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Bestrahlung trägt zu längeren Überlebenszeiten bei. Noch besser wäre, es gar nicht so weit kommen zu lassen.

© imago stock people

„Der Krankheit ihren Schrecken nehmen“: Mit Geld und Daten gegen Krebs

Bundesforschungsministerin Karliczek will Krebs besiegen. Sie sieht Deutschland dabei gut aufgestellt – auch wenn Experten künftig mehr Diagnosen erwarten.

Egal ob in der eigenen Familie, im Freundeskreis oder im Arbeitsumfeld – jeder kenne jemanden mit einer Krebserkrankung. Mit diesen Worten leitete die Bundesministerin für Bildung und Forschung (BMBF), Anja Karliczek (CDU) am Montag ihre erste Zwischenbilanz der „Nationalen Dekade gegen Krebs“ ein.

Diese war im vergangenen Jahr gestartet soll bis 2029 gehen. Die deutsche Ministerin verwies, anlässlich des Weltkrebstages, der am heutigen Dienstag zum 20. Mal begangen wird, auf bereits laufende Anstrengungen gegen die Krankheit. Derweil will EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides am Dienstag einen „Konsultationsprozess“ im Europäischen Parlament initiieren.

Deutschland, so Karliczek, solle eine Vorreiterrolle innerhalb der EU beim Kampf gegen den Krebs spielen. Langfristig sei das Ziel, die Krankheit komplett zu besiegen. „Bis es so weit ist, wollen wir alles dafür tun, um der Krankheit zumindest den Schrecken zu nehmen.“

Krebs ist die zweithäufigste Todesursache

Jener Schrecken lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: Krebs ist hierzulande die zweithäufigste Todesursache. „Im Laufe des Lebens erkrankt etwa jeder zweite Deutsche an Krebs“, so Karliczek. In diesen Zahlen sind allerdings auch Tumoren enthalten, die in der Regel nicht bedrohlich sind, weißer Hautkrebs etwa.

Laut Michael Baumann, Co-Vorsitzender im „Strategiekreis Nationale Dekade gegen Krebs“ und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums, wird es auf absehbare Zeit immer mehr dieser Diagnosen geben: „In den nächsten 20 Jahren wird sich die Zahl der Krebs-Neuerkrankungen weltweit verdoppeln, allein in Deutschland ist gegen Ende der Dekade mit einem Anstieg von derzeit 500.000 auf 600.000 Fälle jährlich zu rechnen.“

Am häufigsten unter den lebensbedrohlichen Tumor-Arten sind Brust-, Prostata-, Dickdarm- und Lungenkrebs. Dass mittlerweile 65 Prozent aller Erkrankten in Deutschland die ersten fünf Jahre nach der Diagnose überleben, sei zwar ein großer Erfolg der Wissenschaft und Medizin, so Baumann.

Eine Nationale Dekade gegen Krebs

Aber es gebe eben auch die 35 Prozent auf der anderen Seite. Hier müssten Forschung und Medizin noch besser werden: „Wir haben unglaublich viel gelernt in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten – aber eben auch, dass uns noch viel Unbekanntes gegenübersteht.“

Mit der Nationalen Dekade gegen Krebs sei Deutschland auf dem richtigen Weg, so der Wissenschaftler. Sie sei einzigartig und finde weltweit Anerkennung. Es müsse laut Karliczek nun darum gehen, Neuerkrankungen zu vermeiden, Antworten auf die „großen, ungelösten Fragen“ zu finden und Forschung und Versorgung so zu verknüpfen, dass sie einander befruchteten.

In einem ersten Schritt sollen dafür neue Strukturen für die Krebsforschung aufgebaut werden. Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), das aktuell in Dresden und Heidelberg verortet ist, soll um bis zu vier Standorte ausgebaut werden. Bis Ende des Monats läuft die Antragsphase. Im Sommer sollen die Entscheidungen fallen.

