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Akten und Schicksale. Das Verlagsarchiv von De Gruyter wird von der Staatsbibliothek aufbewahrt. Die Berliner Historikerin Angelika Königseder fahndet darin etwa nach Namen und Texten jüdischer Autoren, die seit 1933 nicht mehr gedruckt wurden.

© Thilo Rückeis

De Gruyter im Nationalsozialismus: Gute Geschäfte unterm Hakenkreuz

Zwischen Anpassung und Widerstand: Der Berliner Verlag De Gruyter lässt seine NS-Geschichte untersuchen.

Hat De Gruyter Leichen im Keller, ja oder nein? So einfach sei die Sache nicht, erklärte Angelika Königseder bei einem Werkstattgespräch. Seit knapp einem Jahr wühlt sich die Historikerin im Auftrag des renommierten Berliner Wissenschaftsverlags durch dessen Nachlass. Es geht um ein bislang wenig beleuchtetes Kapitel der über 250-jährigen Verlagsgeschichte: die Zeit von 1933 bis 1945. In welcher Beziehung stand der Verlag zum Nazi-Regime, wo und wie hat er sich schuldig gemacht?

„Ich wollte es einfach wissen“, begründet Christoph Seils, Urenkel von Walter de Gruyter und Mitglied des Kuratoriums der De Gruyter-Stiftung, den Arbeitsauftrag. Spektakulär sind die Ergebnisse bislang nicht. Aussagekräftig sind sie trotzdem. Denn sie zeigen beispielhaft, wie Anpassung in einer Diktatur funktioniert. Und wie sich ein Verlag schleichend von seinen wissenschaftlichen und ethischen Grundsätzen verabschiedet, um als Wirtschaftsbetrieb überleben zu können.

De Gruyter ist in den späten zwanziger Jahren ein angesehenes und breit aufgestelltes Verlagshaus. Gründer Walter de Gruyter hatte nach dem ersten Weltkrieg fünf traditionelle Wissenschaftsverlage unter einem Dach gebündelt, in denen sprachwissenschaftliche, juristische, technische, medizinische und theologische Fachbücher erscheinen. Viele der Autoren und Herausgeber sind jüdische Wissenschaftler. Das ändert sich nach 1933. „Zwar lautete die Devise zunächst: Wir arbeiten weiter mit unseren Autoren zusammen“, sagt Königseder. Allerdings wollte sich Herbert Cram, der die Verlagsleitung 1923 von seinem Schwiegervater übernommen hatte, nicht mit den Nazis anlegen. Darauf deuten Briefe und Protokolle hin. Man werde in Zukunft bei der Auswahl der Autoren „ein wenig vorsichtiger sein“ müssen, um nicht „unnötig den Protest der Gegenseite hervorzurufen“, schreibt Cram schon im April 1933.

Einer der Ersten, der die neue Strategie zu spüren bekommt, ist der jüdisch-österreichische Professor Hans Sperber. Im Frühling 1933 hatten er und De Gruyter einen Vertrag für ein Großprojekt unterzeichnet – die Herausgabe von „Trübners Deutschem Wörterbuch“. Kurze Zeit später bekommt der Verlag kalte Füße, hält Sperber hin, sucht parallel nach Ersatz. „Sperber hat lange um das Projekt gekämpft“, sagt Königseder. Am Ende darf der jüdische Wissenschaftler nicht einmal einzelne Artikel unter seinem Namen beisteuern.

Schon früh bemüht sich der Verlag, der wie die gesamte Buchbranche in der Weimarer Republik schwierige wirtschaftliche Zeiten erlebt hat, um die Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern. „Zum Reichsjustizministerium gab es gute Kontakte“, sagt Königseder. Juristische Großkommentare werden, ungeachtet ihrer ideologischen Inhalte, weiterhin bei De Gruyter gedruckt. Im Herbst 1933 ergattert der Verlag einen Auftrag des Propagandaministeriums: Die „Denkschrift über die kommunistischen Umsturzbestrebungen in Deutschland“ soll pünktlich zum Reichstagsbrand-Prozess veröffentlicht und verbreitet werden.

In den 1930er Jahren boomt das Geschäft, in den Kriegsjahren sogar noch mehr. De Gruyter druckt Wehrmachtsliteratur, Fachbücher für Studenten, die als Soldaten an die Front müssen, Sprachführer für den Umgang mit französischen Kriegsgefangenen – und hunderttausende Schachhefte. Auch die ausgebombten Universitätsbibliotheken treiben die Umsätze hoch, weil sie laufend Bücher nachbestellen.

