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© dpa

Chirurgie: Herr der Herzen

Vor 40 Jahren transplantierte der südafrikanische Chirurg Christiaan Barnard das erste menschliche Herz. Er stahl allen die Show.

„Am Samstag war ich ein Chirurg in Südafrika, den kaum einer kannte. Am Montag war ich weltberühmt.“ Mit diesen Worten hat sich Christiaan Barnard später an die Nacht erinnert, die sein Leben in ein Vorher und Nachher teilte: jene Nacht am 3. Dezember 1967 zwischen zwei Uhr 20 und sechs Uhr 13, in der er im Groote-Schuur-Hospital in Kapstadt das erste menschliche Herz transplantierte.

Kapstadt, vor 40 Jahren. Es ist Samstag, 2. Dezember, der Tag vor dem Eingriff. Dem 45-jährigen Chirurgen fehlt nur noch eins, um seine medizinische Mondlandung hinzulegen.

Das Wichtigste hat er längst: einen Patienten, der bereit ist, seine kühne Operation mitzumachen. Es ist der Lebensmittelhändler Louis Washkansky, 54, ein zäher Bursche wie Barnard selbst, ehemaliger Amateurboxer. Washkansky hat drei schwere Herzattacken hinter sich und hat die Wahl: entweder den lebensgefährlichen Eingriff wagen, den ihm sein Chirurg vorschlägt, oder ein baldiger Tod. Washkanskys Wahl steht fest.

Was fehlt ist das Spenderherz, doch an diesem Sonnabend fügt das Schicksal alles zusammen. Es ist Nachmittag, als eine junge Frau, Denise Darvall, gerade mit Mutter, Vater und Bruder in einem Kapstadter Vorort loszieht, um Freunde zu besuchen. Sie parkt das Auto am Straßenrand gegenüber einer Konditorei, um noch einen Kuchen zu holen. Als sie mit ihrer Mutter die Straße überqueren will, werden beide von einem vorbeirasenden Wagen erfasst. Die Mutter ist sofort tot, Denise wird mit einer massiven Hirnverletzung in die Notaufnahme des Groote- Schuur-Hospitals geliefert. Durch den linken Eingang, den für weiße Patienten.

Schnell steht fest: Man wird die junge Frau nicht retten können. Und ihre Blutgruppe passt zu der von Washkansky. Die Ärzte fragen den erschütterten Vater, ob er einverstanden ist. Der Vater stimmt zu. Dann legen Barnard und sein Team los. Und schreiben Medizingeschichte: Der Eingriff gelingt, um sechs Uhr 13 schlägt Denise Darvalls Herz in Washkanskys Brust.

Es schlägt ganze 18 Tage, dann erliegt Washkansky einer Lungenentzündung: Die Medikamente, die sein Immunsystem hemmen und dafür sorgen sollen, dass sein Körper das fremde Organ nicht abstößt, haben ihn wehrlos gegenüber Krankheitserregern gemacht.

Washkansky stirbt, und für Barnard beginnt ein zweites Leben. Er wird gefeiert und kritisiert wie kaum ein Arzt vor und nach ihm. Seit jeher hatte das Herz als Sitz der Seele gegolten: Es einfach einem Menschen herauszunehmen und einem anderen einzupflanzen, das war mehr als nur ein chirurgisches Kunststück. Es war ein Tabubruch. „Ich habe die ganze Mystik, die um das Herz herum gemacht wird, nie verstanden“, sagte Barnard später in einem Interview. „Für mich ist das Herz nicht mehr als eine primitive Pumpe.“

Nicht nur die Öffentlichkeit war empört. Auch die Konkurrenz war es. Ende der 60er Jahre standen viele Teams in den Startlöchern, die erste Herztransplantation vorzunehmen. Allen voran Norman Shumway aus Stanford, Kalifornien. 200 Hundeherzen hatte der Mann schon verpflanzt, und was besonders pikant war: Von ihm, Shumway, hatte Barnard während einer Kurzvisite die Technik abgeguckt.

Viele wollten es dem buchstäblich über Nacht zum Star gewordenen Chirurgen so schnell wie möglich nachmachen, auch Shumway: Gut einen Monat später, im Januar 1968, setzte Shumway einem 54-jährigen Stahlarbeiter das Herz einer 43-jährigen Hausfrau ein. Es schlug nur 15 Tage.

So ging es damals allen Teams, immer wieder lautete die Bilanz: Operation gelungen, Patient tot. Auch das gehört zum Erbe Barnards. Sein allzu rücksichtsloses Vorpreschen hat, wie es der Nobelpreisträger und Harvard-Chirurg Joseph Murray formuliert, die „dunkelste Stunde der Transplantationsmedizin“ nach sich gezogen. Dabei war der Eingriff als solcher nicht das Problem. Nur bekam keiner die Abstoßungsreaktion gegen das fremde Organ in den Griff. Die Organe starben reihenweise ab. Die Ärzte resignierten. Vorerst.

Als im Laufe der 80er Jahre neue Medikamente es möglich machten, das Immunsystem effektiv zu unterdrücken, kehrte die Herztransplantation mehr und mehr zurück. Inzwischen sind über 80 000 Herzen verpflanzt worden. Weil aber die Immununterdrückung nach wie vor anfällig macht gegenüber Krankheitserregern und Krebs, bleibt die Körperabwehr – neben den mangelnden Spenderorganen – bis heute das größte ungelöste Problem der Transplantationsmedizin.

Nach seiner spektakulären OP genoss Barnard das Leben eines Popstars, er jettete um die Welt, gab ein Interview nach dem anderen, flirtete den Frauen der High-Society. Fortan sah man ihn weniger im Hospital, dafür auf den Titelseiten von Zeitschriften. Sah, wie er mit Grace Kelly tanzte und auf Partys von Sophia Loren feierte. Seine erste Ehe scheiterte, als seine Frau einen Liebesbrief von Gina Lollobrigida fand. Es folgten zwei weitere Ehen und zwei weitere Scheidungen. „Es mag ja stimmen, dass ich ein Playboy bin“, gab der Herzensbrecher offen zu. „Aber es stimmt auch, dass ich zuerst und vor allem Arzt bin. Dies, und nur dies allein, war immer mein vorrangiges Interesse und meine Motivation.“

Barnard schrieb Bücher (beziehungsweise: ließ sie schreiben), Romane, Autobiografien, einen Ratgeber: „Jeden Tag frisches Obst und frisches Gemüse“, empfahl der Herzspezialist. „Hin und wieder Fisch und natürlich guten Sex.“

Am 2. September 2001 erholte sich der 78-Jährige in dem Fünf-Sterne-Hotel „Coral Beach“ bei Paphos auf Zypern. Er lag auf einer Liege am Pool, las gerade in seinem eigenen Ratgeber „50 Wege zu einem gesunden Herz“, als er, wie eine Augenzeugin berichtet hat, anfing zu röcheln. Er rang nach Luft, griff sich an die Brust. Als er sich nicht mehr bewegte, schrie die Augenzeugin um Hilfe, woraufhin einer der Kellner nach einem Arzt rief. Mehrere Badegäste versuchten, Barnard wiederzubeleben. Aber sein Herz wollte einfach nicht mehr schlagen.

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