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Der Staatsepidemiologe Anders Tegnell berät die Regierung.

© imago images/TT/Jonas Ekströmer

Coronavirus-Infektionen sinken: Staatsepidemiologe in Schweden rechnet mit Abebben der Pandemie

Schwedens Gesundheitsbehörde und ihr Chefepidemiologe Tegnell sind optimistisch: Die Reproduktionszahl liege seit Tagen unter der wichtigen Marke von 1,0.

Schwedens Weg in der Coronavirus-Krise wird wegen der vergleichsweise moderaten Alltagsbeschränkungen international aufmerksam verfolgt. Nun äußert sich die nationale Gesundheitsbehörde optimistisch zum Stand der Pandemie im Land: Die Zahl neuer Coronavirus-Infektionen geht nach ihren Angaben zufolge zurück.

Der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell, der die Regierung berät, bestätigte im Gespräch mit dem Sender SVT, dass die sogenannte Reproduktionszahl seit einigen Tagen unter 1,0 liege. Dies besagt, dass ein mit dem neuartigen Coronavirus infizierter Schwede durchschnittlich weniger als einen weiteren Schweden ansteckt. „Das bedeutet, dass die Pandemie allmählich abebben wird“, erklärte Tegnell am späten Freitagabend in dem Sender.

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Eine Zusammenstellung der schwedischen Gesundheitsbehörde zeigt, dass die Reproduktionsrate im Land seit dem 10. April relativ stabil bei rund 1,0 lag. Am 1. April hatte sie demnach noch 1,40 betragen, am 25. April – dem letzten bislang veröffentlichten Wert – nach mehrtägigem Rückgang nur noch 0,85, wie SVT berichtet.

Für Deutschland hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel anfangs das Ziel ausgegeben, dass die Reproduktionszahl unter 1,0 sinken müsse, damit die Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie gelockert werden könnten. Am Freitag lag die Zahl nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts bei 0,79.

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Im Vergleich zu den meisten anderen Ländern hat das skandinavische Land mit vergleichsweise lockereren Maßnahmen auf die Pandemie reagiert. Kindergärten, Grundschulen und Geschäfte sind geöffnet. Dies gilt unter Auflagen auch für die Gastronomie. Untersagt sind auch Versammlungen von mehr als 50 Personen, somit sind Clubs dicht. Zudem gilt seit Anfang April ein Besuchsverbot in Pflegeheimen.

Ansonsten lautet das Mantra der Regierung und der sie beratenden Experten: Kontakte vermeiden, im Homeoffice arbeiten und bei geringsten Krankheitsanzeichen zu Hause bleiben. Diese Empfehlung gilt auch generell für alle Bürger, die älter als 70 Jahre sind. Vielmehr appellierte die rot-grüne Minderheitsregierung von Ministerpräsident Stefan Löfven in der Pandemie von Beginn an an die Vernunft der Bürger, damit diese Abstand halten und die Coronavirus-Verbreitung somit abgebremst werden kann.

Diese Strategie hat auch international Irritationen und Kritik ausgelöst. Auch im Land ist der Kurs der schwedischen Regierung längst nicht unumstritten; schon seit einiger Zeit fordern zahlreiche Wissenschaftler einen radikalen Kurswechsel.

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Premier Löfven hatte zum zu erwartenden Ausmaß der Pandemie am 3. April der Zeitung „Dagens Nyheter“ gesagt, Schweden verfolge die Strategie, den Anstieg der Infektionsfälle zu verzögern, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. „Aber das beinhaltet zugleich, dass wir weitere Schwerkranke haben werden, die Intensivpflege benötigen, wir werden bedeutend mehr Tote haben. Wir werden mit Tausenden Toten rechnen müssen. Darauf sollten wir uns einstellen.“

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Verglichen mit dem Rest Skandinaviens verzeichnen die Schweden tatsächlich relativ viele Todesfälle: Am Sonntag meldete die Gesundheitsbehörde 2679 Tote, zehn mehr als am Vortag. Die Zahl der bestätigten Infektionen lag bei 22.082. Der stellvertretende Staatsepidemiologe Anders Wallensten sagte, dass die Zahlen vermutlich nach dem Wochenende wieder steigen würden, weil es Nachmeldungen geben werde. Dies war auch in den zurückliegenden Wochen der Fall. Die internationalen Zahlenvergleiche können aber das Bild verzerren, da unterschiedlich viel getestet wird und auch es auch für die Todesfallstatistiken verschiedene Kriterien angewandt werden.

