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Virologe Christian Drosten bei einer Pressekonferenz Mitte Januar

© Michele Tantussi/REUTERS

Christian Drosten im Interview: „Omikron ist eine Chance“

Werden wir jemals wieder so leben wie vor der Pandemie? „Ja, absolut“, sagt der Charité-Virologe Christian Drosten im Tagesspiegel-Sonntagsinterview.

Als eine „Chance“ hat Christian Drosten, Leiter der Virologie der Berliner Universitätsmedizin Charité, die Omikron-Variante im Tagesspiegel-Interview bezeichnet. Die „abgeschwächte Infektion“ mit der Variante „auf dem Boden der Impfung“, sei „so etwas wie ein fahrender Zug, auf den man aufspringt.“ Irgendwann müsse man auf diesen Zug aufspringen, „sonst kommt man nicht weiter“. Denn es gebe „keine Alternative“, dass sich früher oder später alle mit Sars-Cov-2 infizieren werden oder müssen.

Man könne „nicht auf Dauer alle paar Monate über eine Booster-Impfung den Immunschutz der ganzen Bevölkerung erhalten“, sagte der Virologe. „Das muss das Virus machen.“  Drosten betonte jedoch, dass das nur „auf Basis eines in der breiten Bevölkerung verankerten Impfschutzes“ möglich sei, sonst würden „zu viele Menschen sterben“.

[Das ganze Interview im Wortlaut lesen Sie in der gedruckten Sonntagausgabe des Tagesspiegel oder online hier.]

Die Bevölkerungsimmunität bei Erwachsenen entwickle sich in eine „klare Richtung“: „Die Bevölkerung baut Immunität auf und behält die auch.“  Deutschland sei jetzt „in dem Prozess“, die Pandemie für beendet erklären und die endemische Phase ausrufen zu können. „Aber wegen des hohen Anteils Älterer in der Bevölkerung müssen wir das in Deutschland über Impfungen machen. Über natürliche Infektionen würden viel zu viele Menschen sterben.“

Deutschland habe schon „ein ganzes Stück dieses Weges geschafft über Impfungen“, müsse ihn jetzt aber „zu Ende gehen, damit wir im Laufe des Jahres 2022 in die endemische Phase kommen und den pandemischen Zustand für beendet erklären können“. Ob wir jemals wieder so leben werden wie vor der Pandemie? „Ja, absolut. Da bin ich mir komplett sicher“, sagte Drosten dem Tagesspiegel.

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Zur Impfpflicht äußerte sich Drosten nicht. „Das muss die Politik entscheiden, ob sie das über die Impfpflicht machen will oder auf anderen Wegen.“ Er betonte aber, „wie wichtig es ist, dass wir die Impflücke möglichst komplett schließen, vor allem in den Altersgruppen, die gefährdet sind“. Denn eine „Herdenimmunität“ zu erreichen, über die auch Ungeimpfte geschützt wären, sei nicht möglich.  „Dafür gibt es wissenschaftliche Evidenz.“

[Lesen Sie mit T+: Wie gefährlich wird es? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Omikron-Welle]

Im Hinblick auf die Risikoabwägung der Impfung sagte Drosten: „Es ist Impfung versus Virus, nicht Impfung versus keine Impfung.“ Und als Virologe könne er sagen, „dass man bei der Impfung einfach besser wegkommt“. Dass es zu wenig Erfahrungen mit mRNA-Impfstoffen gäbe sei angesichts von inzwischen Milliarden mRNA-Impfungen „wirklich Unsinn“.

Im Gegenteil, die mRNA- und Vektor-Impfstoffe kämen der natürlichen Immunität am nächsten, so Drosten. „Sie aktivieren die zelluläre Immunreaktion viel besser und leisten damit einen ganz wichtigen Beitrag für den Schutz vor schwerer Covid-Erkrankung und auch vor Immunflucht-Varianten wie Omikron.“ Den Protein- und Totimpfstoffen fehle diese Fähigkeit.

Der nächste Meilenstein ist eine Lebendimpfung

Klar sei aber, dass es eine „Lebendimpfung“ brauche, am besten ein Spray, mit dem   „abgeschwächte Viren oder eine moderne Variante davon“ in die Nase gesprüht wird und dort eine Schleimhaut-Immunität auslöst. „Das wäre ein viel besserer Übertragungsschutz, der nächste Meilenstein.“

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Drosten äußerte sich auch zur Qualitätskontrolle der Kommunikation von Wissenschaftlern mit der Öffentlichkeit. Bislang gebe es dafür keine Standards. „Ich wünsche mir, dass innerhalb der Wissenschaft eine Diskussion angestoßen wird, wie solche Standards für die Wissenschaftskommunikation definiert werden können und für die Wissenschaftler verbindlich werden.“

Wissenschaftler, die Daten fälschen, bekomme „ernsthafte Probleme“, für solches Fehlverhalten gebe es Sanktionsmöglichkeiten. Aber auch in der Wissenschaftskommunikation gebe es Fehlverhalten. Hier gehe es ausdrücklich nicht um Zensur, aber Wissenschaftler müssten „erkennbar differenzieren zwischen unüberprüften Meinungsäußerungen und Ausführungen, die für sich Anspruch nehmen, auf validen wissenschaftlichen Fakten zu beruhen.“

In Zukunft sieht Drosten vor allem zwei Themen an Bedeutung gewinnen: Zum einen werde man in zwei Jahren über Long-Covid reden müssen, die noch kaum erforschte Folgeerkrankung einer Coronainfektion, zum anderen über das Mers-Coronavirus.  Dieses „Middle East respiratory syndrome-related coronavirus“, das nur entfernt mit Sars-Cov-2 verwandt ist, ist schon mehrfach von Kamelen auf Menschen übergesprungen.

Zuletzt erkrankten 2015/2016 fast 200 Menschen in Südkorea an dem eingeschleppten Virus. Mers sei „kein bisschen harmloser geworden, im Gegenteil“, sagt Drosten. „Das jetzt zirkulierende Virus ist übertragbarer oder virulenter geworden.“

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