir sind ziemlich risikoscheu geworden.

Ernst Messerschmid (65) ist Astronaut und leitet den Lehrstuhl für Astronautik und Raumstationen an der Uni Stuttgart.

Sigmund Jähn

Sigmund Jähn.
Sigmund Jähn.

© dpa

Das Fernziel, auf das die Menschen hinarbeiten sollten, ist ein bemannter Flug zum Mars. Nicht nur wegen unseres Drangs, Neues zu entdecken, sondern auch als eine Art Aufgabe für uns Menschen. Die Raumfahrt ermöglicht einen Perspektivwechsel: Ich habe unseren Planeten von außen gesehen, völlig ohne Grenzen – und habe doch gewusst, dass es sie gibt, dass da unten Kriege stattfinden. Auf wissenschaftlich-technischem Gebiet ist der Mensch weit fortgeschritten, aber auf moralischem Gebiet befindet er sich noch in der Steinzeit. Weil ein bemannter Flug zum Mars nur in internationaler Kooperation gelingen kann, würde uns dieses Ziel helfen, noch mehr an einem friedlichen, konstruktiven Zusammenleben zu arbeiten.

Sigmund Jähn (74) flog 1978 als erster Deutscher ins All und arbeitete viele Jahre als Raumfahrtberater.

Volker Gerhardt

Volker Gerhardt.
Volker Gerhardt.

© HU Berlin

Ob die Menschheit auch in 50 Jahren noch Raumfahrt betreibt, hängt vor allem davon ab, ob sie ihr Zivilisationsniveau halten kann. Nur dann sind derartige Großexperimente machbar. Wünschenswert wäre es, denn der Entdeckerdrang liegt in der Natur des Menschen. Was die Raumfahrt uns langfristig bringen könnte, ist von heute aus nicht zu überblicken. Da sind wir so fantasielos, nur an Rohstoffquellen oder Ausweichquartiere für den Menschen zu denken, falls es auf der Erde zu voll wird. Die Erfahrung zeigt, dass technische Entwicklungen nur über einen sehr kurzen Zeitraum vorhersagbar sind. Wir sollten da offener sein und gerade jetzt, nach den schrecklichen Erfahrungen von Fukushima, aufpassen, dass wir nicht in eine technikfeindliche Stimmung verfallen. Raumfahrt ist teuer, keine Frage. Aber wir sollten nicht alle Aktivitäten des Menschen dem Sparsamkeits- und Nützlichkeitsprinzip unterwerfen. In anderen Bereichen der Kultur und der Kunst, auch des Sports, wird die „Ausnahme“ ja ebenfalls weitgehend akzeptiert.

Volker Gerhardt (66) ist Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin.

Ulrich Walter

Ulrich Walter.
Ulrich Walter.

© TU München

In den nächsten 20 Jahren wird sich wenig tun, weil wir keine geeignete Technik haben, um über den erdnahen Raum hinauszufliegen. Doch danach kann es durchaus sein, dass Menschen zum Mond fliegen und später zum Mars – und zwar in dieser Reihenfolge. Erst wenn wir sicher zum Mond kommen und dort einige Monate ohne Hilfe von der Erde überleben, sind wir bereit, auch die weite Reise zu Mars in Angriff zu nehmen. Warum Astronauten dort hin sollten? Seit Jahrzehnten treibt uns die Frage um, ob es auch jenseits der Erde Leben gibt. Das kann nur ein Mensch mit seiner Erfahrung und seinem Gespür zweifelsfrei nachweisen, kein Roboter. Warum sonst gibt es keine Roboter, die völlig selbstständig Autos reparieren? Das ist denen zu komplex. Das Projekt Mars ist teuer. Damit es sich lohnt, sollten es zwei oder drei Flüge sein, die zusammen vielleicht um die 100 Milliarden Euro kosten. Das kann kein Land alleine bezahlen. In internationaler Kooperation kann es aber gelingen, unter Federführung einer Nation, die den Löwenanteil übernimmt. Absolute Demokratie hilft da nicht weiter. Infrage kommen dafür die Amerikaner, vielleicht auch die Chinesen. Wenn die Menschheit das wirklich will, und davon gehe ich aus, wird sie sehr wahrscheinlich in 50 Jahren den Mars besucht haben.

