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Proteste gegen eine Vorlesung des AfD-Mitbegründers Bernd Lucke an der Uni Hamburg.

© Markus Scholz/dpa

Debatte um die Wissenschaftsfreiheit: "In den 1980er Jahren waren die Auseinandersetzungen viel heftiger"

Ist die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland in Gefahr - oder ist die Debatte übertrieben? Darüber diskutierten nun Wissenschaftler an der Humboldt-Universität.

Um die Frage der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit wird aktuell heftig gestritten. In der medialen Aufregung um einzelne Vorfälle an deutschen Hochschulen scheinen differenzierte Stimmen eher unterzugehen - dabei werde in der Debatte manches durcheinandergebracht, erklärte jetzt der Jurist Martin Heger bei einer Diskussion an der Humboldt-Universität im Rahmen der diesjährigen Science Week.

Im 70. Jahr einer grundgesetzlich verbürgten Wissenschaftsfreiheit diskutierte Heger mit seinen HU-Kollegen, dem Philosophen und Literaturwissenschaftler Joseph Vogl und der Politikwissenschaftlerin Silvia von Steinsdorff, das Thema auf mehreren Ebenen. Man wolle das Ganze „allgemeiner“ erörtern, so die Veranstalter der HU. Die jüngsten Fälle und die üblichen Verdächtigen kamen dann aber trotzdem vor.

Was derzeit meist untergeht: Wissenschafts- und Meinungsfreiheit müsse man auseinanderhalten. Die vornehmliche Aufgabe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sei es eben, Erkenntnisse zu produzieren und nicht Meinungen zu äußern, sagte Heger. Ähnlich hatte sich vor kurzem auch schon Hamburgs Unipräsident Dieter Lenzen im Tagesspiegel geäußert.

So könne es durchaus problematisch sein, wenn ein Migrationsforscher seine wissenschaftlichen Erkenntnisse als Argumentationshilfe für die eigene politische Ansicht verwende, sagte Silvia von Steinsdorff. Die Grenze zwischen der Rolle des Experten und jener des einfachen Bürgers verwische mitunter recht schnell - besonders bei polarisierenden und emotional aufgeladenen Themen wie Flucht und Migration.

Staatsbürger oder Professor? "Deutlich machen, in welcher Rolle man spricht"

Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit kann man auch in missbräuchlicher Weise ausüben: Da waren sich die Diskutanten einig. Besonders gefährlich sei es, wenn ein Wissenschaftler seinen professoralen Nimbus benutze, um dort eine Meinung als Fakt darzustellen, wo ihm die Expertise fehle. Genannt wurde das Beispiel des HU-Historikers Jörg Baberowski. Wenn sich ein Experte für osteuropäische Geschichte in Sachen Migration äußere, dürfe er das nicht in seiner Funktion als Professor tun, sondern ausschließlich als Staatsbürger.

„Es ist ein Gebot der Redlichkeit, deutlich zu machen, in welcher Rolle man spricht“, sagte Heger. Es müsse auch klar sein, dass AfD-Gründer Bernd Lucke bei seiner Eurokritik vornehmlich als politischer Akteur mit einer Agenda agierte und nicht als neutraler Experte.

Wie aber verhält es sich mit denjenigen, die jüngst Luckes Vorlesung behinderten? Was ist dran an der Behauptung, lautstark störende Studierende würden die Freiheit der Wissenschaft gefährden? Natürlich dürfe ein Professor nicht an der Ausübung seiner Lehrtätigkeit gehindert werden, erklärte Heger die Rechtslage. Heftig protestieren dürfe man dennoch durchaus, allerdings abseits der Hörsäle.

Studierendenproteste von 1968 haben die Unis reformiert

Die Politologin Silvia von Steinsdorff befand, die Störung einer Uni-Veranstaltung und ähnliche Formen zivilen Ungehorsams könnten im Sinne eines weiterreichenden demokratischen Ziels auch ausnahmsweise gerechtfertigt werden. Man müsse aber erklären warum. Keinesfalls dürften solche Aktionen zur Gewohnheit werden.

Für Joseph Vogl sind die kleinen Störfeuer von heute ohnehin nichts im Vergleich mit den Großbränden von früher. „Noch in den 1980er-Jahren sind die Auseinandersetzungen viel heftiger gewesen. Ganz zu schweigen von '68.“ Zudem hätten die Revolten jener Zeit die Unis in einem fortschrittlichen Sinne reformiert und den postfaschistischen Nachkriegsmuff beseitigt. Zwar sei es eine traurige Fußnote der Geschichte, dass der studentische Furor selbst vor einem Theodor W. Adorno nicht haltmachte. Insgesamt seien die Unis aber gerade durch Momente des Ungehorsams zu freieren Institutionen geworden.

Dass es an den ostdeutschen Hochschulen - und damit auch an der HU - damals ganz anders aussah und sich vor dem Hintergrund der DDR-Geschichte womöglich auch andere Perspektiven bei der aktuellen Debatte um die Wissenschaftsfreiheit ergeben, kam in der Diskussion allerdings ein wenig zu kurz.

Statt um Inhalte geht es um Protestformen

Vogl erklärte, es ärgere ihn, dass die eigentlichen Inhalte der Debatte vom medialen Aufregungssturm um unorthodoxe Protestformen hinweggefegt würden. Mit Blick auf Lucke zum Beispiel stelle sich die Frage, wie ein marktradikaler Ökonom zur Übernahme nationalkonservativer, bisweilen gar rechtsextremer Ansichten gelange, und was das womöglich mit der Struktur seiner Profession, der Wirtschaftswissenschaft, zu tun habe.

„Die Diskussion um Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ist eine Scheindebatte“, sagte Vogl. So würden die Ergebnisse problematischer Umfragen und Aktionen einzelner Hochschulgruppen mit fleißiger Schützenhilfe einiger Medien als Bedrohung von Grundfreiheiten hochgejazzt und von rechtspopulistischer Seite aus instrumentalisiert. Zu behaupten, wir lebten in einer „links-grünen Meinungsdiktatur“ sei im höchsten Maße "obszön".

Was die Wissenschaftsfreiheit stärker bedroht

Für die Diskutanten ist die Wissenschaftsfreiheit stärker von einer anderen Seite bedroht: etwa durch „das Hamsterrad der Drittmittel-Akquise“ und eine allgemeine Ökonomisierung der Wissenschaft. Auch wenn sich das nicht so medienwirksam aufmachen lasse, wie verhinderte Vorlesungen umstrittener Professoren. Wenn nur noch geforscht wird, wo Geld zu holen ist, sei die Wissenschaft am Ende.

Sind das mit Blick auf Länder wie China, wo Forschungsfreiheit ein Fremdwort ist, aber nicht letztlich Luxusprobleme? Nein, erklärte die Expertin für vergleichende Demokratieforschung Silvia von Steinsdorff. Natürlich könne man die Situation in solchen Ländern nicht mit hiesigen Verhältnissen vergleichen. Das Beispiel Türkei aber zeige, wie plötzlich eine verbriefte Wissenschaftsfreiheit wieder einkassiert werden kann. Auch dort, wo sie ein Grundrecht sei, sei die Wissenschaftsfreiheit ein herausforderndes Prinzip, das konsequent verteidigt werden müsse.

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