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Medizinisches Personal des Zentralkrankenhauses der Selbstverteidigungskräfte stehen und winken, während die Kunstflugstaffel der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte am Himmel über Tokio fliegt.

© Kyodo News/AP/dpa

Das große Blaumachen: Ein ungewöhnlich freier Blick nach oben

Infolge der Coronakrise ist die Luft rein wie selten. Und der Himmel erstrahlt intensiver. Warum das?

Der pandemiebedingte Lockdown fordert die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht heraus. Für Atmosphärenwissenschaftler indes bietet er eine einzigartige Chance.

Der Flugverkehr ist massiv zurückgegangen - wie man es vom Frühjahr 2010 nach dem Ausbruch des Eyjafjallajökull kannte. Zusätzlich hat in diesem Frühjahr aber auch der Verkehr am Boden abgenommen, ebenso die Emissionen der Industrie.

„Der Einfluss des Menschen auf die Atmosphäre ist momentan besonders gering“, sagt Christiane Voigt vom Institut für Physik der Atmosphäre am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen. Gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlern analysiert sie diesen besonderen Zustand.

Er stellt eine Art Nullpunkt dar: Indem die Forscher die wenig belastete Referenz-Atmosphäre mit Daten vergleichen, die vor der Corona-Pandemie erhoben wurden, können sie genauer ermitteln, welche Rolle die Luftschadstoffe spielen und damit wie groß der Einfluss des Menschen auf Atmosphäre, Klima und Luftqualität ist.

Atmosphärenforschung ist, wenn man trotzdem fliegt

Die Wissenschaftler nutzen dafür zwei Forschungsflugzeuge namens Halo und Falcon. Mit allerhand Messgeräten bestückt fliegen die zwei Maschinen regelmäßig von München über Berlin und Hamburg, das Ruhrgebiet und den Frankfurter Raum, aber auch nach Norditalien und in den Flugkorridor in Richtung Nordamerika. Sie untersuchen die Luft in bodennahen Schichten unterhalb von zwei Kilometern Höhe, insbesondere in Industrieregionen, sowie in Reiseflughöhe zwischen zehn und zwölf Kilometern. Nach Angaben der beteiligten Einrichtungen ist es die erste Flugkampagne weltweit, die unter den aktuellen Bedingungen die Atmosphäre erforscht.

Eigentlich hätte sie schon früher starten sollen, doch aufgrund der Hygiene- und Abstandsregeln dauerte es länger, die Messapparate einzubauen und eine Zulassung zu erhalten. Auch die Flüge selbst werden gemäß der Vorschriften absolviert, so tragen etwa die Forscher an Bord Masken und es fliegen weniger mit als sonst üblich. „Einen Teil der Instrumente betreiben wir ferngesteuert vom Boden im Homeoffice, auch das ist eine Weiterentwicklung, bedingt durch Corona“, sagt Voigt.

Schon wieder Aerosole... aber nicht die infektiösen

Sie selbst muss dieses Mal ebenfalls am Boden bleiben, als wissenschaftliche Leiterin der Falcon-Flüge plant sie die Flugrouten und das Messprogramm. „Wir messen verschiedene Stoffe, zum Beispiel Stickoxide, Schwefeldioxid und Aerosole, also kleine Partikel, die für die Wolkenbildung bedeutsam sind.“

Erste Ergebnisse von den Flügen über Deutschland zeigen einen Rückgang der Aerosole in der oberen Troposphäre, wo üblicherweise der Luftverkehr stattfindet. Aktuell messen die Forscher dort eine ähnliche niedrige Aerosolkonzentration wie sonst in der weniger belasteten Luft der Südhalbkugel, berichtet die Wissenschaftlerin.

Dies trägt dazu bei, dass der Himmel in diesen Wochen oft sehr blau erscheint, also weniger Wolkenschleier gebildet werden. Doch ganz so einfach, wie oft zu hören - „Corona macht die Luft sauber“ - ist es nicht. Im Gegenteil. Die Frage, warum der Himmel derzeit oft so blau ist, treibt Jos Lelieveld um, der die Forschungen vonseiten des Max-Planck-Institus für Chemie in Mainz leitet. „Während des Höhepunkts des Lockdowns waren die Konzentrationen an Luftschadstoffen über Deutschland auf rund 60 Prozent des normalen Werts gesunken“, sagt er.

