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Ein Mann lässt sich im Corona-Impfzentrum Berlin-Tegel eine Booster-Impfung geben.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Das Virus wird unter uns bleiben: Was Deutschland ohne die Impfpflicht erwartet

Der Bundestag hat gegen eine allgemeine Impfpflicht gestimmt. Das Virus und seine Risiken bleiben jedoch. Eine Analyse der Folgen.

Nun wird es also keine Impfpflicht in Deutschland geben. Doch völlig unabhängig davon, was da heute im Bundestag beschlossen wurde, geht Sars-Cov-2 weiter um, infizieren sich täglich weiter tausende Menschen, erkranken hunderte und sterben sogar mehr als 200 – an (oder mit) der vermeintlich so „milden“ Omikron-Variante.

Zwar beginnt die Welle langsam abzuebben. Aber die Hoffnung, dass die vielen Infektionen im Zuge der Omikron-Welle zu einem hinreichenden, langfristigen und vor allem bevölkerungsweiten Immunschutz vor der zu erwartenden Sars-Cov-2-Welle im kommenden Herbst beitragen, ist trügerisch.

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Denn zum einen ist nicht davon auszugehen, dass all die schätzungsweise 20 Millionen Ungeimpften, oder zumindest ein ausreichend großer Anteil davon, sich mittlerweile infiziert und damit bis zum Herbst eine schützende Immunität gegen Sars-Cov-2 aufgebaut haben. Auch auf dem Weg der freiwilligen Impfung dürfte diese Immunitätslücke nicht zu schließen sein.

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Lediglich etwa 50.000 Menschen pro Tag lassen sich derzeit bundesweit impfen, alle Erst-, Zweit-, Booster- und Viertimpfungen zusammengerechnet. In diesem Tempo ist der Impfrückstand bis zum Herbst nicht aufzuholen. Auch die vermeintlich „klassischere“, weil mRNA-freie Novavax-Impfung hat in Sachen Impfstoffakzeptanz keine Wende herbeigeführt.

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Das bedeutet, dass es im Herbst eine ausreichend große Immunitätslücke in der Bevölkerung für Infektions-, Erkrankungs- und Sterbewellen geben wird. Zumal auch der geimpfte Teil der Bundesbürger infizierbar und infektiös bleibt, wenn auch in geringerem Maße als der ungeimpfte. Das Virus wird also auch im Sommer weitergetragen werden und unter uns bleiben. Und es wird sich dabei verändern, Wege finden, die Immunität zu umgehen, infektiös zu bleiben – um zu überleben.

Neue Variante könnte sich bereits ausbreiten

Womöglich ist der Nachfolger von Omikron bereits in einem der weltweit Abermillionen Infizierten entstanden und vermehrt sich gerade unbemerkt. Und das ist der zweite Grund, warum es trügerisch ist, auf eine hinreichende, „wellenbrechende“ Bevölkerungsimmunität im Herbst zu hoffen. Denn niemand weiß, welche Eigenschaften jene Coronavirus-Variante haben wird, die dann dominiert.

Zwar kursieren bereits Abkömmlinge, mutierte Nachfahren von Omikron. Doch ob sie die derzeit vorherrschende BA.2-Variante von Omikron ablösen können oder werden, ist ebenso unklar, wie ihre Infektiosität und ihre Aggressivität in Bezug auf die Krankheitsschwere.

Es ist nicht einmal klar, ob die nächste, sich global verbreitende Variante ein Omikron- oder doch ein Delta- oder Alpha-Nachfahre sein wird. Nur, dass es weitere Varianten von Sars-Cov-2 geben wird, ist sicher, angesichts der Erfahrungen mit seiner Evolutionsgeschwindigkeit.

„Es scheint völlig vernünftig, eine weitere schnelle Entwicklung zu erwarten.“, schreibt etwa der Experte für Virusevolution Trevor Bedford vom Fred Hutchinson Krebsforschungszentrum in Seattle auf Twitter.

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Unklar, wie sinnvoll ein Wechsel auf den Omikron-Impfstoff wäre

Das stellt die Gesundheitsbehörden, die entscheiden müssen, wann und ob der auf Omikron angepasste Impfstoff in großen Mengen bestellt und verimpft werden soll, vor eine schwierige Aufgabe. Denn Bedford sieht ein Risiko bei der Einleitung eines Wechsels zu einem Omikronimpfstoff, um der Herbstwelle vorzubeugen: Es könne „eine neue, stark abweichende Variante auftauchen“.

Mit Omikron habe man dieses Szenario schon einmal beobachtet, denn diese Variante entwickelte sich nicht aus der damals vorherrschenden Delta-, sondern aus einer Alpha-Variante. Es sei „durchaus möglich, dass das erneut passiert“.

Völlig nutzlos wäre ein auf Omikron angepasster Impfstoff gegen eine solche „Omikron-ferne“ Variante zwar vermutlich nicht – immerhin schützen ja auch die auf dem Wuhan-Typ basierenden Impfstoffe heute gut vor schwerer Erkrankung und Tod durch Omikron. Aber ob sich mit einem nur halbwegs passenden Vakzin eine Welle schwerer Erkrankungen und damit Überlastungen der Kliniken verhindern lassen werden – niemand kann das mit Sicherheit sagen.

Experte Bedford, der kürzlich von der US-Arzneimittelbehörde FDA zur Evolution von Sars-Cov-2 konsultiert wurde, hält eine fortgesetzte Veränderung von Omikron, also einen Omikron-ähnlichen Virustyp im Herbst für am wahrscheinlichsten. Und in einem solchen Szenario sollte ein Impfstoff-Update, das auf Omikron zugeschnitten ist und wie es Biontech und Moderna bereits klinisch testen, „zu einer Verbesserung der Wirksamkeit des Impfstoffs gegen Infektionen sowie gegen schwere Erkrankungen führen“.

Ob dieses Impfstoff-Update dann allerdings rechtzeitig vor der Herbst-Welle zugelassen, verteilt, injiziert und von ausreichend großen Teilen der Bevölkerung akzeptiert wird, wird sich zeigen.

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