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Charité: „Die FU soll nicht an den Katzentisch“

Streit ums Benjamin-Franklin-Klinikum: Winfried Benz, Wegbereiter für die Fusion der Berliner Universitäts-Medizin sagt, das Konzept kann immer noch funktionieren.

Würde die Freie Universität etwas dazugewinnen, wenn das Klinikum Benjamin Franklin aus dem Verbund der Charité gelöst würde? FU-Präsident Dieter Lenzen sieht diesen Zugewinn durch eine verlässliche Kooperation der Hochschulmediziner mit den Naturwissenschaftlern in Dahlem. Winfried Benz, einst langjähriger Generalsekretär des Wissenschaftsrats, warnt dagegen vor einer solchen Lösung. Benz war Vorsitzender jener Expertenkommission, die im Jahr 2002 im Auftrag des Berliner Senats die Neuordnung der Hochschulmedizin konzipiert hatte.

Damals hatte der Berliner Senat beschlossen, nach mehreren Sparrunden bei der Hochschulfinanzierung noch eins draufzusetzen: Entweder würde das FU-Klinikum Franklin in ein städtisches Krankenhaus umgewandelt oder der Zuschuss für Forschung und Lehre in der Medizin müsse um 98 Millionen Euro gekürzt werden. Der Protest gegen diesen Vorschlag reichte weit über die Wissenschaft hinaus, insbesondere im Süd-Westen der Stadt wohnende Berliner solidarisierten sich mit der FU. Um diesen Protest abzufangen, wurde vom Regierenden Bürgermeister eine Expertenkommission eingesetzt, besetzt mit anerkannten Leistungsträgern der Hochschulmedizin und der Medizinverwaltung.

Schon im Jahr 2002 war die Hochschulmedizin, gemessen an den Einwerbungen der Drittmittel, die leistungsstärkste Disziplin in Berlin. Das ist bis heute so geblieben. Die Charité, die größte Uni-Klinik Europas, wirbt mit 130 Millionen Euro allein in der Medizin mehr Drittmittel ein als jede der drei Berliner Universitäten mit ihrer Vielzahl Disziplinen (siehe Kasten). Die Folge: Die Universität, die in Berlin die Hochschulmedizin zugeschlagen bekommt, erhält im innerdeutschen Hochschulranking einen uneinholbaren Spitzenplatz. Das alles musste schon 2002 mitbedacht werden und ist noch heute ein wichtiger Punkt.

Die Empfehlung der Expertenkommission von 2002 war für Deutschland revolutionär. Die Hochschulmedizin sollte in Berlin dadurch langfristig gesichert werden, dass kein Klinikum aufgegeben wird. Vielmehr sollte die künftige Groß-Charité, hervorgegangen aus den medizinischen Fakultäten der Freien Universität und der Humboldt-Universität, zu einer selbstständigen Gliedkörperschaft fusioniert werden. Die Gesamtverantwortung für diese Gliedkörperschaft wurde gemeinsam der HU und der FU anvertraut. Ausdrücklich handelt es sich bei dieser Lösung nicht um eine eigenständige medizinische Hochschule.

Als der Wissenschaftsrat ein Jahr später diesen Expertenvorschlag begutachtet hatte, nannte er acht Argumente, die eine Schlüsselrolle bei der Bewertung dieses Modells gespielt hatten. An erster Stelle stand für den Wissenschaftsrat der „Erhalt des wissenschaftlichen Profils der Universitäten“. Mit anderen Worten: Der schleichende Abbau der Freien Universität von Sparrunde zu Sparrunde sollte gestoppt werden. Mit dem Verlust der Hochschulmedizin hätte der Freien Universität eine weitere Ausschlachtung gedroht und sie hätte gegenüber anderen Volluniversitäten in Deutschland beim Hochschulranking auf Dauer schlechtere Plätze erhalten. Die Humboldt-Universität dagegen, die nach der Wiedervereinigung systematisch gefördert wurde, wäre mit Hilfe der Charité gestärkt aus der Sparorgie hervorgegangen.

Der Berliner Senat hatte seit langem geglaubt, dass bei künftigen Haushaltsengpässen in der Medizin der Charité der Vorrang einzuräumen sei. Das FU-Klinikum stand wegen einer zeitweilig geringeren Leistungsfähigkeit in der Forschung zur Disposition, und dieser Gedanke spukt noch heute in den Debatten herum. Die Expertenkommission und der Wissenschaftsrat setzten diesen Spekulationen 2002/2003 vorläufig ein Ende. Keine der beiden Unis sollte durch die Zuordnung der Medizin einen Vor- oder Nachteil erleiden. Heute hat im Konkurrenzkampf der drei Berliner Universitäten die Freie Universität die Nase vorn, weil sie im Exzellenzwettbewerb als einzige Berliner Universität mit ihrem Zukunftskonzept in den Kreis von neun deutschen Spitzenuniversitäten aufgenommen wurde.

Was bewegt FU-Präsident Dieter Lenzen trotz dieser Vorgeschichte zu der Forderung, das einstige FU-Klinikum aus dem Charitéverband zu lösen? Das ehemalige Klinikum der Freien Universität, das in den 60er Jahren als Beispiel für das ungebrochene amerikanische Engagement in Berlin errichtet worden ist, gehört im Selbstverständnis der FU zum Traditionsgut. Lenzen hält die Herauslösung aus dem Verbund mit der Charité deshalb für geboten, weil der Kompaktbau des Benjamin-Franklin-Klinikums dringend saniert werden muss und der dafür benötigte Betrag von 200 Millionen Euro voraussichtlich nicht aufgebracht werden dürfte. Denn Benjamin Franklin steht in Konkurrenz zum ebenfalls sanierungsbedürftigen Bettenhochhaus der Charité in Mitte. Lenzen klagt weiterhin, dass immer mehr wichtige Disziplinen aus Steglitz abgezogen und nach Mitte verlagert worden seien.

Winfried Benz hält dagegen, die Überlegungen von 2002 seien noch aktuell: „Der Expertenkommission ging es damals in erster Linie darum, die Hochschulmedizin in Berlin langfristig wettbewerbsfähig zu machen“, erklärt Benz auf Anfrage. „Außerdem sollte die Freie Universität nicht an den Katzentisch geschoben werden, sondern gleichberechtigter Partner bleiben.“ Die Hochschulmedizin in der Trägerschaft von zwei Universitäten erfordere jedoch ein gemeinsames Engagement: „Die Humboldt-Universität und die Freie Universität sollten sich stärker als zuvor ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Hochschulmedizin bewusst werden. Deswegen sollten auch die Präsidenten beider Universitäten im Aufsichtsrat der Charité sitzen.“ Leider habe der Gesetzgeber diese Repräsentanz im Aufsichtsrat beendet, nicht zuletzt deswegen, weil beide Präsidenten zu wenig Engagement für die fusionierte Hochschulmedizin gezeigt hätten.

Selbst wenn die FU ständig in der Sorge ist, zu wenig von der fusionierten Medizin zu profitieren: Benz sieht die Gefahr, dass eine Herauslösung des Klinikum Franklin aus der Charité zu einer neuen Bedeutungsverlagerung führen dürfte. Die FU hätte dann zwar wieder eine eigene Hochschulmedizin. Aber die Folge wäre die Wiedereingliederung des größeren Teils der Charité in die Humboldt-Universität. Damit könnte die HU in künftigen Elitewettbewerben mit den Lebenswissenschaften noch besser punkten als bisher und im Ranking nach oben schnellen. Wo läge dann der Nutzen für die Freie Universität?

Uwe Schlicht

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