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Besucher der Chiang Kai-shek-Gedenkhalle in Taipei, Taiwan.

© Chiang Ying-Ying/AP/dpa

Coronavirus erfolgreich bekämpft: Wie Taiwan den Covid-19-Ausbruch verhinderte – und die WHO davon nichts wissen will

Taiwan hätte nach China eigentlich das Land mit den schlimmsten Epidemie-Ausmaßen sein müssen. Doch der Inselstaat hat schnell und konsequent reagiert.

Am 3. März 2020 gab das Gesundheitsministerium in Taipeh den zweiundvierzigsten Fall einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus bekannt. Taiwan liegt damit, was die Zahl der Patienten angeht, weltweit auf Platz 20. Das müsste eigentlich eine „Nicht-Nachricht“ sein. Denn andere Länder, unter anderem Deutschland, sind deutlich stärker betroffen. Jene 42 ist tatsächlich aber eine Nachricht, die an eine Sensation grenzt.

Denn Taiwan hätte eigentlich nach der Volksrepublik China das Land mit den schlimmsten Epidemie-Ausmaßen sein müssen. Modellrechnungen aus dem Januar jedenfalls sagten genau das voraus. Grundlage dieser Vorhersagen war etwa die Tatsache, dass fast eine Million Taiwaner auf dem Festland leben und regelmäßig hin und her reisen und dass jährlich fast drei Millionen Touristen aus China kommen. Dazu kommt, dass die meisten Bürger täglich öffentliche Verkehrsmittel benutzen und sehr eng bei einander leben.

Taiwan war besser als alle anderen vorbereitet

Es gibt eine Erklärung dafür, dass es nicht so kam. In Kurzform lautet sie: Der kleine demokratische Inselstaat war besser als alle anderen vorbereitet, handelte und handelt effektiver als alle anderen, und das Leben geht relativ normal weiter dort. Die Bevölkerung ist mit den Maßnahmen der Regierung einverstanden, Panik blieb aus. All das könnte für die Bekämpfung der Epidemie andernorts hilfreich sein – und wahrscheinlich auch jetzt noch viele Leben retten.

[Lesen sie in unserem Liveblogs alle aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus und zum Coronavirus in Berlin]

Aber diese Hilfe wird, obwohl sie aus Taipeh angeboten wird, kaum angenommen. Der offensichtliche Grund dafür ist, dass die Volksrepublik China Taiwan als seine eigene Provinz ansieht und dass die internationale Gemeinschaft diese „Ein-China-Politik“ weitgehend und auch in teilweise absurder Konsequenz mitträgt. Taiwan ist deshalb so ziemlich von allen internationalen Organisationen ausgeschlossen. Dazu gehört auch die Weltgesundheitsorganisation WHO.

Selbst in der derzeitigen Ausnahmesituation durften, soweit bekannt, bislang nur in einem einzigen Ausnahmefall Fachleute aus Taiwan in Genf ihre Expertise einbringen. Am 11. und 12. Februar „durften“ taiwanische Mediziner per Online-Zuschaltung an einem Fachforum zum Umgang mit dem Virus teilnehmen.

Was hat zur Eindämmung des Virus beigetragen?

Es gibt objektive Daten und Fakten, die wahrscheinlich zu der bislang extrem erfolgreichen Eindämmung des Virus in Taiwan maßgeblich beigetragen haben. Ein aus drei US-amerikanischen und einem im Taiwan arbeitenden Forscher bestehendes Team stellt ein paar davon jetzt im „Journal of the American Medical Association“ (JAMA) vor, einem der wichtigsten Fachmagazine für Medizin weltweit.

Aufgrund der Erfahrungen mit dem Sars-Virus, von dem Taiwan 2003 trotz damals noch viel geringerer Verflechtungen mit China schwer betroffen war, sei dort unmittelbar danach eine für solche Fälle bestimmte Institution gegründet worden, so die Autoren des Artikels.

Das Kreuzfahrtschiff Diamond Princess im Hafen von Yokohama.
Das Kreuzfahrtschiff Diamond Princess im Hafen von Yokohama.

