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In existentielle Not geraten. Viele ausländische Studierende wissen derzeit nicht, wie sie sich finanzieren sollen.

© DPA/DPAWEB

Darlehensprogramm für Studierende abgelehnt: Vor allem ausländische Studierende fürchten die Schuldenfalle

Das bundesweite Hilfsprogramm für Studierende kommt zu spät und ist unzureichend, monieren Kritiker. Mit ausländischem Pass ist es besonders heikel.

Sind die Hilfen, die der Bund Studierenden zukommen lässt, der lang ersehnte Rettungsanker? Die Programme sollen jenen helfen, die durch den gesellschaftlichen Shutdown finanziell in Not geraten sind, etwa weil sie ihren Job in der Gastronomie verloren haben.

Nach Ansicht von Studierendenvertretungen reicht das Hilfsangebot keineswegs. Insbesondere das Darlehensprogramm, das Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) am vergangenen Donnerstag in Aussicht gestellt hat, stößt auf vehemente Ablehnung.

Zahlreiche studentische Organisationen fordern sogar den Rücktritt der von Opposition, Hochschulen und Studierenden aufgrund ihres zögerlichen Corona-Kurses schon länger kritisierten Ministerin. Was ihnen fehlt, schildern zwanzigtausend Studierende unter anderem in einem 68-stündigen Livestream.

Öffnung des Bafögs findet nicht statt

Karliczek hatte angekündigt, den bereits bestehenden KfW-Studienkredit ein Jahr lang zinsfrei zugänglich zu machen. Studierende sollen demnach bei Bedarf einen monatlichen Kredit von bis zu 650 Euro erhalten. Offenbar auf Drängen der SPD soll das Instrument zusätzlich durch einen Nothilfefonds für besonders bedürftige Studierende flankiert werden. Wie dieser im Detail funktionieren soll, ist noch nicht abschließend geklärt. Vergleichbare Fonds einiger Studierendenwerke vergeben indes Einmalzahlungen von 400 oder 500 Euro.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Die Forderung des Koalitionspartners SPD, mehrerer Länder, Hochschulen und Studierendenvertretungen, das Bafög weitgehend zu öffnen, ist damit erst einmal vom Tisch. 

Karliczeks Lösung zeige, dass die Ministerin und das BMBF schon lange jegliche Wahrnehmung der studentischen Lebensrealität und Studienfinanzierungssituation verloren haben, erklärte etwa der Sprecher der Brandenburgischen Studierendenvertretung, Jonathan Wiegers.

Studienabbruch oder Schuldenfalle

Der bundesweite studentische Dachverband fzs bezeichnete das politische Agieren der Ministerin in den vergangenen sechs Wochen und das nun verkündete Programm als „grob fahrlässiges Komplettversagen gegenüber 750.000 Studierenden“ – zumal die vermeintliche Zinsfreiheit nur im ersten Darlehnsjahr bestehe.

Das Darlehensprogramm von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) wird heftig kritisiert.
Das Darlehensprogramm von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) wird heftig kritisiert.

© obs

Oppositionspolitiker von Grünen und FDP haben sich zuvor ähnlich geäußert. Ministerin Karliczek, so der Tenor der Kritik, stelle die Studierenden vor die Wahl, das Studium entweder abzubrechen, oder fortlaufend Schulden zu machen.

Eine besonders betroffene Personengruppe sind die internationalen Studierenden, die keinen europäischen Pass besitzen. Ausländischen Studierenden, die sich aus dem Darlehenstopf erst einen Monat nach ihren deutschen Kommilitonen bedienen dürfen, drohe die Schuldenfalle ungleich stärker, sagt Nadia Galina, hochschulpolitische Referentin des Bundesverbandes ausländischer Studierender (BAS).

Denn diese sind in ihrer Arbeitszeit – so sie aktuell überhaupt einen Job finden – auf 120 Tage im Jahr limitiert. So zwinge das Darlehensprogramm ausländische Studierende womöglich, illegal zu arbeiten, da sie ansonsten kaum Chancen hätten, die wachsenden Schulden bald abzutragen.

Ausländische Studierende in finanzieller Not

Wie heikel sich die Situation darstellen kann, zeigt etwa die Geschichte eines indonesischen Studenten aus Leipzig. Der junge Mann, der einen englischsprachigen „Master of Sustainable Developement“ studiert, hatte eigentlich geplant, längst wieder in Indonesien zu sein, wo er seine Masterarbeit fertig schreiben wollte. Da er nicht vorhatte, sein Visum zu verlängern, hat er das Geld, das ausländische Studierende für die Erneuerung ihres Aufenthaltstitels auf einem eigens dafür eingerichteten Konto zurückhalten müssen, bereits ausgegeben.

„Da ich nur Englisch spreche, war es mir in Leipzig nicht möglich, einen Job zu finden“, sagt der Student im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Unter Corona-Bedingungen sei dies nun endgültig illusorisch. Aktuell könne er aufgrund des Shutdowns also weder nach Hause fliegen, noch Geld verdienen oder Reserven bemühen. In seinem Studentenwohnheim ist er die Miete schuldig, auch wisse er kaum, wie er noch an Nahrung kommen solle.  Seinen Namen möchte der Student aus Scham und Angst vor Sanktionen nicht öffentlich machen.

Bisherige Geldquellen versiegen

Ein Darlehen – zumal in der starken Währung Euro – kommt für ihn nicht infrage. In Indonesien wäre er kaum in der Lage, die geschuldete Summe zu erwirtschaften. Die Nothilfe wäre ein Hoffnungsschimmer, sagt der junge Mann, eine Einmalzahlung von 400 Euro werde aber nicht ausreichen.

„Wir hören beim BAS von zahlreichen Studierenden, die in schweren finanziellen Notlagen sind und teilweise nichts mehr zu essen haben“, sagt Galina. Viele von ihnen seien bislang vor allem von ihren Eltern unterstützt worden. Deren Geldquellen würden nun häufig versiegen, da sie in ihren wirtschaftlich oft ohnehin sehr schwachen Heimatländern von Corona-bedingten Jobverlusten betroffen seien.

Seit Ende März hat der BAS in zwei offenen Briefen an Landesminister und Bundesministerinnen auf die prekäre Lage ausländischer Studierender verwiesen. Unter anderem wurde gefordert, auch ihnen einen Zugang zum Bafög zu ermöglichen.

Außerdem hat sich der BAS für die Einrichtung eines speziellen Notfallfonds, die zeitweilige Aussetzung des Finanzierungsnachweises gegenüber der Ausländerbehörde und die Streichung mindestens des laufenden Semesters vom Aufenthaltszeitkonto ausgesprochen. Leider habe man keine Antwort erhalten, sagt Galina. „Wir haben die Entscheidungsträger mehrfach auf unsere dramatische Lage aufmerksam gemacht, es scheint als seien wir denen einfach egal.“

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