Ulrich Walter (57) ist Astronaut und Inhaber des Lehrstuhls für Raumfahrttechnik an der TU München.

Wolfgang Sandner

Wolfgang Sandner.
Wolfgang Sandner.

© dpa

Wissenschaftliche Experimente im All können aus Sicht der Experten künftig ebenso gut von Robotern erledigt werden, und das deutlich billiger. Die bemannte Raumfahrt berührt aber noch eine andere Ebene. Dass Menschen ins All fliegen, ist für die Gesellschaft bedeutsam als Vision, Faszination und Herausforderung – für manche sogar eine langfristige Notwendigkeit. Damit konkurriert sie mit großen gesellschaftlichen Themen wie Mobilität, Klimaschutz oder Energieversorgung. Die Frage ist, wo wir angesichts begrenzter Ressourcen Prioritäten setzen. Nehmen wir die Internationale Raumstation: Es scheint sinnvoll, sie noch bis 2020 zu erhalten, um möglichst großen Nutzen daraus zu ziehen. Aber für neue astronautische Projekte dieser Dimension sehe ich hierzulande weder eine Motivation noch eine Mehrheit.

Wolfgang Sandner (62) ist Direktor am Berliner Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeit-Spektroskopie sowie Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.

Peter Hintze

Peter Hintze.
Peter Hintze.

© dpa

Solange es Menschen gibt, wird es bemannte Raumfahrt geben. Der Entdeckerdrang ist ein Urinstinkt des Menschen. Es wird zwar künftig wesentlich mehr robotische Missionen geben, weil wir damit weiter und viel kostengünstiger in die Tiefen des Weltraums vordringen können. Trotzdem werden auch weiterhin Astronauten den Weltraum erkunden. Denn Menschen können mehr als Maschinen. Das kann in bestimmten Situationen entscheidend sein, etwa bei der Abwehr kosmischer Gefahren. Entscheidend für die Zukunft der Raumfahrt ist, dass sie nachhaltig betrieben wird. Andernfalls wird der erdnahe Raum völlig von Müll verstopft, was selbst unbemannte Aktivitäten wie den Betrieb von Satelliten gefährdet. Darum müssen wir Fähigkeiten zur gezielten Entsorgung beziehungsweise zur Rückholung von Satelliten am Ende ihrer Lebenszeit entwickeln.

Peter Hintze (60) ist Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt.

Thomas Reiter

Thomas Reiter.
Thomas Reiter.

© dapd

Auch in 50 Jahren werden Astronauten ins All fliegen und bei ihren Missionen mit Robotern zusammenarbeiten. Geht man davon aus, dass sich das Wissen der Menschheit alle zehn Jahre verdoppelt, so werden sich auch die damit verbundenen technischen Möglichkeiten vervielfachen. Bewohnte Stationen auf dem Mond sind denkbar, als Basis für die weitere Erkundung des Alls. Ich bin mir sehr sicher, dass der Mensch bis zum Jahr 2061 den Mars betreten hat, denn er ist ja unser nächster Nachbar. Auch der Weltraumtourismus wird eine Rolle spielen. In den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts war die Fliegerei zunächst auch nur wenigen Menschen, die es sich leisten konnten, vorbehalten. Heute fliegt jeder, der es für notwendig erachtet, um sein Reiseziel zu erreichen. Ich gehe davon aus, dass die Raumfahrt und der damit verbundene Tourismus sich ebenso entwickeln werden. Vielleicht nicht so schnell wie die Luftfahrt, aber es wird kommen.

Thomas Reiter (52) ist Astronaut und Vorstand im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Mitte des Monats wird er Direktor für bemannte Raumfahrt der Europäischen Weltraumagentur Esa.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false