© Kyodo/dpa

Dieses „Nationale Gesundheits-Kommando-Zentrum“ (NHCC) fungiert seither als zentrale Koordinationsstelle, der einige Unter-Organisationen unterstehen. Zu diesen gehört das ebenfalls aufgrund der Sars-Erfahrungen neugegründete „Zentrale Kommandozentrum für Epidemien“ (CECC), das „Kommandozentrum für biologische Pathogene“, das „Kommandozentrum für Bioterrorismus“ und das „Zentrale medizinische Notfall-Operationszentrum“. Federführend war damals der derzeitige Vizepräsident Chen Chien-jen - ein Arzt, Wissenschaftler und Experte für Infektionskrankheiten.

Taiwan reagierte sehr schnell

Am 31. Dezember 2019 wurde die Weltgesundheitsorganisation über eine Welle von Lungenentzündungen unbekannter Ursache in Wuhan informiert. Schon an diesem Tag bestiegen die ersten Beamten aus Taipeh Flugzeuge, um Passagiere auf Direktflügen von Wuhan auf Fieber und Lungenentzündungssymptome zu untersuchen, noch bevor diese das Flugzeug in Taipeh verlassen konnten. Bereits am 5. Januar 2020 wurde begonnen, nach allen Personen zu suchen, die in den vorherigen 14 Tagen von Wuhan aus eingereist waren und zum Zeitpunkt der Einreise Fieber oder Symptome einer Infektion der oberen Atemwege hatten.

Verdachtsfälle wurden, da es einen Test auf das neue Virus damals noch nicht gab, auf 26 Viren untersucht, darunter SARS und das Middle East Respiratory Syndrome (MERS). Personen mit Symptomen wurden zu Hause unter Quarantäne gestellt und besucht, um zu beurteilen, ob eine Behandlung in einem Krankenhaus erforderlich war. In den Wochen, die folgten, wurden die Maßnahmen schrittweise ausgeweitet. Unter anderem wurden die Neujahrsferien um zwei Wochen verlängert.

Risikopersonen wurden „elektronisch überwacht“

Am 27. Januar entschied man, die Daten der Nationalen Krankenversicherung mit denen der Einreisebehörde, des Melderegisters der taiwanischen Bürger und der Ausländerregistrierung abzugleichen. So war es möglich, praktisch alle Personen, die in den vergangenen 14 Tagen in Risikogebieten gewesen waren, zu identifizieren. Laut der Veröffentlichungen in JAMA brauchte das NHCC einen einzigen Tag dafür, dieses System zu etablieren.

[Coronavirus-FAQ: Lesen Sie hier 55 wichtige Fragen und Antworten zu SARS-CoV-2]

Personen mit hohem Risiko aufgrund der jüngsten Reisegeschichte wurden unter häusliche Quarantäne gestellt. Über ihre Mobiltelefone seien sie „elektronisch überwacht“ worden. Kurz danach wurde ein papierloses, über SMS kommuniziertes System für Erklärungen Einreisender zu ihrer Reise-Historie und ihrem Gesundheitszustand etabliert.

Atemmasken wurden rationiert und nur noch über Apotheken abgegeben. Die inländische Produktion von hochprozentigem Alkohol zur Desinfektion, Schutzkleidung und Atemmasken wurde hochgefahren. Viele weitere Detailvorkehrungen kamen hinzu.

Passagiere der Diamond Princess gingen in Taiwan an Land

Kurz bevor auf der Diamond Princess die ersten Fälle registriert wurden, dockte das Schiff in der taiwanesischen Hafenstadt Keelung, fast alle Passagiere waren dort an Land gegangen. Auch diese Tatsache wurde mit einem massiven Maßnahmenpaket begegnet, das eine Ausbreitung des Virus offensichtlich unterband.