Insgesamt unterliegt die Verlagsbranche in diesen Jahren einem fundamentalen Strukturwandel. 1933 gibt es in Deutschland rund 2000 Verlage, 1945 sind es noch 200. Der Autor und ehemalige Verleger Klaus G. Saur hat in seinem kürzlich erschienenen Sammelband „Verlage im ‚Dritten Reich’“ eine Art Typologie aufgestellt. Es gibt demnach Verlage, die verboten oder enteignet werden, solche, deren Verleger emigrieren, es gibt parteinahe und es gibt widerständige Verlage. Und dann noch die, die sich arrangieren. Zu dieser Gruppe muss auch De Gruyter gezählt werden. Der Verlag verändert seinen wissenschaftlichen Schwerpunkt, meidet jüdische Autoren, bedient die durch den Krieg entstehenden Märkte.

Ökonomisch geht die Strategie voll auf: Ende 1943 steht De Gruyter wirtschaftlich so gut da wie nie zuvor. „Zwar nahm die Anzahl der Buchtitel in der NS-Zeit exorbitant ab“, erklärt Königseder, „umgekehrt stiegen die Auflagen immens.“ Das hat mehrere Gründe: Zum einen herrscht strenge Zensur, die oft auch über die Vergabe des Papiers durchgesetzt wird. Verlage müssen jeden Titel und jede Auflagehöhe einzeln begründen und genehmigen lassen. Zum anderen fehlt es an Autoren. Viele sind ermordet worden, andere ausgewandert oder an der der Front. „Aber die Bücher, die überhaupt noch erscheinen konnten, wurden dem Verlag buchstäblich aus den Händen gerissen.“

Und De Gruyter versucht mit allen Mitteln, die Produktion aufrechtzuerhalten, trotz widrigster Umstände. 1944 wird das Verlagshaus in der Genthiner Straße von einer Sprengbombe getroffen. Außerdem fehlt es in den Kriegsjahren ständig an Papier – und an qualifizierten Arbeitskräften. Der Verlag, der als „kriegswichtiger“ Betrieb eingestuft ist, bemüht sich um die Zuteilung von sogenannten „Ostarbeiterinnen“. „Ob er die Zwangsarbeiterinnen tatsächlich bekam, konnte ich noch nicht herausfinden“, sagt die Historikerin. Sicher ist aber, dass 22 französische Kriegsgefangene ab 1940 in der Druckerei in Trebbin beschäftigt waren. „Sie wurden offenbar den Umständen entsprechend sehr gut behandelt.“ Im Nachlass finden sich Hinweise auf ärztliche Versorgung. Und auf eine Weihnachtsfeier, die der Verlag für die Franzosen ausrichtet.

De Gruyter sei „kein nationalsozialistisches Vorzeigeunternehmen“ gewesen, betont Königseder. Herbert Cram tritt nicht in die NSDAP ein, und bis auf eine Ausnahme sind auch die anderen Mitglieder der Geschäftsleitung keine Parteimitglieder. Zweimal springt der Verlagsleiter, den seine Tochter Margret Cram als „überzeugten Christ, national-konservativ und sehr patriotisch“ beschreibt, verfolgten Intellektuellen zur Seite. Dem früheren preußischen Kultusminister und SPD-Mitglied Adolf Grimme bietet er 1933 eine Stelle als Lektor an, nachdem dieser aus dem Staatsdienst gedrängt worden war. 1935 macht Cram SPD-Mann Paul Löbe, der seit 1933 in Gefängnissen und im KZ inhaftiert war, das gleiche Angebot. Ob diese Gesten dazu beigetragen haben, dass De Gruyter schon im Oktober 1945 von den Briten wieder eine Verlagslizenz erhält? Die Historikerin hat darauf noch keine präzise Antwort.

Die Aufarbeitung des Nachlasses soll noch bis zum Sommer 2014 dauern, bis dahin will Angelika Königseder vor allem untersuchen, welche Bücher nach 1933 aus politischen oder rasseideologischen Gründen bei De Gruyter abgelehnt und in welchem Umfang Autoren aus dem Verlagsprogramm verdrängt wurden. Die Ergebnisse ihrer Studie werden als Buch erscheinen. „Wir überlegen aber auch, die wiedergefundenen Manuskripte im Internet als Open-Access-Dokumente zu veröffentlichen“, sagt Verlagsleiter Sven Fund. Die Publikation von abgelehnten, aber erhaltenen Texten soll eine kleine Verbeugung vor denen sein, deren Existenzen und wissenschaftliche Karrieren damals zerstört wurden.

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