500 Millionen Euro stehen zur Verfügung

Innerhalb der Nationen Dekade gegen Krebs sollen auch Forschungsbereiche gefördert werden, die bislang eher vernachlässigt wurden, unter anderem, weil die Industrie keinen Nutzen darin sah. Für 13 sogenannte Vergleichs- und Optimierungsstudien hat das BMBF 62 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Davon profitieren etwa die Projekte „NETZ - Früherkennung von Dickdarmkrebs“, „DISCO - Medikamentenwirkung bei Haut- und Nierenkrebs“ und „INTACT - Optimierte Behandlung bei krebsbedingter Erschöpfung (Fatigue)“. Insgesamt stelle das BMBF für die Nationale Dekade gegen Krebs 500 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung.

Eine wichtige Rolle soll künftig der Bereich Prävention spielen. „Wir sind uns alle einig, dass sie einen neuen Stellenwert verdient“, sagt Baumann: „Bis zu 70 Prozent aller Todesfälle infolge einer Krebserkrankung könnte man mit einer guten Prävention und Früherkennung verhindern.“. Die Krankenkassen machen ihren Versicherten schon heute zahlreiche Angebote zur Krebsfrüherkennung. Zwar wüssten 80 Prozent der Deutschen darum, aber nur 67 Prozent der Frauen und 40 Prozent der Männer nutzten diese auch.

Jede zehnte Frau ist noch keine 45 Jahre alt, wenn bei ihr die Diagnose Brustkrebs gestellt wird.
Jede zehnte Frau ist noch keine 45 Jahre alt, wenn bei ihr die Diagnose Brustkrebs gestellt wird.

© imago/photothek

Als besonders dringlich habe eine eigens einberufene Arbeitsgruppe zwei Forschungsfragen definiert, sagte Karliczek: Zum einem wolle man die Ursachen für die bislang ungeklärte und besorgniserregende Zunahme von Krebserkrankungen bei jüngeren Menschen – exemplarisch anhand von Darmkrebs – in den Blick nehmen.

Zum anderen „sollen Methoden zur Abschätzung des Erkrankungsrisikos von Personen und darauf abgestimmte Vorsorge- und Früherkennungsverfahren entwickelt, erprobt und evaluiert werden“. Insgesamt werde individualisierte Medizin in Zukunft ohnehin eine größere Rolle spielen, betonte die Ministerin.

Verstärkt sollen digitale Strategien eingesetzt werden

Je mehr man über die Entstehung von Krebs in Erfahrung bringe, desto wichtiger werde aber auch eine „risikoadaptierte Behandlung“, sagte Michael Hallek, Mitglied des Beirats der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Er verwies hier auf die Notwendigkeit, verstärkt digitale Strategien einzusetzen.

Vor allem in die künstliche Intelligenz, die große Datenmengen auswerten kann, dürfe man hier durchaus Hoffnungen setzen. Es gelte etwa zu klären, warum bei einem Patienten ein Medikament bestmöglich anschlage, und er oder sie danach als geheilt gelte, während bei jemand anderem mit gleicher Diagnose der Tumor nach kürzester Zeit zurückkehre. Um das individuelle Tumorverhalten besser verstehen zu können, werden Halleks Ansicht nach Genomsequenzierungen immer wichtiger werden.

Oft kommen Datensätze aus Skandinavien

Um Forschung grundsätzlich weiter vorantreiben zu können, müsse Deutschland einen neuen Umgang mit Gesundheits- beziehungsweise Krankheitsdaten finden. Diesen Aspekt betonten sowohl Baumann als auch Hallek. Letzterer erinnerte in diesem Zusammenhang an das Solidaritätsprinzip des deutschen Gesundheitswesens. Die Gemeinschaft bezahle hier also für die Behandlungen des Einzelnen. Dass sie dafür im Gegenzug keine Daten zur weiteren Forschung zurückbekomme, sei nicht nachvollziehbar.

Das Problem sei so groß, dass man sich derzeit etwa mit Datensätzen aus Skandinavien behelfen müsse. Den Passus im kürzlich in Kraft getretenen „Digitale-Versorgung-Gesetz“, Abrechnungsdaten der Krankenkassen für die Forschung zugänglich zu machen, hält Baumann deshalb für äußerst hilfreich.

Auch Karliczek will sich für mehr Offenheit bei diesem Thema einsetzen und die anstehende EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um für ein europäisches Daten-Netzwerk zu werben.

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