Hilfreich war und ist mit Sicherheit auch, dass eine Einreise nach Taiwan auf dem Landweg nicht möglich ist und es, anders als in Europa, praktisch keine unkontrollierten Grenzübertritte gibt. Tatsache ist aber auch, dass wahrscheinlich alle Fälle in Europa und fast überall sonst außerhalb Asiens auf per Flugzeug eingereiste Personen zurückgehen, die also rein theoretisch auch entsprechend hätten befragt und kontrolliert werden können.

Bisher 42 Fälle, davon ein Todesfall

Zu all diesen konkreten Vorkehrungen kommt in Taiwan bislang eine ehrliche, phrasenfreie Kommunikation. Am Mittwoch etwa sagte Gesundheitsminister Chen Shih-chung, trotz aller bisherigen Erfolge sei eine Übertragung innerhalb der Bevölkerung mittelfristig wohl nicht zu vermeiden, wohl aber ein großer Ausbruch der Krankheit.

Das Ergebnis bisher sieht so aus: Es gibt, Stand 5. März, 42 Fälle, davon ein Todesfall, einige Patienten sind bereits genesen. Kein einziger Arzt, keine Ärztin hat sich infiziert. Drei infizierte Pflegekräfte hatten Kontakt mit einer Patientin, die ohne offensichtliche Erkältungssymptome wegen einer anderen Erkrankung eingeliefert worden war und bei der sich erst später herausstellte, dass sie infiziert war.

Taiwan bekommt keine Informationen der WHO

Tatsächlich gilt Taiwan aber offiziell – weil es als Teil Chinas behandelt wird – seitens der WHO als absolutes Hochrisikogebiet, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen etwa hinsichtlich Reisebeschränkungen für seine Bürger. Gleichzeitig wird dem Land Zugang zu damit verbundenen internationalen Hilfsmaßnahmen aber de facto verwehrt, da all diese über Peking laufen müssen.

Hintergründe über das Coronavirus:

Die Behörden in Taiwan bekommen nicht einmal auf direktem Weg die wichtigen, stets aktualisierten Informationen der WHO. Dazu kommt, dass das Land auch keinen direkten Zugang zu vielen anderen der aktuellen Daten bezüglich der Coronavirus-Krise hat, weil auch diese nur an die Organisationen der UN-Mitgliedsstaaten gehen. Dazu zählt etwa die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO).

Seit zwei Tagen kein neuer Fall

Seit zwei Tagen ist in Taiwan kein neuer Fall gemeldet worden. In öffentlichen Verkehrsmitteln und anderswo, wo Menschen sich eng beisammen aufhalten, sieht man fast niemanden ohne Atemmaske. Dazu kommt ein seit Jahren hocheffizientes System der öffentlichen Hygiene, wozu etwa durchgehend von Personal sauber gehaltene öffentliche Toiletten in jedem einzelnen U-Bahnhof gehören, in denen auch stets Seife und Desinfektionsmittel zur Verfügung stehen.

Insgesamt landet Taiwan in internationalen Rankings der Gesundheitssysteme seit Jahren auf vorderen Plätzen. Das Magazin CEOworld führt es derzeit auf Platz Eins. Auch im Bloomberg-Ranking für die effizientesten Gesundheitssysteme ist es in den Top 10.

Umfragen zeigen eine hohe Akzeptanz der Maßnahmen

Das Land hat – als demokratischer Staat, der während der Corona-Krise sogar eine Präsidentschaftswahl durchzog – die Seuche bislang sehr erfolgreich bekämpft und Ansteckungen weitestgehend unterbunden. Diese Anstrengungen wurden weder in der Bevölkerung noch von Experten nennenswert als Panikmache oder unverhältnismäßig bezeichnet. Auch nicht in der Anfangszeit, in der kaum Fälle festgestellt wurden.

Bislang hat das Virus dort auch keine größeren Auswirkungen auf die Wirtschaft gehabt, die auf Faktoren im Inland zurückzuführen wären. Umfragen zeigen bislang eine hohe Akzeptanz der Maßnahmen und der verantwortlichen Personen in der Bevölkerung. Panik ist komplett ausgeblieben, keine einzige Schule oder Universität oder sonstige öffentliche Einrichtung wurde bisher geschlossen.

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