Das Blaue vom Himmel

Zudem seien die meteorologischen Bedingungen günstig gewesen. Doch beide Faktoren allein genügen Lelieveld zufolge nicht, um das Phänomen zu erklären. „Inzwischen steigen die Emissionen am Boden wieder deutlich, die Schadstoffkonzentration ist fast bei 100 Prozent, trotzdem ist der Himmel oft blau.“ Der Forscher vermutet, dass dies mit dem Luftverkehr zu tun habe, der noch immer nur rund 15 Prozent des Vor-Corona-Aufkommens betrage und entsprechend wenig emittiere. „Womöglich haben Flugzeuge größeren Einfluss auf die Aerosolbildung als bislang vermutet.“

Konkret denkt er an Stickoxide aus dem Abgasstrahl. Sie reagieren in der Luft zu Salpetersäure, die wiederum das Wachstum von Kondensationskeimen massiv beschleunigt. Davon hatte erst kürzlich ein Team um Neil Donahue von der „Cloud“-Kollaboration am Kernforschungszentrum Cern berichtet. „Diese Ergebnisse aus dem Labor deuten an, dass der Beitrag von Stickoxiden zur Aerosolbildung bisher unterschätzt wurde“, sagt Lelieveld. „Wir haben jetzt die einmalige Chance, das mit Messungen in der realen Atmosphäre zu überprüfen.“

Kondensieren, Gefrieren, den Himmel verschmieren

Je mehr Flugzeuge in die Luft zurückkehren, desto mehr Schadstoffe werden ausgestoßen und es wird auch wieder mehr Kondensstreifen geben. Sie bestehen vorrangig aus Eiskristallen, die bei Temperaturen unter Minus 42 Grad Celsius aus den Abgasen eines Flugzeugs entstehen: Zunächst kondensiert der Wasserdampf auf Rußpartikeln im Abgas zu Wassertröpfchen, die rasch zu Eiskristallen werden. Ist die Luft genügend feucht, nehmen die Eispartikel Wasserdampf aus der Umgebung auf, wachsen und bilden sogenannte Kondensationsstreifenzirren.

Falcon und Halo.
Falcon und Halo.

© dlr

Wie stark der Lockdown dieses Himmelsphänomen der Neuzeit beeinflusst, haben Christiane Voigt und Kollegen analysiert. Anhand von Satellitendaten und Modellrechnungen fanden sie heraus, dass die Anzahl der Kondensstreifen infolge des verminderten Flugverkehrs um bis zu 90 Prozent zurückgegangen war. Für das Klima spielen sie eine wichtige Rolle.

„Kondensstreifenzirren halten wie ein Schal einen Teil der Wärmestrahlung der Erde in der Atmosphäre zurück und tragen so zur Erwärmung bei“, erläutert Voigt. Andererseits reflektieren sie Sonnenstrahlung, was kühlend wirke, aber nur in geringem Maße. „Insgesamt tragen sie zur Erwärmung bei, etwa in gleicher Höhe wie der CO2-Ausstoß seit dem Beginn der Luftfahrt.“

Fehlendes Aroma

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Fliegen klimafreundlicher zu machen. Biotreibstoffe etwa hätten einen geringeren Anteil an aromatischen Kohlenstoffverbindungen“, sagt Voigt. Bei der Verbrennung entsteht weniger Ruß.

Das bedeutet weniger Kondensationskeime und damit weniger Kondensstreifen. Eine andere Option sei es, Regionen in denen sich Eiswolken bilden, zu meiden. „Modellierungen zeigen, dass es genügt, eine kleinen Anteil der Flüge um Wolken herumzuleiten, um die Zahl der Kondensstreifen und die Klimawirkung des Luftverkehrs deutlich zu verringern.“

Für Falcon und Halo kommt all das natürlich nicht infrage. Sie sollen auf den vorgeschriebenen Routen bleiben, um die Messwerte vergleichbar zu machen. Voraussichtlich am Montag wird es noch einmal eine Runde über Deutschland geben, bevor es am Dienstag in den Nordatlantischen Flugkorridor geht.

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