Anzahl der Verstorbenen/bestätigten Infektionen pro eine Million Einwohner (Stand Samstag, 2. Mai, 14 Uhr; Quelle Sveriges Television/Johns Hopkins Universität/Worldometer)

  • Schweden: 262,1/2168
  • Norwegen: 39,7/1469
  • Dänemark: 81,9/1657
  • Finnland: 39,9/938
  • Deutschland: 82,1/1989
  • USA: 202,9/3462
  • Italien: 475,1/3464
  • Spanien: 537,2/4635
  • Großbritannien: 424,2/2760
  • Frankreich: 369,7/2516
  • Südkorea: 4,8/209
  • Belgien 679,8/4335

Der Infektionsmediziner Erik Salaneck vom Akademischen Krankenhaus in Uppsala forderte am Sonntag im Sender SVT, die Behörden müssten die im Vergleich zu den Nachbarländern hohe Zahl der Todesfälle genau untersuchen. „Wir müssen einsehen, dass wir eine höhere Sterberate haben als unsere Nachbarländer. Sie ist wesentlich höher.“ Schweden habe eine andere Strategie verfolgt als Norwegen, Finnland und Dänemark. „Liegt es also nur daran?“, fragte Salaneck.

Wie der Sender online weiter berichtet, habe die Gesundheitsbehörde auf eine entsprechende Anfrage geantwortet, es sei zu früh für eine Auswertung. Die Behörde habe betont, dass besonders Pflegeheime betroffen seien und die Todeszahlen dies widerspiegelten. Rund 40 Prozent aller Todesfälle im Land werden aus solchen Einrichtungen gemeldet.

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Tegnell hat immer wieder deutlich gemacht, dass er nichts von den Lockdown-Maßnahmen anderer Länder hält. Man brauche nachhaltige Maßnahmen und dürfe nicht vergessen, dass strenge Verbote auch gesundheitliche Folgen haben, hatte er immer wieder betont. Isolation und Quarantäne könnten Langzeitschäden an Körper und Geist auslösen. Zudem ließen sich Schwedens Maßnahmen problemlos lange durchhalten – eine zweite Infektionswelle brauche man nicht zu befürchten.

Der Epidemiologe erwartet, dass sich die Zahlen der Todesfälle international angleichen. Schweden werde mit Freiwilligkeit genauso viel erreichen wie andere Länder mit scharfen Restriktionen. „Wir müssen immer auch auf die Wirtschaft schauen. Wir dürfen sie nicht zugrunde fahren“, so Tegnell. Die schwedische Wirtschaft trifft die Krise allerdings auch mit voller Wucht.

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Inzwischen gestand Tegnell zwar ein: „Wir haben die Entwicklung der Todeszahlen unterschätzt.“ Und im Sender SVT sagte er auf die Frage, ob er eine seiner Einschätzungen bereue: „Man hätte Senioren in Alten- und Pflegeheimen früher schützen müssen. Aber wir haben keine Kristallkugel, in der wir in die Zukunft schauen können.“

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Mitte der Woche hatte sich aber die Weltgesundheitsorganisation (WHO) positiv darüber geäußert, wie Schweden mit der Pandemie umgeht. Der Exekutivdirektor der WHO, Michael Ryan, bezeichnete das Land als ein „Zukunftsmodell“. „Ich glaube, es herrscht der Eindruck vor, dass Schweden keine Kontrollmaßnahmen ergriffen und nur die Ausbreitung der Krankheit zugelassen hat“, sagte Ryan. „Nichts ist aber weiter von der Wahrheit entfernt.“

Schweden habe einen sehr starken, strategischen Ansatz zur Kontrolle von Covid-19 in allen Bereichen der Gesellschaft verfolgt. „Was es anders gemacht hat, ist, dass es seinen eigenen Bürgern wirklich, wirklich vertraut hat, diese physische Distanzierung umzusetzen.“ Ryan sagte aber auch: „Es bleibt abzuwarten, ob dies voll und ganz erfolgreich sein wird oder nicht.“

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