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Die Herstellung des Covid-19-Impfstoffs von Biontech, der jetzt erste Wirksamkeit gezeigt hat, ist gesichert. Unklar ist noch, wie er verteilt werden soll.

© Biontech

Covid-19-Impfstoff von Biontech und Pfizer: Und wenn man zuerst die Jungen statt der Risikogruppen impfen würde...?

Mit einem Impfstoff sollen erst Risikogruppen und Medizin-Personal versorgt werden. Doch ob man so den „größten Nutzen“ erreicht, ist unsicher. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sascha Karberg

Es ist die vielleicht beste Nachricht des Jahres, ging als Eilmeldung um die Welt, scheuchte die Börsen auf: Ein von den Forschern der Mainzer Firma Biontech erdachter und mit Hilfe der US-Pharmafirma Pfizer weiterentwickelter Impfstoff zeigt Wirkung.

In einer Studie mit insgesamt fast 44.000 Probanden soll das Vakzin über 90 Prozent der Geimpften vor einer Corona-Infektion geschützt haben. Wenn sich diese erste Mitteilung der Firmen so bestätigt, wäre das in mehrfacher Hinsicht ein Grund zum Feiern.

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Zum einen könnte ein hochwirksamer Impfstoff die Virusausbreitung erheblich hemmen – und macht so Hoffnung auf ein Pandemieende. Die wenigsten Experten hatten von den ersten, in aller Eile durchgeführten Impfstoffentwicklungen bereits einen so hohen Wirkungsgrad erwartet (und in der Tat kann dieser Wert auch noch sinken, abhängig von der Dauer des Impfschutzes).

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Zum anderen handelt es sich bei „BNT162b2“ um eine Art von Impfstoff, die es vorher noch nie gab. Er basiert nicht auf abgeschwächten Viren oder auf Virusteilen, sondern auf RNA-Molekülen, also Erbgutcode, der erst von den eigenen Zellen der Geimpften übersetzt und zum Impfstoff wird. Dass dieses Impfprinzip in Deutschland entwickelt wurde, kann den Menschen, die einfach nur auf einen guten Covid-19-Impfstoff hoffen, natürlich egal sein. Doch es ist auch Ausweis der oft angezweifelten Exzellenz und Konkurrenzfähigkeit der hiesigen Biotechnologie.

Wer muss verzichten - damit der wenige Impfstoff die beste Wirkung entfaltet

So berechtigt die Freude über den ersten Covid-19-Impfstoff auch sein mag, die Frage, wie er und Nachfolger-Vakzine gerecht und möglichst nutzbringend verteilt werden sollen, ist offen. Dazu haben sich am Montag der Nationale Ethikrat, die Wissenschaftsakademie Leopoldina und die Ständige Impfkommission Stiko des Robert-Koch-Instituts in einem von der Bundesregierung beauftragten Positionspapier geäußert.

[Warum die Charité-Ärzte die Meldung vom Impfstoff auch besorgt - lesen Sie hier die T+-Geschichte.]

Denn eines ist klar: Die Nachfrage wird immens und anfangs nicht zu stillen sein. Selbst wenn in jedem der geplanten 60 Impfzentren in Deutschland pro Tag 1000 Menschen – eine rein fiktive Zahl – geimpft werden könnten, wären nach einem Jahr erst 21 Millionen geschützt, was weit entfernt wäre von einer „Herdenimmunität“, die erst ab 70 Prozent einsetzen dürfte.
„Wir müssen das so machen, dass die Bevölkerung den größten Nutzen davon hat“, sagt Thomas Mertens, der Stiko-Vorsitzende. Doch was heißt „größter Nutzen“? Bemisst er sich allein – wie es das Positionspapier als erste Priorität nennt – an der Zahl der vermiedenen schweren Covid-19-Erkrankungen und -Toten? Dann scheint es in der Tat naheliegend zu sein, wie empfohlen zuerst Risikogruppen, also Alte und Vorerkrankte, und dem Virus besonders ausgesetztes medizinisches Personal zu impfen.

[Mehr zum Thema Covid-19-Impfstoffe: Diese Vakzinkandidaten werden derzeit geprüft - ein Überblick]

Doch werden so tatsächlich die meisten Menschen vor Covid-19-Erkrankung und -Tod geschützt? Dagegen spricht eine Modellrechnung, in der Forscherinnen kürzlich zeigten, dass man mit einem hochwirksamen Impfstoff – und dazu würde der von Biontech gehören – besser die jüngere Bevölkerung zuerst impft, da diese stärker als Ältere zur Virusausbreitung beiträgt.

Man schütze so indirekt auch mehr Ältere vor Infektion, Erkrankung und Tod, heißt es in der Studie von Laura Matrajt, Julie Eaton, Tiffany Leung und Elizabeth Brown vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle. Einen 25-Jährigen zu impfen, der womöglich zehn Menschen angesteckt hätte, von denen zwei schwer erkrankt wären, wäre demnach besser, als einen 80-Jährigen zu impfen, der nur eine oder zwei weitere Personen ansteckt, von denen keine erkrankt.

Leopoldina, Ethikrat und Stiko heben in ihrem Papier auf die „Solidarität“ ab, die es für eine gerechte Impfstoffverteilung braucht: Viele sollen sich solidarisch zeigen und im Interesse des großen Ganzen – also des Ziels, möglichst viele Menschen zu schützen – auf den individuellen Schutz verzichten und sich weiter dem Risiko einer Covid-19-Erkrankung aussetzen. Die Mehrheit der Bevölkerung wird das mitmachen. Aber es sollte eine gute, transparente Begründung dafür geben, ob das hehre Ziel tatsächlich so – und nur so – zu erreichen ist.

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